Süddeutsche Zeitung

Koalitionsverhandlungen im Stadtrat:Vieles deutet auf ein grün-rotes Bündnis hin

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Von Dominik Hutter

Sie haben sich gegen eine Videokonferenz entschieden. Man will sich physisch gegenübersitzen, wenn an diesem Mittwochnachmittag das erste Beschnuppern beginnt. Reichen die Gemeinsamkeiten für ein neues Rathausbündnis? Die Grünen als inzwischen stärkste Stadtratsfraktion haben eingeladen, und die CSU hat angenommen. Sondierungsgespräche. Das ist nur die Vorstufe echter Bündnisverhandlungen, aber auch mehr als eine reine Formalie - gesprochen wird nur mit den beiden Fraktionen, mit denen eine Mehrheit ohne weitere Partner möglich ist, also mit CSU und SPD. Das Treffen der Grünen mit den Sozialdemokraten ist für Freitag anvisiert. Gut möglich, dass sich auch SPD und CSU irgendwann treffen, ohne die Grünen. Bündnisalternativen stärken die eigene Verhandlungsposition, diese Grundregel für den Koalitionspoker ist allen Beteiligten wohlbekannt.

Wären die Gespräche öffentlich, würde sich dem Betrachter wohl ein etwas ulkiges Bild bieten: zwei vier- bis fünfköpfige Teams, die sich in einem der für größere Ansammlungen konzipierten Sitzungssäle des Rathauses verteilen. Corona-Abstand. Gut möglich, dass es am ersten Tag vor allem darum geht, wie der Fahrplan für weitere Gespräche aussieht. Erst abtasten, dann ins Detail gehen, lautet das Motto. Wobei zu den Details nicht nur politische Inhalte gehören, sondern natürlich auch Personalien. Es gilt, zwei Bürgermeister aus den Reihen des Stadtrats zu wählen. Und vielleicht ein paar städtische Referate mit neuen Chefs zu bestücken. Das funktioniert allerdings erst dann, wenn die Amtszeit der jetzigen Referenten abläuft - sie sind, auch wenn in der Zwischenzeit die politischen Farben wechseln, zu unterschiedlichen Zeitpunkten für jeweils sechs Jahre gewählt worden. Nur der Chefposten im Mobilitätsreferat kann sofort besetzt werden. Diese Behörde ist noch gar nicht gegründet, aber bereits vom alten Stadtrat beschlossen.

Die Grundkonstellation in der aktuellen Koalitionsrunde lautet: Keine Partei hat allein eine Mehrheit. Grün-Rot reicht rechnerisch aus und gilt wegen der politischen Gemeinsamkeit der beiden Partner als die wahrscheinlichste Lösung. Grün-Schwarz verfügt ebenfalls über eine Mehrheit, ist aber die schwierigere Option, weil die inhaltlichen Differenzen größer sind und ein solches Bündnis außerdem gegen den direkt gewählten Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD agieren müsste. Der OB ist jedoch Herr über die Tagesordnungen der Sitzungen und obendrein oberster Chef der Stadtverwaltung - an ihm vorbei zu regieren, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Theoretisch wäre auch die ganz große Koalition Grüne/CSU/SPD möglich, dann wäre der Rathaus-Chef mit im Boot. Nur ist das speziell für die beiden kleineren Partner wenig attraktiv, da sie stets gegeneinander ausgespielt werden können. Wer für eine Mehrheit nicht benötigt wird, hat im Streitfall schlechte Karten. Eine weitere Option wäre Schwarz-Rot. Ein solches Bündnis würde allerdings einen Partner aus den Reihen der kleineren Parteien benötigen, zu zweit reicht es nicht für eine Mehrheit.

Inhaltlich, das betonen Vertreter von Grünen wie SPD immer wieder, ist man sich ziemlich nahe: Der Themenkomplex Mieten und Wohnen ist weiterhin ganz wichtig, die ökologische Verkehrswende soll vorangetrieben und der Klimaschutz verbessert werden. Die CSU hält sich bislang eher bedeckt, was sie bei den Verhandlungen ansprechen will. Alle Beteiligten aber werden sich mit einer ganz neuen Situation abfinden müssen: Dass die einst so prall gefüllte Stadtkasse in der Corona-Krise ziemlich geleert und der politische Gestaltungsspielraum in den kommenden Jahren deutlich kleiner wird. Ohnehin ist nicht klar, wann das Rathaus wieder zum normalen Tagesgeschäft zurückkehren kann. Bislang überlagert Corona alles.

Einigen müssen sich die künftigen Partner auch, wie eng das neue Bündnis werden soll. Bisher nannten SPD und CSU ihre Allianz "Kooperation", es gab - was die Grünen im Wahlkampf heftig kritisierten - nur ein überschaubares gemeinsames Programm. Das war nach etwa drei Jahren abgearbeitet, danach musste man sich stets neu einigen (oder mit anderen Parteien eine Mehrheit suchen). Mit den Grünen hingegen verband die SPD bis 2014 eine echte Koalition mit 27-seitigem Vertrag, in dem nicht nur alle Projekte detailliert aufgeführt, sondern auch Dissens-Punkte festgeschrieben wurden. Nachteil: die Vorabfestlegung auf sechs Jahre. Was in Zeiten der Corona-Ungewissheit schwierig werden könnte. Allerdings liegt zwischen diesen Kooperation und Koalition jede Menge Spielraum, es gibt keine klare Definition. Die Grünen haben den Begriff Kooperation ohnehin von Anfang an für Popanz gehalten. Die Gemeindeordnung sieht streng genommen gar keine festen Bündnisse im Stadtrat vor.

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SZ vom 01.04.2020
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