Süddeutsche Zeitung

Klassik am Odeonsplatz:Eine Idealbesetzung für Orchester und Publikum

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Bei dem fulminanten Konzertabend spielen die Münchner Philharmoniker unter Daniel Harding. Im Duo mit dem Geiger Leonidas Kavakos erweist sich das schnell als grandiose Kombination.

Von Paul Schäufele, München

Einmal im Jahr, wenn die Sterne richtig stehen, bilden Fahrradenthusiasten, Fußgänger und U-Bahn-Nutzer eine Allianz. In seltener Einmütigkeit heißt es von ihnen, die in der Innenstadt Umwege in Kauf nehmen müssen: "Scheiß Klassik am Odeonsplatz." Diejenigen aber, die sich glücklich schätzen, eine der Karten zum Freiluft-Event in Händen zu halten, sehen gerne über den kurzfristig in Bewegung gebrachten Affekthaushalt der Verkehrsteilnehmer hinweg. Denn hier geht es um mehr, hier wird Musik gemacht. In der Feldherrnhalle sitzen die Münchner Philharmoniker. Zu ihnen gesellen sich Daniel Harding (eingesprungen für den entlassenen Chefdirigenten Valery Gergiev) und Leonidas Kavakos. Seine Geige glänzt. Sein Haar und sein Hemd tun das auch.

Auf der einen Bühne spielen die Philharmoniker, auf der anderen bedient das Publikum die Klaviatur der sozialen Sichtbarkeit

Denn "Klassik am Odeonsplatz" ist wie jedes Jahr eine Veranstaltung, bei der Akustik und Optik einmal gleichwertig zueinanderstehen. Das gilt oben wie unten. Wer hier ins Konzert geht, tut das, weil er weiß, dass Kavakos und Harding eminente Musiker sind, aber er tut es auch, weil dies eine Veranstaltung mit zwei Bühnen ist. Auf der einen spielen die Philharmoniker, auf der anderen bedient das Abendpublikum die Klaviatur der sozialen Sichtbarkeit, im hellen Kleidchen oder im Leinensakko. Aber das heißt nicht, dass es darum an künstlerischer Ernsthaftigkeit fehle. Im Gegenteil: Sobald man einmal die heikle Akustik des offenen Platzes außer Acht lässt, die ja durch technische Tricks (Lautsprecherdolden) etwas aufgebessert wird, ist das Erstaunen groß, wie glücklich das Konzept aufgeht.

Kavakos spielt Tschaikowskys Violinkonzert mit der kavakoshaften Übersouveränität, die jeden Triller blitzen lässt und jedes Stück Skalenwerk mit eiserner Präzision herausarbeitet. Von der Brüchigkeit, die manche Interpreten des Virtuosen-Klassikers hier sehen, will Kavakos nichts wissen. Wenn er etwa die in der Durchführung untergebrachte C-Dur-Variation auf das Hauptthema angeht, eine vertrackte, preziös gedrechselte Passage, tut er das mit einer Aufmerksamkeit und Konzentration, die die scheinpolyfone Stelle wie einen Dialog verschieden timbrierter Stimmen klingen lässt.

Bei all dem, seien es die halsbrecherischen Doppelgriffe oder der existentiell einsame Gesang der "Canzonetta", ist Kavakos nur sich selbst transparent. In der Solo-Kadenz des Kopfsatzes bewegt er den Bogen manchmal so weit vom Instrument, dass unklar ist, ob er nun weiterspielt und die farbenreiche Klangerzählung fortführt oder von der Bühne sprintet. In den Orchesterpassagen dreht er sich zu den bestens disponierten Philharmonikern. Er tut das alles nicht, weil er sein Publikum nicht lieben würde, sondern weil er erkannt hat, dass Attraktion durch Selbstentzug entsteht.

Und so ist Kavakos ein Prophet in der Wüste, den kein Sandsturm von seiner Mission abbringen kann. Alles Weitere ist akzidentiell. Insbesondere im Finale wird hörbar, dass es ihm deshalb nicht um reinen Schönklang zu tun ist. Es geht ums Ganze, um Prägnanz, eine Haltung, eine Art hochenergetischen Musizierens, dem keine Ausdrucksgrenzen gesetzt sind. Erst wenn das scheinbar atemlos nach vorn preschende Finale - in Wahrheit gibt es keinen Anlass zu glauben, Kavakos' Ruhepuls hätte sich erhöht - seinen Schlusspunkt erreicht hat, erlaubt sich der Solist mimische Bewegung. Kavakos und Harding umarmen sich unter dem Jubel des Publikums. In der Tat ist dieses Duo eine Idealbesetzung.

Just zum punktgenau schmerzhaften Englischhorn-Solo geht der Mond auf

Zu Kavakos' Kunst, durch vermeintliche Unbeteiligtheit immense Dynamik zu entfachen, kommt Hardings eigenes Understatement und seine unfehlbare (Odeonsplatz-erprobte) Professionalität. Bei Tschaikowsky wie in Dvořáks neunter Symphonie weiß er mit elegant-genauem Dirigat Höhepunkte zu kalibrieren und Stimmungen zu färben. Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber man ist geneigt zu glauben, Harding sei dafür verantwortlich, dass just zum punktgenau schmerzhaften Englischhorn-Solo (Kai Rapsch) der Mond aufgeht.

Mit einer folgerichtig durchgeführten Apotheose endet die Symphonie, nicht aber das Konzert. Dem Applaus von 16000 Händen antworten Harding und die Münchner Philharmoniker mit einem schwelgerischen Slawischen Tanz von Dvořák und Johann Strauss' Tritsch-Tratsch-Polka. Einen etwas anderen Weg geht Simon Rattle, der mit seinem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in die Welt der Filmmusik einführt. Stücke etwa von John Williams und Erich Wolfgang Korngold bilden damit den Soundtrack zur Abendszene in Münchens Mitte.

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