Süddeutsche Zeitung

Rathaus:Tram-Westtangente: Konsens ist Nonsens

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Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CSU bremst den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Kommentar von Christian Krügel

"Pacta sunt servanda", Verträge müssen gehalten werden, heißt ein juristischer Grundsatz, der gemeinhin auch in der Politik gilt. Deshalb ist der Grant der Münchner CSU auf Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auch verständlich. Der hatte angekündigt, die umstrittene Trambahn-Trasse durch die Fürstenrieder Straße notfalls gegen den Willen der Christsozialen zu bauen.

Dabei heißt es im Kooperationsvertrag zwischen CSU und SPD, dass dieses Projekt "im Konsens" zu beschließen sei. Verstößt Reiter dagegen, sei der Vertrag gebrochen, die Kooperation infrage gestellt, drohen deshalb schon mal die CSU-Granden Josef Schmid und Ludwig Spaenle.

Das Problem ist nur: Der Vertrag, der da gehalten werden soll, ist Unsinn. Einen Konsens kann es nicht geben: Entweder baut man die neue Trasse oder man baut sie nicht. Und auch bei der Grundsatz- und Glaubensfrage, die dahinter steht, sind Kompromisse kaum denkbar: Wie viel darf und muss man künftig Autofahrern in München zumuten?

Die Position von OB Reiter ist klar und steht im Einklang zu weiten Teilen seiner Partei und der Münchner Verkehrsgesellschaft, aber in diesem Fall auch zu den Grünen: Wenn die Stadt dauerhaft mehr Menschen zum Umsteigen vom Auto in den öffentlichen Nahverkehr bewegen möchte, brauche man neue attraktive Verbindungen. Das kann dann eben auch auf Kosten der Autofahrer gehen.

Genau das möchte die CSU aber eben nicht. Es müsse um eine Ergänzung der Verkehrsarten, nicht um deren Austausch gehen, heißt das dann offiziell. Und weil Josef Schmid und die Seinen das im Wahlkampf auch ihrer sehr starken Basis im Münchner Westen versprochen haben, kann die CSU jetzt gar nicht anders, als sauer und im Zweifel stur sein.

Deshalb ist es auch nicht klug von Reiter, dem Partner kurzfristig hart und mit anderen Bündnissen zu drohen. Er sollte der CSU ein Hintertürchen offen lassen, durch das sie gehen kann, ohne ihre Wähler zu verprellen.

Langfristig kommt der Stadtrat aber nicht darum herum, sich klar zu positionieren. Ein Verkehrskollaps lässt sich auf Dauer nur vermeiden, wenn Tram-, U- und S-Bahn-Netz im großen Stil ausgebaut werden - und Autofahren in München einfach weniger Spaß macht als heute. Dazu braucht es ein mutiges politisches Bekenntnis, entsprechende Entscheidungen - und mehr Kontroverse als Konsens.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2016
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