Süddeutsche Zeitung

Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 5:Raus aus der Komfortzone

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Der Architekt und Vernetzer Christos Chantzaras wünscht sich mehr Räume für Spontanes - für eine bunte Stadt

Von Christiane Lutz

Was ist der Weg vom Bürostuhl in die Kantine? Zur Kollegin in einer anderen Abteilung? Was ist die Aufzugfahrt am Morgen, bei der oft betreten geschwiegen wird? Für die meisten Arbeitsmenschen sind das Zweckwege. Strecken, die halt zurückgelegt werden müssen. Für Christos Chantzaras sind diese Wege viel, viel mehr. "Wen treffen wir? Wo führen die Wege entlang? Zirkulation heißt nicht, am schnellsten von A nach B zu kommen. Das Zwischenstück ist das wichtigste Element, um etwas aufzunehmen, um Leute zufällig zu treffen", sagt er fast schwärmend, wenn er beschreibt, wie die Wegführung in einem Unternehmen funktionieren könnte. Der Sinn des Weges ist nicht das Ziel, sondern unterwegs etwas Unverhofftes aufzunehmen. Was wie ein Kapitel aus einem Optimierungsratgeber für Büroalltag klingen könnte, ist viel mehr seine Überzeugung: Wenn Arbeitsräume klüger gestaltet wären, würden die Mitarbeiter glücklicher, kreativer, und ein Unternehmen letztlich erfolgreicher.

Das zu erforschen und in die Welt zu tragen, ist Teil von Christos Chantzaras Beruf. Als Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU München beschäftigt sich der 42-Jährige mit dem Design von Arbeitsräumen. Davor war er zehn Jahre lang als Architekt beschäftigt und beriet Unternehmen auch bei der Planung ihrer Büroräume. Er spricht über modernes Design auf Tagungen, hält Ted-Talks zu dem Thema. Derzeit schreibt er an einer Doktorarbeit, in der er den Zusammenhang zwischen Kreativität, Innovation und Raum untersucht. Er will die Fakten und Zahlen schaffen, die in die Gebäudeplanung einfließen können und die belegen: Der Raum ist wichtig. Er hat mal BWL studiert, er kennt sich also auch mit Zahlen aus und weiß, was Manager brauchen. "Mich treibt der Optimismus an, dass jeder neue Bau eine neue Chance ist, was besser zu machen. Weniger ein Frust, als mehr eine tief sitzende Überzeugung. Wenn wir unsere Unternehmen anders entwickeln, werden wir bessere Städte und bessere Unternehmen haben, dann haben wir auch eine nachhaltigere Welt. Eine bessere Gesellschaft." Die Zukunft einer Stadt liegt für Chantzaras also auch in der Frage nach der guten Arbeit.

Sein eigener Arbeitsplatz zur Zeit: eine lange Bank in einer offenen Küche in Giesing. Produktivität: ganz gut. Spontane Kollegen-Kontakte: null. Normalerweise teilt er sich das Büro mit Kollegen, er liebt das Ping-Pong-Spiel mit Ideen, das Ungeplante, Konfrontation und Kritik. Zuhause fehlt das. Aber was soll er machen? Geht eben zur Zeit nicht. Chantzaras findet auch diese Erfahrung interessant: "Die Menschen merken mit der Pandemie, dass es zuhause nicht so schön ist, wie sie dachten. Und dass das Büro, wenn sie da allein sind, auch nicht so schön ist wie sonst."

In der deutschen Bürolandschaft galt lang das Pragmatismus-Prinzip: funktional und bloß nicht zu gemütlich. Der Chef sitzt oben, das Volk unten. Und irgendwo steht ein teurer Sessel. "Es gehörte zur Mentalität, dass Arbeit in einem dafür vorgesehenen Raum stattfindet und zeitlich eingetaktet ist. Das Bürogebäude war ein funktionales Investment und wurde nie als Ressource verstanden, die Mitarbeiter und die Organisation weiter zu bringen", sagt Chantzaras morgens in einem Café beim dritten Kaffee seines Tages. Ein Frühaufsteher. Das Bewusstsein für diese Ressource aber habe sich in den vergangenen Jahren verändert. Unternehmen wie Apple und Google machten vor, dass es anders gehen kann. Sie verbannten den Ledersessel, schufen offene Arbeitsbereiche, und der Chef saß mittendrin, statt obendrauf. "Wenn man mündige und kreative Mitarbeiter möchte, lebt man ihnen nicht vor, das man mehr Geld hat und im Vorstand sitzt", findet Chantzaras. Er ist sicher: "Es wird immer wichtiger sein, dass das Gebäude den Mitarbeitern guttut. Die Architektur ihnen guttut, von Materialien bis zur Organisation."

