Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bodenschätze, Folge 29:Zeugnisse aus elf Jahrtausenden

Lesezeit: 3 min

Schon in der Mittelsteinzeit lagerten Menschen am Haspelsee. Seither ist das Gebiet ständig besiedelt gewesen. Laienforscher leisten einen wichtigen Beitrag zur bayerischen Bevölkerungsgeschichte

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Es war am Bus- und Bettag 1994, dem letzten Jahr, in dem der Feiertag arbeitsfrei war. Toni Drexler nutzte das schöne Wetter, um mit seiner Familie eine Radtour um das Haspelmoor zu machen. Was er dabei entdeckte, veränderte das Wissen über die Bevölkerungsgeschichte in Süddeutschland grundlegend. Von einer kleinen Anhöhe aus, so erzählt es Drexler, habe er auf einem Acker auffällige Strukturen gesehen. "Ich bin dann über den Acker gestiefelt und habe eine Handvoll verdächtiger Steinchen aufgelesen." Zuhause wusch er sie und war sich ziemlich sicher, dass es sich im Steinwerkzeuge aus der Mittelsteinzeit handelte. Herauszufinden, wie die Menschen früher gelebt haben, macht für Drexler den Reiz der Geschichtsforschung und Archäologie aus. "Das ist sehr spannend. Für mich war das der Krimi." Der 72-Jährige war bis März Kreisheimatpfleger.

Funde aus der mittleren Steinzeit kannte man bis zu seiner Entdeckung nur aus dem Donau- und dem Altmühlraum sowie aus Füssen. "Dazwischen gab es eine Fundlücke", erklärt Drexler. Die schloss sich nun rapide. Archäologen der Universität Tübingen nahmen zusammen mit dem Historischen Verein des Landkreises am Haspelmoor eine Ausgrabung vor. Das Alter der Steinwerkzeuge erkennen Spezialisten an spezifischen Bearbeitungsspuren, die sie mit denen gut datierter Funde abgleichen.

Nun kennt man etwa 15 000 Steinartefakte und weiß, dass schon vor 11 000 Jahren Menschen länger gelagert haben, wo heute das Haspelmoor ist. Damals erstreckte sich dort ein flacher See, maximal sieben Meter tief. Für die Menschen seien offene Stellen wichtig gewesen, erzählt Drexler. Denn nach der letzten Eiszeit, zu Beginn der Mittelsteinzeit, wichen tundrenartige Steppen dichten Urwäldern. Die Menschen mussten ihre Jagdpraktiken anpassen. Sie lauerten nun an Wasserstellen Tieren auf, die zum Trinken kamen, fingen Fische und Wasservögel. Dabei seien die Mesolithiker halbnomadisch gewesen, sagt Drexler, sie hatten mehrere Lager, die sie zu unterschiedlichen Jahreszeiten aufsuchten. Eines davon lag an den Ufern des Haspelsee.

Über die Menschen, die in der Zeit von vor 11 000 Jahren bis zur Neuzeit im heutigen Landkreis lebten, weiß man ziemlich viel. Dass über diese Gegend mehr bekannt ist als über andere, liege vor allem am Engagement der vielen Ehrenamtlichen, die sich hier schon sehr lange mit der Erforschung der Geschichte befassen, sagt Professor Bernd Päffgen vom Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität München. Heute ist das vor allem der Historische Verein (HVF). Die Ehrenamtlichen seien auch wichtige Multiplikatoren. Das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für archäologische Funde seien dadurch sehr hoch, sagt der Historiker. "Hier heißt es nicht, wir baggern das weg, wenn etwas zum Vorschein kommt. Sondern die Funde werden als wichtige Zeugnisse erkannt und entsprechend behandelt." Päffgen kennt aus anderen oberbayerischen Landkreisen auch andere Einstellungen. "Aber es ist unser aller Vergangenheit, die bei Grabungen zu Tage kommt", erklärt Anna Ulrike Bergheim, die Vorsitzende des HVF.

Die meisten Funde werden gemacht, wenn irgendwo etwas gebaut wird. So kamen auch die Spuren der ersten festen Siedlung im Landkreis ans Tageslicht, bei einer Notgrabung auf der Trasse der Nato-Pipeline im Jahr 1986 in der Nähe von Moorenweis. Die Siedler werden der neusteinzeitlichen sogenannten Münchshöfener Kultur zugerechnet, die von etwa 4500 bis 3800 vor Christus bestand.

Die Funde bei Moorenweis sind, wie Päffgen sagt, nicht nur die ältesten im Landkreis, sondern im gesamten oberbayerischen Alpenvorland. Das Hauptverbreitungsgebiet der Münchshöfener liegt in Niederbayern, der südlichen Oberpfalz und rund um Ingolstadt. Die ersten Bauern waren in den Landkreis gekommen. "Da war's aus mit dem Herumvagabundieren", sagt Drexler. Etwa 3000 Jahre brauchten die Bauern, bis sie sich von Anatolien aus nach Bayern ausgebreitet hatten. Wobei, wie Drexler erklärt, die Erinnerung an die Herkunft irgendwann unterwegs verloren gegangen war. "Um 4500 vor Christus gab es eine Besiedelung des gesamten Alpenvorraums", erklärt Päffgen. Damals habe man sich die besten Standorte aussuchen können. Deshalb sei Niederbayern früher von den Bauern besiedelt worden - dort sind die Böden noch fruchtbarer als im Landkreis Fürstenfeldbruck.

Von den ersten Halbnomaden am Haspelsee bis in die heutige Zeit war die Gegend an Maisach, Amper und Glonn immer besiedelt. 31 besondere Fundstücke von der Mittelsteinzeit bis ins späte Mittelalter aus den Gemeinden des Landkreises waren bis Freitag nahe ihren Fundorten ausgestellt. Nun werden sie alle ins Landratsamt gebracht, wo sie bis Ende September gezeigt werden. Die Funde dokumentieren, wie neue Erfindungen wie das Brotbacken, die Bronzeherstellung und Eisenbearbeitung in den Landkreis kamen, sie zeugen von den Zeiten der Kelten und ihren Städten, von der Römerherrschaft und dem ersten Straßenbau, von Reichtum und Not, Krieg und von Frieden. Und auch vom Handel mit weit entfernten Gebieten am Mittelmeer, an der Ostsee oder dem Pariser Becken.

Durch das große und lang anhaltende Engagement von Laienforschern habe man im Landkreis eine sehr gut erforschte Landschaft. Das leiste einen wichtigen Beitrag zur bayerischen Bevölkerungsgeschichte, auch wenn das Bild sicher nicht vollständig sei, sagt Päffgen. "Neue Funde bereichern das immer." Der Geschichtsprofessor und seine Studenten haben in jüngster Zeit ebenso wie Walter Irlinger vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege zusammen mit dem HVF daran gearbeitet, die Funde einzuordnen, zu beschreiben und zu präsentieren. Daraus ist die sehenswerte Ausstellung "Bodenschätze" mit einem ausführlichen, sehr informativen Katalog geworden.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2019
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