Süddeutsche Zeitung

Buchhandlung "Word's Worth":Wasserdichte Picknickdecken

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In der englischen Buchhandlung "Word's Worth" haben schon Joe Cocker und Jürgen Klinsmann eingekauft. Über Stammleser, kritische Phasen und die Konkurrenz durch Online-Händler. Ein Besuch zum 30. Geburtstag.

Von Gerhard Fischer

Einmal war Joe Cocker da. Das heißt, zunächst war ein Mann von einer Konzertagentur da und sah sich im Laden um. Am Tag danach kam der Musiker dann selbst. "Er war freundlich und hat lange geschmökert", erzählt Bärbel Goldschmit. Und dann kaufte Cocker ein Buch von Daniel Defoe. Robinson Crusoe war es nicht. "Es war etwas Unbekannteres von Defoe", sagt sie.

Bärbel Goldschmit, 54, betreibt mit Günther Knust und Claus Melchior die englische Buchhandlung "Words' Worth", die diese Woche 30 Jahre alt wird. Words' Worth ist in der Schellingstraße 3 in jenem Gebäude untergebracht, in dem auch die Anglisten und Amerikanisten der Uni zu Hause sind. Das ist praktisch: Studenten sind gute Kunden, vor allem am Anfang des Semesters, wenn sie stapelweise Grammatikbücher kaufen. Aber Words' Worth hat nicht bloß Bücher, die Studenten brauchen.

Im Schaufenster steht ein Oscar-Wilde-Roman neben "The English Country House Garden" und dem Kinderbuch "Winnie the Pooh". Drinnen stößt man auf einen Tisch, der voll ist mit Tassen. Geschenkartikel gehören schon lange zum Sortiment - Tassen mit britischen Vögeln und Gartenmotiven, Tee, Marmelade, wasserdichte Picknickdecken, Tablets oder Geschirrtücher mit Motiven des Malers William Morris. Links vom Tisch führt eine Treppe nach oben, die Teilzeit-Mitarbeiterin Erika Schüler sitzt dort vor einem Computer und telefoniert. Zwischen den Regalen schwirrt Bärbel Goldschmit herum, eine quirlige Frau, die freundlich ist und schnell redet. "Wollen wir ins Café Kirschtörtchen gehen?", fragt sie.

Das Café Kirschtörtchen heißt natürlich anders, aber Goldschmit, Knust und Melchior nennen es so, weil es dort früher tolle Kirschtörtchen gegeben hat. Die drei Inhaber des Buchladens kennen sich seit ihrer Studienzeit, alle drei haben Anglistik studiert und sich angefreundet; Goldschmit und Knust sind sogar seit 25 Jahren ein Paar.

Im Café Kirschtörtchen erzählt Bärbel Goldschmit, sie habe schon als Schülerin ihre Ferien in England verbracht - bei einer Gastfamilie in Ludlow, einem Städtchen in der Grafschaft Shropshire. Die Grenze zu Wales ist nicht weit. "Englisches Landleben", sagt Goldschmit. "Ich durfte dort auch reiten." Und sie ging auch mal ins Theater. Stratford-upon-Avon, William Shakespeares Geburtsort, ist bloß gut 100 Kilometer entfernt.

Später, als sie studierte, verbrachte sie ein Jahr an der Uni in Exeter. Dem Land war sie längst verfallen, vor allem der Gegend im Südwesten: Devon. Wie gut, dass sich am Ende ihres Studiums die Möglichkeit ergab, sich bei der englischen Buchhandlung Words' Worth zu beteiligen. Leute, die Bärbel Goldschmit von der Uni kannte, hatten den Laden 1985 gegründet. 1989 stieg eine Frau aus, weil sie schwanger war. Goldschmit stieg ein. 1992 folgte Günther Knust, 1993 Claus Melchior.

Wo alle alles machen

"Anfangs gab es noch keine Computer, wir machten das alles mit Karteikarten", erzählt Bärbel Goldschmit. "Und die amerikanischen Verlage hatten manchmal sechs Wochen Lieferzeit - bis spätestens Ende Oktober mussten wir die Bücher bestellen, die wir für Weihnachten haben wollten." Heute geht vieles online, auch die Bestellung amerikanischer und englischer Bücher bei deutschen Großisten. Melchior ist für die Bestellungen und die Computer zuständig, Goldschmit für die Buchhaltung und die Geschenkartikel, Knust macht die Dekoration. Und ansonsten machen alle alles. Claus Melchior ist übrigens nicht nur Buchhändler, sondern auch Autor, er hat Bücher über den TSV 1860 München geschrieben. Er ist ein ganz blauer Löwe.

