Süddeutsche Zeitung

Jubiläum:Feudales Rathaus

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Vor hundert Jahren kaufte Ismaning von der Stadt München das örtliche Schloss. 1934 zog die Gemeindeverwaltung ein

Von Sabine Wejsada

Alexander Greulich ist der einzige Schlossherr unter den Bürgermeistern im Landkreis München. Natürlich spricht den SPD-Politiker niemand mit "Seine Durchlaucht" an, und ganz so vornehm wie in längst vergangenen Zeiten geht es im Ismaninger Rathaus auch nicht zu. Die Räumlichkeiten aber sind noch immer herrschaftlich, wer durch die Gänge spaziert, kann zumindest erahnen, dass er in einem früheren Schloss ist. Spätestens beim Besuch des Roten und des Blauen Saals sind dann aber alle Zweifel wie weggeblasen - angesichts der Anmut von Mobiliar, Wand- und Deckenmalereien.

Wer etwas über die Geschichte des Schlosses im Allgemeinen und über den Kauf desselben vor genau 100 Jahren durch die Gemeinde Ismaning im Speziellen erfahren möchte, ist bei Christine Heinz richtig. Am Freitag, 15. November, jährt sich das für den Ort so wichtige Ereignis. Die Leiterin des Schlossmuseums kennt sich ganz genau mit dem historischen Zentrum der Gemeinde aus, und sie ist ihm seit mehr als 20 Jahren verbunden, seitdem sie 1997 dort zu arbeiten anfing.

Herrschaftlich: Das Ismaninger Schloss ist Sitz der Gemeindeverwaltung.

Wunderbare Räume beherbergt das Schloss in Ismaning.

Die Mauern und Decken im Blauen und Roten Saal zieren vielfältige Wandmalereien.

Die historische Aufnahme zeigt das Schloss kurz vor dem Kauf.

Das Kaufinteresse der Gemeinde galt in erster Linie dem Grundstück. Unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung machten sich die Ismaninger daran, eine Straße durch den Schlosspark zu bauen. Der Park selbst war früher von hohen Mauern umgeben und nur den Schlossbewohnern zugänglich, nach dem Besitzerwechsel wurde die Anlage peu à peu für die Allgemeinheit geöffnet.

Nach den Worten von Heinz dauerte es aber noch viele Jahrzehnte, bis die Ismaninger sich wirklich trauten, den Schlosspark als den ihren anzunehmen. So richtig geschehen ist das nach der Beobachtung von Heinz erst, nachdem die Gemeinde 2009 zur 1200-Jahr-Feier ihr Dorffest in der historischen Grünanlage veranstaltete. Seitdem gehört der Park offenbar so richtig den Ismaningern. Zuvor hätten die Menschen wohl noch immer zu große Ehrfurcht empfunden, um sich etwa auf die Wiesen zu legen oder mit dem Hund durchzuspazieren.

Es war der 15. November vor 100 Jahren, als im Notariat München XI nach langen und zähen Verhandlungen der Vertrag unterschrieben wurde, wonach das Schloss Ismaning von der Stadt München in das Eigentum der Gemeinde überging - für 340 000 Reichsmark, wie Heinz berichtet. Weil die Gemeinde das Geld nicht allein aufbrachte, sprangen 22 Bauernfamilien ein und zahlten mit. Vereinbart wurden zudem Tauschgeschäfte von Ackergrund; insgesamt 75 Tagwerk Gemeindegrund seien an München gegangen, alles Flächen, die direkt an die städtischen Güter Zwillings- und Karlshof anschlossen, so Heinz.

Gleich nach der Vertragsunterzeichnung machten sich die Ismaninger daran, die seit langer Zeit gewünschte Verkehrsverbindung durch den Schlosspark zu bauen und so die Verbindung von Ober- und Unterdorf zu vollenden. 500 Jahre lang sei der Schlosspark quasi ein "blinder Fleck" gewesen, sagt Heinz. Weil er verschlossen war, mussten Bauern wie Bürger einen Umweg in Kauf nehmen. Mit der neuen Straße änderte sich das; zu Beginn allerdings waren die Durchfahrtszeiten laut Heinz reglementiert. Zumindest für die Normalbürger. "Der Dorfarzt durfte sie immer nutzen", sagt die Leiterin des Schlossmuseums.

Das Schloss selbst war vor 100 Jahren in einem maroden Zustand: Die Mauern waren feucht, die Fenster undicht und das Dach baufällig. Die Stadt München hatte die Anlage 1899 von Michael Ritter von Poschinger, dem letzten adeligen Besitzer, übernommen. Im Schloss wurden einige Wohnungen und ein Ferienheim für Münchner Mädchen eingerichtet, die sich in der guten Ismaninger Luft, dem "Krautdunst", erholen sollten, wie Christine Heinz berichtet. Am Ende des Ersten Weltkrieges stand das Gebäude aber offenbar leer, denn nach nicht einmal 20 Jahren kamen in München Überlegungen auf, Schloss und Park wieder zu veräußern. Eine Gelegenheit, die Ismaning nicht vorüberziehen ließ.

Die Gemeinde hatte sich am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem aufstrebenden Ort entwickelt und wollte die Teilung des Dorfes durch das Schlossgelände überwinden. Laut Volkszählung vom Oktober 1919 hatte Ismaning damals 2402 Einwohner; es gab 151 Bauernhöfe, immerhin zwölf Lebensmittelgeschäfte, drei Schmieden, drei Wagner, drei Sattlereien, eine Gendarmerie, eine eigene Bahnstation, ein Postamt, eine öffentliche Telefonstation eine Telegrafenanstalt mit Tagesdienst, einen Allgemeinarzt und einen Tierarzt, wie im Archiv dokumentiert ist. Die allgemeine Wohnungsnot führte dazu, dass die Gemeinde gleich nach dem Kauf im Schloss und seinen Nebengebäuden Wohnungen einrichten ließ.

Im Jahr 1934 wechselte die Gemeindeverwaltung dann vom Feuerwehrhaus in einige Räume des Schlosses, seit Mitte der Fünfzigerjahre wird dieses ausschließlich als Rathaus genutzt. Und Zug um Zug hergerichtet. In den Sechzigerjahren gab es laut Heinz die erste Renovierungswelle, in den Neunzigern die zweite. Heute sind Schloss und Park ganz selbstverständlich der lebendige Mittelpunkt von Ismaning. Wer ins Rathaus muss, wandelt auf historischen Wegen. Und drin sitzt ein Bürgermeister, der sich - den vielen Fotos nach zu schließen, die Alexander Greulich auf Facebook postet - an der altehrwürdigen Umgebung seines Arbeitsplatzes kaum sattsehen kann. Der Schlossherr hat eben was zum Herzeigen.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2019
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