Süddeutsche Zeitung

Kraftwerk Nord:Nervengift aus den Kaminen

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Von Dominik Hutter

Rund ein Fünftel der Münchner Quecksilberemissionen stammen aus dem Kohleblock des Kraftwerks Nord. Diese Menge ist jedoch angesichts der Gesamtbelastung mit dem gefährlichen Nervengift so gering, dass selbst eine Stilllegung der Anlage nahezu keine Auswirkungen hätte. So lautet das Ergebnis einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (Ifeu), die die Stadtwerke München in Auftrag gegeben haben.

Quecksilber sei ein ernstes globales Problem, warnt Ifeu-Experte Bernd Franke. Der Beitrag des von den Stadtwerken betriebenen Kraftwerks sei aber irrelevant - die Anlage halte nicht nur alle Schadstofflimits ein, sondern auch schon die für 2019 geplanten. Der Kohleblock erfülle sogar die von Kritikern immer wieder als Vorbild bezeichneten US-Standards für Steinkohlekraftwerke, die besonders streng sind.

"Ja, wir emittieren leider Quecksilber", erklärte Stephan Schwarz, Geschäftsführer für Versorgung und Technik der Stadtwerke. "Aber auf einem Niveau, wie es vorbildlich für die gesamte Branche ist." Das Unternehmen werde sich trotzdem bemühen, die Werte weiter nach unten zu schrauben. So wie es in den vergangenen Jahren durch technische Verbesserungen gelungen sei. Laut Experten sei die Grenze des Machbaren aber fast erreicht. Anders als bei vergleichbaren Anlagen lande kein Quecksilber aus dem Kraftwerk Nord im Abwasser. Die Schadstoffe aus den Filteranlagen würden mit Beton ummantelt und in stillgelegten Salzstöcken nahe der thüringischen Stadt Gera eingelagert.

Das Heizkraftwerk auf Unterföhringer Grund ist wegen seiner Emissionen umstritten. Die Münchner ÖDP sammelt Unterschriften für ein Bürgerbegehren, mit dem aus Klimaschutzgründen die sofortige Abschaltung des Kohleblocks erreicht werden soll. In der Umgebung der Anlage wird seit einiger Zeit über die Quecksilberemissionen diskutiert, die bei der Kohle- wie auch der Müllverbrennung anfallen. Es kursierten "fragwürdige Behauptungen", so Schwarz - weshalb sich die Stadtwerke an das renommierte Heidelberger Institut gewandt hätten. Schon beim Bau der Anlage in den Achtzigerjahren habe der Grundsatz gegolten, die Grenzwerte einzuhalten und stets den neuesten Stand der Technik zu berücksichtigen.

Nach den Ifeu-Untersuchungen entließ der Kohleblock im Jahr 2014 1,15 Mikrogramm Quecksilber pro Kubikmeter Abluft in die Atmosphäre. Der US-Grenzwert liege bei 1,5 Mikrogramm. Das aktuelle deutsche Limit beträgt 30 Mikrogramm, von 2019 an sollen es nur noch zehn Mikrogramm sein. Dies hält das Kraftwerk Nord locker ein - nicht nur im Kohle-Block 2, sondern auch in den Blöcken 1 und 3, in denen Müll verbrannt wird.

In absoluten Zahlen ist dies freilich immer noch eine ganze Menge: 7,2 Kilogramm Quecksilber blies der Kamin im Jahr 2014 allein aus dem Kohleblock in die Luft. Die beiden Müllblöcke kommen zusammen auf 14 Kilogramm. Die Forscher listen auch die sonstigen Münchner Quecksilber-Verursacher auf: 6,2 Kilogramm trägt der Straßenverkehr bei, 5,4 Kilogramm die Verbrennung von Erdgas und 2,5 Kilogramm das Verfeuern von Heizöl. Beim Holz sind es 0,5 Kilogramm, bei der Klärschlammverbrennung in Großlappen 0,1 Kilogramm. Der Großteil der Gesamtbelastung stammt laut Franke allerdings aus überregionalen Quellen. Die drei Blöcke des Stadtwerke-Meilers trügen dazu maximal 2,3 Prozent bei.

Deutschlandweit stammen laut Franke rund 50 Prozent der Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken. Die Menschen nähmen das Nervengift aber weniger über die Luft auf, als über das Verspeisen von Fisch und über Amalgamfüllungen. Große Teile der weltweiten Quecksilberbelastung stammen noch immer von der Tätigkeit der nordamerikanischen Gold- und Silberschürfer im 19. Jahrhundert.

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SZ vom 12.03.2016
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