Bärbel Goldschmit hat eine Cola bestellt. Sie sagt, sie habe nie daran gezweifelt, dass es richtig war, in die Buchhandlung einzusteigen. Sie liebt diesen Laden. Das spürt man, wenn sie von ihm erzählt. Aber einmal gab es eine Phase, da bangten sie um ihre Buchhandlung. Bis 2003 war Words' Worth in einem Rückgebäude in der Schellingstraße 21 untergebracht. Dann ergab sich die Möglichkeit, die englische Buchhandlung im Unigebäude in der Schellingstraße 3 zu übernehmen; der Inhaber war in Rente gegangen.

Als das Internet zur Konkurrenz wurde

Zwischen 2003 und 2006 betrieben Goldschmit, Knust und Melchior den Laden in der Schellingstraße 3 und den Laden in der Schellingstraße 21, den einen für die Studenten, den anderen für die anderen Kunden. Als sie 2006 das Geschäft in der Schellingstraße 21 aufgaben, weil es doch zu viel wurde, mussten sie dort weitere eineinhalb Jahre Miete zahlen. "Da hätten wir mehr Kulanz vom Vermieter erwartet", sagt Goldschmit.

Es war auch die Zeit, als das Internet eine größere Konkurrenz wurde; als die Leute die Bücher immer öfter online bestellten. Words' Worth hatte da einen doppelten Nachteil: Erstens ist das Bücher-Bestellen übers Internet bequemer, und zweitens im Falle von englischsprachiger Literatur oft billiger. Es gibt für importierte Bücher keine Buchpreisbindung.

Bärbel Goldschmit nimmt einen Schluck aus ihrer Cola. Dann erzählt sie weiter. Sie lächelt, während sie redet. Aber das liegt eher an ihrem Gemüt - sie lächelt oft - als am Inhalt des Gesprochenen. Es gab nämlich noch mehr Probleme in der Mitte der Nullerjahre. "Bibliotheken, die früher bei den lokalen Buchhandlungen bestellt hatten, begannen damals, Bibliotheksdienste zu nutzen", sagt sie. Diese Dienste besorgen Bücher für Bibliotheken online.

Lieber in den Buchladen als zum Online-Händler

Und schließlich kam noch hinzu, dass zu dieser Zeit "die anglophilen Gefühle der Deutschen nachließen". Goldschmit meint, dass es vielleicht mit der Politik zu tun gehabt habe, mit der Politik Bushs, der den unsäglichen Irak-Krieg begonnen hatte, und mit der Politik Blairs, der Bush in diesen Krieg gefolgt war.

Heute hat sich die Lage sehr verbessert: Die Leute sind wieder anglophiler, und die Leute sind kritischer, was das Bücher-Bestellen über das Internet angeht. "Die Kunden denken mehr nach", sagt Bärbel Goldschmit, es gebe ja viele negative Artikel über Online-Händler. Zudem, glaubt sie, fänden es wieder mehr Menschen schöner, "dass es diese kleine Läden in München gibt". Sie bemerkt diesen Bewusstseinswandel auch bei jungen Leuten.

Und auf ihr Stammpublikum konnten sie sich ohnehin immer verlasen: alte Schwabinger, Anglophile, Studenten, Engländer, die in der Stadt leben, ein paar Prominente, die gerne die Ruhe im Laden genießen und deren Namen Goldschmit nicht nennen will, der Ruhe wegen. Heute hat Bärbel Goldschmit das Gefühl, "dass die schlimmste Zeit hinter uns liegt". Das 30-Jährige wollen sie den ganzen November über feiern, dafür werden die Schaufenster eigens dekoriert - und vom 4. November an, dem Tag des Jubiläums, gibt es eine Tombola, bei der jedes Los gewinnt.

Jürgen Klinsmann war übrigens öfter im Words' Worth. Er war ja als Spieler und als Trainer beim FC Bayern, und seine Frau ist Amerikanerin. "Er war sehr freundlich, sehr entspannt, sehr interessiert", erzählt Bärbel Goldschmit. Und Claus Melchior, der tausendprozentige Sechziger - hat er den Bayern Klinsmann überhaupt bedient? Goldschmit lächelt. Dann sagt sie: "durchaus."

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Quelle:
SZ vom 28.10.2015
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