Süddeutsche Zeitung

Kino:Letzter Schliff für die Piraten

Lesezeit: 4 min

Regisseur Dennis Gansel stellt gerade seinen Film "Jim Knopf und die Wilde 13" fertig. Rick Kavanian spielt darin sämtliche Seeräuber. Im Oktober soll der zweite Teil der Michael-Ende-Verfilmung anlaufen

Von Josef Grübl

Von der Wilden 13 gibt es erst mal eine auf die Zwölf. Das erwartet man aber auch von ihr, handelt es sich bei dieser Bande doch um ungehobelte Rabauken, die nur beim Abzählen etwas schwächeln: Die Wilde 13 besteht nur aus zwölf Piratenbrüdern - der dreizehnte Mann ist ihr Anführer, den sie aber jeden Morgen aus den eigenen Reihen wählen. Als wildes Dutzend verbreiten sie dennoch Angst und Schrecken, sie entführen Prinzessinnen oder verkaufen kleine Jungs an Drachen mit nur einem Zahn. Erfunden wurde das Piratendutzend mit dem imaginären dreizehnten Gefährten vor 60 Jahren vom Schriftsteller Michael Ende, jetzt lässt Dennis Gansel es auferstehen.

Der Regisseur ist derzeit mit der Postproduktion seines Kinofilms "Jim Knopf und die Wilde 13" beschäftigt, es ist die Fortsetzung von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" aus dem Jahr 2018. Mit den Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste aus den Siebzigerjahren hat das kaum noch etwas zu tun, der neue Jim Knopf ist aus Fleisch und Blut, die Wilde 13 ebenso. Gedreht wurde die Realverfilmung in Südafrika und den Babelsberger Filmstudios, seitdem pendelt Gansel zwischen Berlin, Stuttgart und München hin und her, er sitzt im Schneideraum und Tonstudio, trifft sich mit Effektspezialisten und Filmkomponisten.

Seit Mitte März ist er aber zu Hause, dafür noch mehr am Telefon und in Skype-Konferenzen. Auch beim Videotelefonat für diesen Artikel sitzt der 46-Jährige in seinem Berliner Arbeitszimmer. Im Regal hinter ihm stapeln sich Bücher und Filme, er lenke sich mit Arbeit ab, sagt er lachend. Dann erzählt er von den Dreharbeiten, die er zum Glück lange vor der Corona-Krise beenden konnte und von Teammitgliedern, die jetzt im Home-Office arbeiten. Die wohl härtesten Jobs haben derzeit Frank Schlegel und Elke Andreas-Möller: Die beiden sind für die Postproduktion des Films verantwortlich. Er kümmert sich um die Koordination und Gestaltung der visuellen Effekte, sie hat den ganzen Rest im Auge, von der Budgetplanung bis hin zur Abstimmung der Arbeitsabläufe. Das ist an sich schon kompliziert, derzeit aber noch viel mehr. "Zwischenabnahmen sind dank modernster Technik von zu Hause aus möglich", antworten sie auf schriftliche Anfrage, "spätestens aber wenn es um die Abnahmen geht, müssen alle Beteiligten zusammenkommen." Das dürfte recht kompliziert werden, bis dahin ist aber zum Glück noch etwas Zeit.

Ansonsten wird weitergearbeitet, so gut es geht eben. Nur die Synchronarbeiten (des auf Englisch gedrehten Films) können nicht stattfinden: Die entsprechenden Studios haben derzeit geschlossen. Und ob die Filmmusik wie geplant aufgenommen werden kann, steht ebenfalls noch nicht fest. Eine ganz besondere Herausforderung sei die Wilde 13, verrät Gansel im Gespräch: "Denn alle zwölf sollen gleich sein und sich trotzdem voneinander unterscheiden." Er hat für diese Rolle nur einen Schauspieler engagiert: Rick Kavanian wiederholte bei den Dreharbeiten im letzten Jahr jede Szene unzählige Male, er spielte immer gleich - und doch ein bisschen anders. Momentan werden diese Aufnahmen am Computer zusammengefügt, erst in der Postproduktion wird das Dutzend also voll.

