Süddeutsche Zeitung

Innenstadt:Braucht die Münchner Fußgängerzone Poller gegen LKW-Anschläge?

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Schmidt, München

Was ein einzelner Terrorist nur mit einem Fahrzeug als Waffe anrichten kann, weiß die Welt spätestens seit dem 14. Juli 2016. Tatort Nizza: 86 Tote, mehr als 400 Verletzte. Tatwaffe: ein weißer Lastwagen vom Typ Renault Midlum, mit Vollgas in eine Menschenmenge gelenkt.

Es dauerte nicht lange, bis sich das Unfassbare wiederholte. Zuerst in Berlin, Weihnachtsmarkt, Dezember 2016: elf Tote, 55 Verletzte. Tatwaffe: ein schwarzer Scania-Sattelzug. Dann, im April, Stockholm: fünf Tote, 14 Verletzte. Tatwaffe: ein dunkelblauer Lkw einer Brauerei. Und schließlich, am 17. August, Barcelona: 14 Tote, mehr als 100 Verletzte. Tatwaffe: ein weißer Lieferwagen vom Typ Fiat Talento.

Nichts, keine Sperren oder Poller, hielten diese tonnenschweren Fahrzeuge auf. Die schrecklichen Taten haben letztlich dazu geführt, dass nun auch in München Behörden und Politik darüber nachdenken, ob man die hiesige Fußgängerzone besser vor möglichen Angriffen schützen sollte.

"Die Gefahr von Anschlägen durch Fahrzeuge diskutieren wir schon seit 15 Jahren", sagt Norbert Gebbeken. Der Risikoforscher der Bundeswehruniversität ist Experte für Sicherheitssysteme gegen Explosionen, Anschläge und Katastrophen. "Aber wenn wir mit solchen Szenarien an die Politik gehen, ohne dass etwas passiert ist, was uns unmittelbar betrifft, dann hört die Politik weg", sagt der Ingenieur.

Dass ein Lkw absichtlich in eine Menschenmenge gesteuert wird, galt lange als extrem unwahrscheinlich. Dennoch haben Spezialisten für Terrorschutz bereits Lösungen entwickelt, die seit vielen Jahren erhältlich sind. Laut Gebbeken sind sie sehr effektiv - und manchmal überraschend kreativ.

In der Theorie klingt es zunächst simpel: Würde man alle Zufahrten zur Fußgängerzone blockieren, könnte dort kein Lkw durch die Menge pflügen. Gemeinsam mit der Polizei prüft das Kreisverwaltungsreferat (KVR) derzeit verschiedene Modelle.

Neu ist die Technik nicht. Bereits 2011 wurden Anti-Terror-Sperrpoller der Firma Tescon-Security an der Theresienwiese installiert. An den Zufahrten zur Fußgängerzone ist die Aufgabe jedoch komplexer. Der Lieferverkehr muss berücksichtigt werden und die Rettungswege für Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen müssen rund um die Uhr frei befahrbar sein.

Intelligente Stadtmöblierung

Die wohl einfachste Lösung sind versenkbare Poller, wie sie zum Beispiel vor dem jüdischen Zentrum am Sankt-Jakobs-Platz stehen. Doch Poller verschönern nicht gerade das Stadtbild, sie können sogar den Eindruck einer abstrakten Gefahr vermitteln. Es gibt aber auch subtile, ästhetische Lösungen, Elemente, die wie Poller wirken, aber nicht so aussehen.

Mehr Schutz für Städte: Swarovski-Fabrik in Wattens,...

...begrünte Autobarrieren...

...und riesige Blumenkübel in den Vereinigten Staaten,...

...Designer-Sperren auf einem "Turntable" in New York...

...und Poller am Münchner Sankt-Jakobs-Platz.

Gebbeken spricht von "intelligenter Stadtmöblierung". An der New Yorker Wall Street stehen goldfarbene Würfel, die wie Kunstwerke aussehen. Gewaltige Blumenkübel aus Beton können schwere Lkw stoppen, es gibt speziell gehärtete Sitzbänke oder begrünte Schutzwälle.

Solche Hindernisse würden auch helfen, wenn ein Fahrer die Kontrolle verliert und von der Straße abkommt. Viele europäische Metropolen täten "sehr viel mehr als Deutschland", sagt Gebbeken. "Bei uns geht das erst los." In England, Spanien, Frankreich, Norwegen oder Schweden sei man deutlich weiter.

Bei der Polizei herrscht Sympathie für die Idee. "Poller können eine sinnvolle Ergänzung zu bereits vorhandenen Schutzmaßnahmen sein", erklärt Pressesprecher Sven Müller. "Grundsätzlich sind alle Maßnahmen zu begrüßen, die die Sicherheit im Stadtgebiet erhöhen." Allerdings, schränkt Müller wie auch das KVR ein, müssten die Rettungswege frei bleiben.

Technisch sei das kein Problem, erklärt Gebbeken. Poller lassen sich per Zeitschalter oder Fernbedienung im Boden versenken und wieder herausfahren. Auch für ästhetische Sperren wie Blumenkübel gebe es längst mobile Lösungen, sogenannte Turntable. Das Hindernis werde dabei auf einer drehbaren Bodenplatte montiert. Soll der Weg freigemacht werden, dreht die Platte die Sperre einfach zur Seite.

Für die Innenstadthändler ist entscheidend, dass die Fußgängerzone nicht vom Lieferverkehr abgeriegelt wird. Doch wer soll für sie die Kontrolle über die Sperren übernehmen? Soll man Hunderten Lkw-Fahrern Poller-Fernbedienungen in die Hand drücken, die dann an die Falschen geraten könnten?

Der Geschäftsführer von City-Partner, einer Marketinggesellschaft der Innenstadthändler, schlägt eine pragmatische Lösung vor: Bisher dürfen die Geschäfte bis 10.15 Uhr beliefert werden, plus eine Viertelstunde Kulanzzeit. "Danach darf der Lieferverkehr sowieso nicht mehr rein", erklärt Wolfgang Fischer. Er könne sich gut vorstellen, dass die Wege bis 10.30 Uhr offen bleiben - und anschließend fahren die Poller hoch.

Vormittags sei in der Fußgängerzone ohnehin wenig los. Sobald der große Ansturm beginnt, wären die Sperren in Position. Mit dieser Lösung wäre es ausreichend, nur Polizei und Rettungsdienste mit Fernbedienungen oder Funk-Chips auszustatten. "Wenn man sich die letzten Anschläge anschaut, dann hat sich gezeigt, dass gezielt exponierte Orte ausgesucht worden sind", gibt Fischer zu bedenken. "Da muss man jetzt ganz neutral und emotionslos sehen: München hat die exponierteste und am stärksten frequentierte Fußgängerzone Deutschlands."

Bleibt noch die Frage nach den Kosten. Wie hoch sie für die Absicherung der Fußgängerzone wären, wollen weder Gebbeken noch das KVR schätzen, nicht mal grob. Die 100 starren und 80 ausfahrbaren Poller an den 16 Zufahrten der Wiesn kosteten damals etwa 3,3 Millionen Euro.

Die Sicherung der Fußgängerzone käme sicher teurer. Der Preis hänge vor allem davon ab, gegen welche Fahrzeuge man absichern wolle, erklärt Gebbeken. Bei Pollern gebe es sieben Kategorien, angefangen beim Schutz gegen Kleinwagen bis hin zum schweren Sattelzug. "Es gibt für fast alles eine technische Lösung", sagt er.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2017
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