Süddeutsche Zeitung

Haidhausen:Der Ostbahnhof ist ein Ort zum Abhauen

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Überall auf der Welt gibt es reisefreundlichere Bahnhöfe als in München-Haidhausen - denn der Ostbahnhof ist nichts anderes als eine willkürliche Anordnung von Imbissbuden.

Kommentar von Rudolf Neumaier

Am Ostbahnhof reißen sie jetzt Schließfächer raus, und man kann eine Fuhre Mohnkuchen darauf wetten, was an ihre Stelle kommt. Eine Imbiss-Station höchstwahrscheinlich, vermutlich gar ein weiterer Stand, der Backwaren und Kaffee zum Mitnehmen anbietet. Davon gibt es ja erst ein halbes Dutzend auf einer Fläche, die kaum größer ist als zwei Tennisplätze.

Man muss sich wundern, dass sich neben einer Apotheke und einem Schuhsohlenrestaurateur immerhin zwei Zeitschriftenläden und eine Tabaktrafik bis heute halten konnten. Ein französischer, ein hochpreisiger, ein billiger und ein ökologischer Bäcker sind schon da, auch der Ableger einer US-Donutkette. Es fehlen aber definitiv noch ein veganer Backshop, eine Edel-Boutique für italienische Cantuccini und ein Spezialist für kasachisches Fladenbrot.

Nichts gegen Brezen. Und Rosinenschnecken sind etwas Wunderbares! Sogar der Geruch von Kaffee ist behaglich, wenn er zart durch die penetranten Dönerdampfschwaden dringt, die einem schon vormittags bei der Rolltreppenfahrt in diesen Fresskeller entgegenwallen. Aber eine Stehimbiss- und Bäckermeile macht noch keinen Bahnhof. Denn ein Bahnhof besteht aus Gleisen, einem Fahrkartenschalter und einer Wartehalle. So gesehen ist der Durchgang zwischen Orleansplatz und Friedenstraße kein Bahnhof, sondern eine abstoßende Unterwelt mit Gleisanschluss.

Wer auf einen Zug warten muss - und sowas kommt schon mal vor, wenn man mit der Eisenbahn reist -, der kann nur verzweifeln am unterirdischen Anti-Komfort des Ostbahnhofs. Die Bahn stellt sich das so vor: Wer die Zeit totschlagen muss und dabei sitzen und vielleicht eine Zeitung lesen will, soll das gefälligst in einer der gastronomischen Ecken erledigen oder auf dem Bahnsteig. Eiseskälte, Sturm, Platzregen, Gluthitze? Dafür kann die Bahn ja nichts.

Der Ostbahnhof ist ein Ort zum Abhauen: nichts wie raus! Überall auf der Welt gibt es reisefreundlichere Bahnhöfe als in München-Haidhausen. Selbst in der kasachischen Steppe sind die Bahnhöfe gemütlicher. Es gibt dort vielleicht keine Schließfächer, aber kasachisches Fladenbrot bis zum Abwinken. Und vor allem einen Warteraum.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2017
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