Süddeutsche Zeitung

Geplanter Großalarm:1000 Polizisten üben am Münchner Hauptbahnhof den Ernstfall

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Von Martin Bernstein, München

Das Szenario klingt erschreckend: In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wird sich im Starnberger Flügelbahnhof des Münchner Hauptbahnhofs eine Gewalttat, vielleicht ein Anschlag, ereignen. Noch während die Polizei die Täter bekämpft, ist von einem möglichen Zweitschlag im Münchner Norden die Rede. Eine Bombe? Oder nur ein Gerücht? Die Einsatzkräfte müssen das klären. Woher die Polizei das jetzt schon alles so genau weiß? Es handelt sich um eine Ernstfall-Übung, die am Dienstag um Mitternacht beginnen wird.

Es ist nicht irgendeine Ernstfall-Übung: Mit wohl bis zu 1000 eingesetzten Polizisten, dazu zahlreichen Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten sowie etwa 800 Polizeischülern als Komparsen und weiteren Beamten für die Organisation ist es die größte Übung, die Landes- und Bundespolizei je in München durchgeführt haben. Und vermutlich einer der größten Trainingseinsätze bundesweit seit Jahren. Die "lebensbedrohende Einsatzlage Exercise" ("Lelex" - so der Arbeitstitel) soll so realitätsnah wie möglich inszeniert werden. Das heißt: Eingesetzt werden nur Polizisten, die in dieser Nacht Dienst haben, alles soll ablaufen wie in der Wirklichkeit.

Und das heißt auch, dass es nach Mitternacht laut werden wird am Münchner Hauptbahnhof. Paul-Heyse-Unterführung und Arnulfstraße werden abgeriegelt werden, die Bahn wird einige Nachtzüge auf andere Gleise umleiten. Dutzende Einsatzfahrzeuge werden mit Blaulicht und Martinshorn durch die nächtliche Stadt rasen. Im Starnberger Flügelbahnhof wird - mit Platzpatronen - geschossen werden, Komparsen mit aufgeschminkten Verletzungen werden eventuell zu sehen sein.

Anwohner und Geschäftsleute warnt die Polizei bereits seit Mittwoch mit Flugblättern und in Gesprächen vor, ebenso die Hotels an der Arnulfstraße, die ihre Gäste schonend auf das vorbereiten sollen, was in dieser Nacht passieren wird. Bahnreisende im nicht gesperrten Teil des Hauptbahnhofs werden am Abend von der Bahn und von Informationsbeamten der Polizei aufgeklärt werden. Über die sozialen Netzwerke wird die Polizei erläutern, was da gerade passiert. Ein Bürgertelefon ist unter der Nummer 089/2910-1910 freigeschaltet. Denn so realitätsnah, dass in der ganzen Stadt Panik ausbricht, will man die Übung dann auch wieder nicht haben. Die Münchner sind seit der Nacht des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) und seit der Terrorwarnung von Silvester 2015 für Haupt- und Pasinger Bahnhof alarmiert, wenn Kolonnen von Einsatzfahrzeugen durch die Stadt fahren.

Von dem, was sich im Starnberger Flügelbahnhof abspielt, werden die Münchner jedoch nichts sehen. Um möglichen echten Attentätern keine Anhaltspunkte zur Polizeitaktik zu geben und auch um Unbeteiligte nicht zu gefährden, findet der angenommene Ernstfall strikt unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nicht einmal Journalisten dürfen dabei sein. Züge, die als Sichtschutz dienen sollen, werden den Tatort der Inszenierung abschirmen. Was die Polizei überhaupt nicht will, sind Schaulustige sowie "mögliche Irritationen und Fehldeutungen".

Eine ähnliche, wenn auch nur etwa halb so große Übung hat vor drei Wochen am Frankfurter Hauptbahnhof stattgefunden. Die Lehre der Verantwortlichen dort: Entscheidend ist, wie die erste Streife reagiert, die am Tatort eintrifft. Die Münchner Polizisten können sich darauf nicht vorbereiten. Sie wissen nur, dass in der Nacht zum Mittwoch eine Einsatzübung stattfindet. Deshalb ist offiziell auch nur von einem "größeren Schadensszenario" die Rede. Was wiederum ebenfalls realitätsnah ist. Denn auch beim OEZ-Anschlag blieb die Frage lange offen: Terrorattacke oder Amoklauf? Was am frühen Mittwochmorgen genau passieren wird, wann und wo - das wissen nur die Planer. Und die Komparsen. Letztere aber auch nur soweit, wie es ihre Rolle betrifft. Ähnliche Übungen der Bundespolizei haben schon in Leipzig und Lübeck stattgefunden, Stuttgart und der Flughafen Köln/Bonn sollen folgen.

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SZ vom 13.04.2018
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