Süddeutsche Zeitung

Grünes Hochhaus in München:"Man kann Pflanzen nicht dressieren"

Lesezeit: 2 min

Von Alfred Dürr

Es ist noch gar nicht so viele Jahre her, da kümmerte sich kaum jemand um extensiv begrünte Flachdächer. Kies statt Wiesen und Pflanzen ganz oben auf den Gebäuden - das war Standard. Doch der kahle Steinchenteppich ist längst aus der Mode gekommen, heute gibt es fast überall kleine Landschaften auf den Häusern. Dieses Thema weitet sich nun in München aus. Erstmals ist in der Stadt ein 52 Meter hoher Büro- und Wohnturm mit vollständig begrünten Fassaden geplant. Droht ein Flop oder handelt es sich hier um einen Fortschritt zur Rettung des Grüns in der immer dichter bebauten Großstadt? In der Fachwelt ist man sich nicht einig.

Ein besonderes städtebauliches Zeichen will Investor Stefan Pfender vom Unternehmen "Arabella 26 Liegenschaftsverwaltung" mit dem 16-geschossigen Hochhaus setzen. Früher war auf dem Grundstück zwischen dem Hypo-Hochhaus und dem gerade eröffneten geschwungenen Bürogebäude eine Postfiliale. Jetzt nutzt die Telekom noch einen Teil des Areals. In den unteren Stockwerken des künftigen Turms werden Büros sein, darüber etwa 50 Eigentumswohnungen. Alle Etagen bekommen vertikale Gärten.

"Wir haben es uns nicht leicht gemacht mit diesem Projekt", sagt Architektin Aika Schluchtmann. Über zwei Jahre hätten die intensiven Vorarbeiten gedauert. Gemeinsam mit der Fachfirma Vertiko aus dem Südschwarzwald sei das Grünkonzept entwickelt worden.

Professor Peter Kiermeier, der als Dozent an der Hochschule Weihenstephan für Bepflanzungsplanung, Gebäudebegrünung und urbanes Grün zuständig war, äußert starke Zweifel: "Man kann Pflanzen nicht dressieren wie ein Tier." Es werde mit mehr Euphorie als Sachverstand gearbeitet. Seine Bedenken richten sich gegen extreme Klimabelastungen, denen die Pflanzen gerade in großer Höhe ausgesetzt seien. Auch starke Winde machten den Naturfassaden zu schaffen. Ganz zu schweigen vom Pflegeaufwand, also dem regelmäßigen Gießen und der Entsorgung des Laubs. Kiermeier: "Das Grün einfach hochzuklappen, ist kein leichtes Unterfangen."

Gärtnermeister Stefan Brandhorst von der Firma Vertiko räumt ein, dass "das Wissen über Fassadenbegrünungen seit Jahrzehnten stagniert". Es gebe auch genügend schlechte Projekte. Diese seien allerdings nicht an den unabänderlichen Bedingungen gescheitert, sondern etwa an "zu kleinen Pflanzquartieren", schlecht durchdachten Kletterhilfen oder mangelnder Pflege und Versorgung.

Bei dem Arabellapark-Projekt will man aus Erfahrungen von Kollegen, Planern und entsprechenden Fachverbänden lernen. So gelten die runden Formen des Hochhauses als Schutz gegen starke Winde. Außerdem werde geschossweise und jeweils nur drei Meter hoch gepflanzt. "Damit wird die Empfindlichkeit an der Triebspitze gemindert", erklärt Brandhorst. Eine über Sensoren gesteuert Anlage sorgt für eine gleichmäßige Bewässerung. Verwendet wird Regenwasser, das in Bodentanks und kleineren Behältern auf den Stockwerken gespeichert ist. Die Pflege soll von umlaufenden Versorgungsgängen zwischen Fenstern und Begrünung aus erfolgen. "Arabellastraße 26" sei ein Pilotprojekt für München und auch für Deutschland, sagt Brandhorst. Deshalb soll es wissenschaftlich begleitet werden, damit man wichtige ökologische Aspekte wie zum Beispiel Klimaeffekte, Feinstaubbindung, Sauerstoffproduktion oder Lärmminderung dokumentieren könne.

In der Stadtgestaltungskommission hatte das Projekt unlängst eine kontroverse Debatte ausgelöst. Gerade Vertreter der Landschaftsarchitekten waren skeptisch. "Ein Baum ist ein Baum und ein Haus ist ein Haus, man kann das nicht ohne weiteres miteinander verbinden", sagte zum Beispiel Klaus-Dieter Neumann vom Münchner Büro Realgrün. Aber die Stimmen, die das grüne Hochhaus befürworteten, waren klar in der Mehrheit.

Der Arabellapark, der in den Sechzigerjahren entstanden ist, polarisiert: Handelt es sich hier um eine langweilige Trabantensiedlung aus vergangenen Tagen oder um ein aufstrebendes Quartier, das mit seiner typischen Hochhaus-Skyline und manch ungewöhnlicher Architektur beeindruckt? Das Viertel wandelt sich, so viel ist sicher. Mutige Bauentscheidungen, wie jetzt bei der Fassadenbegrünung, könnten zum positiven Image des Arabellaparks beitragen. "Zusätzliche Kosten oder die Realisierung des ambitionierten Konzepts - das alles ist überschaubar und zu schaffen", sagt Investor Stefan Pfender. Von den Skeptikern habe man sich nicht abschrecken lassen, meint Architektin Aika Schluchtmann: "Wenn man sich immer nur von Bedenkenträgern leiten lässt, kommt man nicht voran." Spätestens im Jahr 2020 soll Baubeginn sein.

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SZ vom 03.08.2015
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