Fünf VFX-Firmen arbeiten an diesem Film, jede von ihnen kümmert sich um etwas anderes. VFX heißt visuelle Effekte, von denen gerade Fantasy-Filme besonders viele brauchen. Um mit der Konkurrenz aus Hollywood mithalten zu können, hat der Münchner Produzent Christian Becker einiges aufgefahren: "Jim Knopf und die Wilde 13" kostet 20 Millionen Euro und dürfte der teuerste deutsche Film des Jahres sein. Allein für die VFX-Bearbeitung wurden 5,7 Millionen Euro einkalkuliert. Die Branche boomt, vor allem in Bayern. Vor allem München ist ein gutes Umfeld für Effektkünstler: Hier sitzen Filmtechnikfirmen wie Arri, an der HFF gibt es demnächst sogar einen eigenen Studienschwerpunkt VFX. Mehrere VFX-Unternehmen gibt es hier - wenn sie nicht gerade an "Jim Knopf" sitzen, arbeiten sie an Superheldenfilmen aus Hollywood. Darauf sind auch Politiker und Förderer stolz, die eigene Töpfe für solche Projekte aufgelegt haben.

Auch Gansels Film hat eine Million Euro vom Film-Fernseh-Fonds Bayern erhalten, auch deshalb findet ein Großteil der Postproduktion hier statt. Während die Münchner Firma Scanline Jim Knopfs Heimatinsel Lummerland digital nachgebaut hat, ist die ebenfalls hier ansässige Firma Trixter für computeranimierte Figuren wie den Halbdrachen Nepomuk zuständig. Der Film beinhalte etwa 500 VFX-Shots, erzählt Gansel - also Einstellungen, die visuelle Effekte enthalten. Das sei gar nicht mal so viel, beim ersten Teil seien es sogar 720 gewesen. Schon damals gab es Pläne, auch den zweiten "Jim Knopf"-Roman von Michael Ende zu verfilmen - was insofern Sinn ergibt, da die Filmemacher auf bereits etablierte Figuren wie Nepomuk oder die eigens gebaute Lokomotive Emma zurückgreifen konnten.

Im Oktober soll "Jim Knopf und die Wilde 13" bundesweit anlaufen - bis dahin sind die Kinos hoffentlich wieder offen. "Wir haben im Juni Abgabe", sagt der Regisseur, ihm stehen noch einige stressige Wochen bevor. Er kennt dieses Spiel, der gebürtige Hannoveraner hat an der HFF München studiert, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im Geschäft. Er feierte Erfolge mit Komödien ("Mädchen, Mädchen") und Dramen ("Die Welle"), er drehte in Hollywood mit Jason Statham ("Mechanic: Resurrection") und brachte zu Ostern 2018 den ersten "Jim Knopf"-Film in die Kinos. "Von den Zuschauerzahlen her haben wir ein bisschen mehr erhofft", gibt er zu. Knapp zwei Millionen Kinogänger sahen den Film - was gut ist, bei einem Projekt dieser Größenordnung aber nicht gut genug. "Leider hatten wir etwas Pech mit dem unerwartet guten Wetter zu der Jahreszeit. Sonst wäre noch mehr drin gewesen."

Dass es mit dem zweiten Teil verhältnismäßig schnell klappte, liegt auch an den Darstellern: Solomon Gordon, der Jim Knopf spielt, und Leighanne Esperanzate (Prinzessin Li Si) sind Kinder - wenn man zu lange gewartet hätte, wären sie aus ihren Rollen herausgewachsen. Und eine Digitalverjüngung von Schauspielern, wie man sie zuletzt in Martin Scorseses Hollywood-Epos "The Irishman" gesehen hat, ist mit deutschen Filmbudgets dann doch nicht machbar.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2020
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