Süddeutsche Zeitung

Kritik:Hochzeitstanz im Scherenschnitt

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Das Jewish Chamber Orchestra Munich spielt "Nigunim" von Moritz Gagern zu einem Video von Christoph Brech.

Von Klaus Kalchschmid

Schon bei der Uraufführung 2017 machten die 23 Sätze in drei Akten von "Nigunim" großen Spaß. Oft war das effektvoll malende, im wahrsten Sinne von Moritz Gagern "komponierte" Kammermusik in unterschiedlichster Kombination von Streichern, Akkordeon, Klarinette, Flöte, Trompete und Posaune. Nur selten musizierte das Jewish Chamber Orchestra Munich zusammen, so am Ende, wenn zum Hochzeitstanz aufgespielt wird, denn davon handelt die gute Stunde: Vorbereitung samt Riten zu einer jüdischen Hochzeit. Dazu hat Gagern Tonaufnahmen der 1910er-Jahre transkribiert, auf Grund der Vorlagen weitergesponnen oder frei "nachgedichtet".

Wenn zu dieser farbig gestenreichen Musik nun in den Kammerspielen bewegte Bilder dazukommen, dann erzählt Christoph Brech keineswegs die 23 Stationen der Partitur eins zu eins nach. Allerdings orientiert er sich an den drei stilistisch unterschiedlichen Gruppen. So werden zu den reinen Transkriptionen quasi mono und in Schwarzweiß die Stabpuppen entworfen, also gezeichnet, ausgeschnitten, schwarz bemalt.

Für die erweiterten Transkriptionen sieht das Publikum von oben und in Farbe, wie die Bühne und das Licht eingerichtet werden, die Puppenspieler vom Münchner Marionettentheater um Siegfried Böhmke sich vorbereiten und dann, wie sie einzelne Szenen im pastellfarben schattierten Scherenschnitt spielen. Die Szenen werden immer bewegter und kulminieren am Ende im ausgelassenen Tanz aller auf der Hochzeit, bei der sich Braut und Bräutigam nur mittels des an den Händen gehaltenen Schleiers berühren dürfen, der zuvor das Haupt der Braut bedeckt hatte.

Das offenbart einen Glauben an die Suggestion von Naivität, die man Christoph Brech, dessen Videos sonst so großen intellektuellen und ästhetischen Anspruch besitzen, kaum zugetraut hätte. Aber gerade deshalb hat ihn wohl diese Arbeit so gereizt und herausgefordert und alle in hohem Maße erfreut und animiert: ihn, das Jewish Chamber Orchestra Munich unter Daniel Grossmann und das Publikum.

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