Süddeutsche Zeitung

Kritik:Eifersüchteleien

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"Giselle" wird am Gärtnerplatztheater neu interpretiert.

Von Rita Argauer

Eine liebende Frau, die letztlich wahnsinnig wird. Fast schon normal ist dieser Lebensweg auf den Opern- und Ballettbühnen für Frauen. Sie werden entweder wahnsinnig oder sterben oder beides. Karl Alfred Schreiner, Ballettchef am Münchner Gärtnerplatztheater, hat sich nun einer dieser berühmten Frauen mit Wahnsinnsszene angenommen und eine Neuinterpretation der Giselle vorgestellt. Doch so wie Talbot Runhof hier samten schmeichelnde Kostüme im alpinen Jägerstil entworfen hat, zieht auch Schreiner die Geschichte vom betrogenen und in ihrer Liebe ausgenutzten Landmädchen Giselle auf eine gegenwärtig verträgliche Ebene hinab.

Der Anfang ist spannend. Die Bühne ist eng begrenzt, eine Art Scheune, nur in schwarz-weißer Optik. Darin Giselle und Albrecht, sowie Hilarion und Bathilde. Es entwickelt sich eine eher von Traumlogik als von Wirklichkeit geprägte Betrugsgeschichte zwischen den Vieren. Die Musik (das Orchester mit pointiertem Glanz unter Michael Nündel) erklingt nur in Versatzstücken, in einzelnen Stimmen. Eine Ahnung, ein Albtraum, ein Trick, der Giselle hier in ihre existentielle und emotionale Not bringt.

Die emotionale Fallhöhe schrumpft auf Soap-Opera-Niveau

Doch leider verliert sich dieser Ansatz über den ersten Akt. Eine simple Eifersuchtsgeschichte entwickelt sich, in der Amelie Lambrichts als Giselle größtenteils passiv herumsteht, guckt und ab und an reagiert. Hat Albrecht sie nun echt betrogen oder nicht? Die emotionale Fallhöhe der Figur ist auf Soap-Opera-Niveau geschrumpft. Und tänzerisch hat sie so kaum noch etwas zu sagen.

Choreograf Karl Alfred Schreiner zeigt dafür sein Talent für Gruppenchoreografien. Formationen, die durch leichte Asynchronizität gebrochen werden, gelingen ihm toll; vor allem im zweiten Akt. Die Willis - im Original weiße Geisterwesen, die Männer zu Tode tanzen - sind hier in Weinrot und Jägergrün zwar nicht mehr ganz so transzendent wie im Original, dafür aber geschlechtergemischt und, angeführt von Isabella Pirondi als kühl herrschender Königin Myrtha, in ihrer Kraft als Gruppe beeindruckend. Die abstraktere Ebene, die das Stück so bekommt, tut gut. Ein Versöhnungs-Pas-de-Deux von Giselle und Albrecht bleibt hingegen eher flach - auch weil der innere Konflikt der Figuren mit ihren Eifersuchtssperenzchen kaum Potenzial hat. Eine zeitgenössische Giselle verdient mehr Tiefe und mehr Handlungsspielraum.

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