Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Ein sehr langer Weg

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Der Geflüchtete Nuur A. will Sanitäter werden.

Von Berthold Neff, München

Wie viel Kraft braucht du, um die Sahara zu bezwingen? Bis zu ihrem Ende - oder bis zu deinem? Fragen wie diese waren es, die Nuur A. (Name geändert) im Kopf herumgeisterten, als er sich auf den langen Weg machte vom Horn von Afrika ins ferne Europa. Das Leben in dem von Bürgerkriegen zerrütteten, von islamistischen Milizen terrorisierten, bitterarmen Somalia war zur Hölle geworden. Die Radikal-Islamisten der al-Shabaab-Milizen hatten ihn, da war er noch ein halbes Kind, rekrutieren wollen, morden sollte er für sie. Dann, so erzählt Nuur A. stockend, suchte ihn sein Vater. Der Junge kam frei, aber vom Vater fehlt jede Spur: "Wir wissen nicht einmal, wo sein Grab ist."

Aufgewachsen ist Nuur A. in einem Dorf, das etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt Mogadischu entfernt ist. An seine Kindheit erinnert er sich gerne. Das Bisschen, was sie auf dem Feld anbauten, reichte zum Leben für die Familie, für ihn und seine beiden Brüder. Er ging zur Schule, lernte leicht und gern. Dann aber machte der Bürgerkrieg und der religiöse Hass diesem schweren, aber erträglichen Leben ein Ende. Und auch wenn er es schaffte, der al-Shabaab-Miliz zu entkommen; der Dienst im regulären Militär Somalias wäre nicht viel besser gewesen. Die Flucht erschien dem damals 18-Jährigen als letzte, als einzige Möglichkeit.

Und wie war das dann auf dem langen Weg durch die Sahara? Nuur A., der im Gespräch immer wieder ein Lachen hervorblitzen lässt, schüttelt auf diese Frage bekümmert den Kopf. Er nimmt einen Schluck des somalischen Tees, den seine Frau serviert. Er sagt nur, dass er fast zwei Jahre gebraucht hat, ein knappes Jahr davon habe er in Libyen im Gefängnis gesessen. Auch davon, das spürt man, will er nicht mehr reden. Aber dann stand er irgendwann vor der nächsten Hürde, dem weiten Meer. Schwimmen konnte er zwar, denn bei ihnen im Dorf gab es einen Fluss, in dem die Kinder herumtollten. Aber was würde ihm das helfen, wenn das Boot mitten im Meer unterginge? Irgendwie schaffte er es bis Italien und danach, als blinder Passagier auf einem Güterzug, bis Rosenheim.

In Deutschland schöpfte er neue Hoffnung. Zwar konnte er die Behörden zunächst nicht davon überzeugen, dass ihm in Somalia Schlimmes drohte, aber dann schaffte er es doch. Und er begann, Deutsch zu lernen, was vom Alphabet her zu schaffen war, denn seine Muttersprache, das Somali, benutzt die lateinische Schrift. 2019 schaffte Nuur A. den Hauptschulabschluss, arbeitete als Gabelstaplerfahrer, kam einigermaßen über die Runden. Aber er wollte eine Ausbildung, um die Familie ernähren zu können. Und er wollte seiner Frau, die ebenfalls aus Somalia stammt und die er hier kennenlernte, und ihrer mittlerweile vier Jahre alten Tochter ein Zuhause geben. Sie sollten nicht länger in Obdachlosenunterkünften oder Pensionen leben müssen.

Und so begann der heute 26-Jährige die Ausbildung zum Rettungssanitäter, die er in Kürze abschließen wird. Das Jobcenter finanziert ihm diese Chance und auch den Führerschein, doch um die Fahrzeuge lenken zu können, wird er wohl den C-1-Führerschein benötigen. Es fällt ihm und seiner Familie aber schwer, von dem geringen Einkommen etwas wegzulegen. Dabei wird so vieles dringend gebraucht in der Sozialwohnung in Neuaubing, die sie vor einem Jahr bezogen haben. Die Tochter leidet an einer Allergie, bräuchte eine spezielle Matratze. Und Winterschuhe. Und einen Mantel. Ein besseres Bett, einen Lattenrost. Und Fahrräder, damit die Familie einen Ausflug machen kann.

Davon redet Nuur A. nur beiläufig. Er will es aus eigener Kraft schaffen, auf eigenen Füßen stehen. Als Rettungssanitäter anderen helfen. Wie gerne hätte er das für seine Mutter getan. Sie starb an Krebs, als ihr Sohn schon in der Fremde war - die ihm nun zur Heimat werden soll.

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