Süddeutsche Zeitung

Funksignale in München:Alles strahlt

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Von Andreas Schubert

Das Gerät, das Christian Bornkessel wie einen Bauchladen vor sich herumträgt, fällt allein schon durch seinen gelben Bommel am Ende einer Art Antenne auf. "Spektrumanalysator" nennt sich der Hightech-Apparat - und laut Bornkessel kostet der in etwa so viel "wie ein gut ausgestatteter Golf". Bornkessel ist Elektroingenieur an der Technischen Universität Ilmenau und hat am Montag in München eine Studie gestartet, mit der er die komplette Strahlenbelastung im Alltag herausfinden will. Also nicht nur die Belastung, die von Mobilfunkantennen ausgeht, sondern auch die von Mobiltelefonen, drahtlosen Internetverbindungen, Radiowellen und weitere Strahlenquellen.

Ortstermin im Innenhof des Münchner Rathauses: Bornkessel blickt auf sein Gerät und zählt die Strahlungsquellen auf. Elf sogenannte Downlink-Datenströme findet sein Apparat, also solche, die quasi von oben herab zu Handys fließen - dazu gehören auch die Signale von Mobilfunkantennen. Außerdem ortet er zwölf "Uplink-Verbindungen". Dazu zählt etwa der Datenstrom, der von einem Smartphone zu einer Sendestation oder einem Wlan-Netz fließt.

Bürger machen sich Sorgen, ob die Strahlung gesundheitsgefährdend ist

Ob UKW, DAB (digitales Radio), Tetra (Behördenfunk) oder die Mobilfunkstandards LTE, GSM 900, GSM 1800 und UMTS: Gerade die Münchner Innenstadt ist voller Strahlung. Und weil viele Bürger sich Sorgen machen, ob von dieser zunehmenden Dauerstrahlung gesundheitliche Schäden ausgehen können, hat das Umweltreferat der Stadt verschiedene Orte für die Messungen ausgesucht: etwa den Marienplatz, Schulen, das Rathaus, öffentliche Verkehrsmittel und die Wohnungen von Bürgern, die ihre Besorgnis bereits mitgeteilt haben. Die Ergebnisse der Messungen werden gespeichert, anschließend zusammengezählt und während des Sommers ausgewertet. Bornkessel geht davon aus, dass er voraussichtlich Werte einfangen wird, die maximal 30 bis 40 Prozent der gesetzlichen Grenzwerte erreichen werden.

Und genau darin könnte für Mobilfunkkritiker ein Problem liegen: Denn die Grenzwerte für Mobilfunk, die in der sogenannten elektrischen Feldstärke mit der Einheit Volt pro Meter (V/m) angegeben werden, sind vielen Kritikern viel zu hoch angesetzt. Sie liegen zwischen 38 V/m für den Mobilfunkstandard LTE 800 und 61 V/m für UMTS-Standard. Empfohlen werde die Grenzwerte von einer Organisation namens "Internationale Strahlenschutzkommission für nicht ionisierende Strahlung", kurz ICNIRP. Und aufgrund dieser Empfehlungen sieht die Politik einen ausreichenden Schutz vor wissenschaftlich nachgewiesenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz sieht derzeit keinen Anlass, die Grenzwerte zu bezweifeln.

Über Mobilfunkstrahlung wird leidenschaftlich gestritten

Das sehen unzählige Bürgerinitiativen und auch die ÖDP anders. Deshalb bleibt die Mobilfunkstrahlung ein Thema, über das leidenschaftlich gestritten wird. Wenn etwa in einer Gemeinde auf dem Land ein Sendemast aufgestellt werden soll, entzündet sich in der Regel eine heftige Debatte um den Standort. Christian Bornkessel kennt solche Debatten natürlich. Und er weiß auch: Je weiter entfernt eine Mobilfunkantenne aufgestellt ist, desto stärkere Signale gehen von einem Handy aus, das nach Empfang sucht. Auch diese Signale sind Teil seiner Studie. Ihn würde es zum Beispiel überraschen, wenn auf dem Marienplatz Hunderte Menschen mit ihrem Handy telefonieren oder Bilder verschicken und der höchste zulässige Feldstärken-Grenzwert um gerade einmal 0,1 Prozent ausgeschöpft würde. Andererseits wäre es ebenso eine Überraschung, wenn der Grenzwert überschritten würde. Das käme höchstens vor, "wenn sie einen Mobilfunksender direkt umarmen".

Die Studie wird übrigens vom Informationszentrum Mobilfunk finanziert, einem von Mobilfunkbetreibern gegründeten Verein. Einfluss auf die Ergebnisse, versichert Bornkessel, nehme der Verein aber nicht.

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SZ vom 02.06.2015
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