Aber wie sähe es aus, so ein gut tuendes Bürogebäude? Chantzaras schießt los: offene Atrien, offene Räume, damit die Menschen einander begegnen können. Er findet Transparenz wichtig, weniger Wände, Durchblicke schaffen. Eine Balance zwischen Konzentration und Exploration. Und dem Zufall immer Raum lassen. Auch eine Öffnung zur Stadt sei schlau und natürlich ein gutes Wege-Konzept.

Arbeiten ist für ihn aber nicht nur das Büro, er plädiert für Homeoffice und für sogenannte "Third Spaces", also dritte Orte außerhalb von beidem - ein Café vielleicht, ein Coworking-Space - an dem sich Kollegen austauschen können, ohne ins "Headquarter" zu müssen. Wenn Chantzaras spricht, klingt das vollkommen logisch und sehr leicht umzusetzen. Vor allem will man sofort in solch einem Büro arbeiten. Chantzaras ist flink und lässt sich in seinen Ideen nicht durch scheinbar nebensächliche Dinge wie hohe Mieten in München beirren. "Ach", sagt er, "andere Städte haben doch dieselben Herausforderungen - New York, London - da sind Kreative auch extrem gefordert. Das mit den Mieten nervt total, das ist aber nichts, das man als erstes angreifen müsste."

München findet er für seine Ideen einen guten Ort, er mag die Mischung aus Stadt erleben und in der Stadt arbeiten können. Projekte wie das ehemalige Lovelace oder die Alte Utting sind ganz nach seinem Geschmack. Um solche Projekte künftig schneller möglich zu machen, hat er mit ein paar Kollegen "Make Munich Weird" gegründet, ein Netzwerk, in dem sich Menschen mit Ideen verbinden können. Weird, das heißt ungewöhnlich oder schräg. Der Slogan kommt aus Portland, mit "Keep Portland weird" protestierten Menschen dort gegen Gentrifizierung. Ehrlicherweise, sagt Chantzaras, war München noch nie "weird", sondern müsse sich erst mal trauen, "weird" zu werden. "Wir wollen die Leute zu einer Aktion bewegen. Da gibt es eine Fläche, einen Raum, mit wem müssen wir reden? Sie sollen das nicht allein machen müssen. Wir sind dazu da, den Dialog und die Vernetzung weiterzutreiben." Für eine Stadt dieser Größe, findet Chantzaras, gäbe es nämlich viel zu wenige, die sich was trauten. Dabei läge die Verantwortung bei jedem einzelnen. Die Stadt darf man nicht nur konsumieren, man muss sie mitgestalten.

"München müsste anfangen, loszulassen von den herkömmlichen Symbolen des Erfolges. Von größeren Autos, größeren Wohnungen. Das wird hart. München müsste mehr Ungeplantes zulassen. Dinge, von denen man nicht weiß, ob sie ein Erfolg werden, unterstützen." Er sagt auch: "Je gemütlicher eine Stadtgesellschaft wird, desto weniger Impulse kommen. Umso stärker fallen dann neue Impulse auf und werden als störend empfunden. Wie im Sport. Wenn ein Muskel erschlafft, wird man immer müder." Als schlechtes Beispiel nennt er den Ort des einstigen Lovelace, bei dem mitten in der Stadt einige Zeit lang Kultur im Gebäude der zum Hotel umgebauten alten Bayerischen Staatsbank betrieben wurde. Jetzt ist die Zwischennutzung vorbei, das Gebäude wird saniert. "Wenn da jetzt ein teures Hotel reinkommt, da legt sich doch die Stadt zum schlafen nieder!" Ein Skandal, findet er.

Doch Christos Chantzaras wird sich nicht mit Jammern aufhalten. Es gibt zu viel zu tun.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2020
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