Süddeutsche Zeitung

Kardinal Reinhard Marx wird 70:Ein Wortgewaltiger, der manchmal ungewöhnlich still wird

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Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird 70. Er feiert mit einem Gottesdienst, Bier, Brezen und Salutschüssen auf dem Domplatz und einem Wiesn-Besuch.

Von Annette Zoch

Für den Trachtenumzug am ersten Wiesn-Sonntag hatte Münchens Erzbischof Kardinal Reinhard Marx einen Logenplatz: Direkt vor seiner Residenz im Erzbischöflichen Palais in der Kardinal-Faulhaber-Straße waren die Trachtler vorbeigezogen, Marx schaute vom Balkon aus zu - und über eine Truppe dürfte er sich besonders gefreut haben: Die Schützen der St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft aus dem ostwestfälischen Geseke hatten heuer auf seine Einladung an dem Umzug teilgenommen. Marx ist Geistlicher Prokurator der Sebastianus-Schützen und Geseke seine Heimatstadt - in der er am 21. September vor 70 Jahren zur Welt kam.

Fünf Jahre hat Marx nun noch, bis er die Altersgrenze erreicht, ab der Bischöfe dem Papst regulär ihren Rücktritt anbieten müssen. Wie das geht, weiß Marx bereits: Vor zwei Jahren hatte er weltweit Schlagzeilen gemacht, als er Franziskus um Demission bat. Er wolle "Mitverantwortung tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten", er sehe die Kirche an einem "toten Punkt". Franziskus bestärkte den Münchner Erzbischof zwar in seiner Analyse, beschied ihm aber auch, im Amt zu bleiben. Doch statt dies als Befreiungsschlag zu nutzen, wurde es erst einmal ungewöhnlich still um den sonst so wortgewaltigen Bischof.

Und so war Marx noch im Amt, aber nicht anwesend, als die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl das international mit Spannung erwartete Münchner Missbrauchsgutachten vorstellte. Marx selbst bescheinigten die Gutachter eine zu passive Rolle im Umgang mit Missbrauchsfällen. Positiv bewerteten die Gutachter, dass Marx sich nach 2010 um Aufklärung und Aufarbeitung bemüht und sich mit Betroffenen getroffen habe. Zudem hatte Marx 2021 mit 500 000 Euro aus seinem Privatvermögen die Stiftung "Spes et Salus" (Hoffnung und Heil) gegründet, die Betroffenen "den Weg zu Heilung und Versöhnung" ermöglichen will.

Als Johannes Paul II. den Sozialethiker und Professor für Christliche Gesellschaftslehre im Jahr 2001 zum Bischof von Trier ernannte, galt Marx noch als konservativer Kleriker. So suspendierte er im Jahr 2003 den Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl vom Priesteramt, weil dieser beim Ökumenischen Kirchentag einen Abendmahlgottesdienst gemeinsam mit Protestanten gefeiert hatte. Auch den Zölibat verteidigte Marx lange.

Inzwischen steht er Kirchenreformen offener gegenüber, er plädiert für eine Lockerung des Zölibats, setzt sich für mehr Frauen in Führungsverantwortung ein - auch wenn er die Priesterweihe für Frauen weiterhin skeptisch sieht. Und im vergangenen Jahr zelebrierte er zum ersten Mal den Queer-Gottesdienst in St. Paul.

Auch die Ökumene gedieh unter dem späteren Marx: Mit dem im Oktober scheidenden evangelischen Landesbischof und früheren EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm verbindet ihn eine gute Freundschaft. Bedford-Strohm würdigt zum Geburtstag "die Klarheit seiner Worte". Und er empfinde Dankbarkeit "für mutige Schritte der Öffnung", so der evangelische Landesbischof.

Unter Papst Franziskus gewann Marx auch im Vatikan an Einfluss: 2013 holte der Pontifex ihn in seinen Kardinalsrat und machte ihn damit zu einem seiner wichtigsten Berater. In seine Amtszeit als Chef der Deutschen Bischofskonferenz fiel auch die Veröffentlichung der MHG-Studie 2018 zum sexuellen Missbrauch in der Kirche.

Der Papst hat ihn nicht nochmal in den Kardinalsrat geholt

Aus der MHG-Studie (benannt nach den Orten des Forschungskonsortiums, Mannheim, Heidelberg, Gießen) resultierte schließlich der Synodale Weg, die Reformdebatte zwischen Klerikern und Laien. Marx gilt als ihr Erfinder. Doch der Synodale Weg geriet zunehmend unter Beschuss aus Rom, und Marx, der sich 2020 vom Vorsitz der Bischofskonferenz zurückgezogen hatte, blieb angesichts der heftigen Kritik auffallend still. Im März dieses Jahres wurde bekannt, dass Franziskus Marx nicht erneut in den Kardinalsrat geholt hatte. Bleibt ihm noch seine Aufgabe als Koordinator des vatikanischen Wirtschaftsrates.

"Alles hat seine Zeit", sagte Marx dazu. Für die Zukunft wünsche er sich, so sagte er dem Münchner Merkur, "dass sich meine Anwandlungen von Melancholie und Resignation nicht durchsetzen". Das Geburtstagsfest möge dabei helfen: An diesem Samstagabend zelebriert Marx einen Gottesdienst im Münchner Dom, anschließend gibt es auf dem Domplatz Bier, Brezen und Salutschüsse. Und mit Verwandten und engen Freunden geht der erklärte Wiesn-Fan noch aufs Oktoberfest.

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