Süddeutsche Zeitung

Puchheim/Karlsruhe:Punktlandung im Untergrund

Lesezeit: 3 min

Ein Puchheimer Unternehmen wird mit dem Innenausbau von fünf U-Bahnhöfen in Karlsruhe beauftragt. Wegen des Zeitdrucks müssen kreative Lösungen gefunden werden. Eines Morgens ist deshalb im Tunnel ein seltsames Gespann zu beobachten

Von Stefan Salger, Puchheim/Karlsruhe

Im Lösungen finden sind die Mitarbeiter der auf Innenausbau spezialisierten Puchheimer Firma TM Ausbau ja routiniert. Notgedrungen. Denn auf Großbaustellen wie dem Münchner Flughafen, dem Deutschen Theater, dem Bildungscampus Freimann oder dem iCampus im Werksviertel läuft bei guter Organisation zwar vieles wie am Schnürchen. Aber eben nie alles. Und irgendwann kommt erfahrungsgemäß immer der Zeitpunkt, an dem schnell und unbürokratisch eine praktikable Lösung für ein drängendes Problem gefunden werden muss, wie sie in keinem Handbuch steht. So ist das auch bei dem auf gut zwei Jahre angelegten Projekt in Karlsruhe, das im Dezember planmäßig für den Schienenverkehr freigegeben werden konnte. Die Eckdaten des Projekts sind respekteinflößend:

Fünf der sieben zweigleisigen U-Bahnhöfe für Straßen- und Stadtbahnen im neuen Tunnel unter der Karlsruher Fußgängerzone sind von der Frankfurter Niederlassung des Puchheimer Mittelständlers auf Basis eigener Planungen und Statikberechnungen auszubauen. Aber natürlich nicht von der Stange, sondern mit Sonderlösungen und -materialien. Hell, großzügig und modern soll alles werden. Und dabei gleichzeitig die Brandschutzauflagen übererfüllen - nur Spezialstahl oder Glasgranulatplatten können im Fall eines Brandes Temperaturen von 800 Grad mindestens 30 Minuten widerstehen. Matthias Klein, 58, dem Standortleiter aus Frankfurt, ist durchaus anzumerken, dass er wirklich stolz ist auf das Ergebnis, das sich als Referenz vorzeigen lässt. Zwei der Haltestellen warten sogar mit Übergängen nebst verglasten Aussichtsfenstern auf. Filigrane "Lichtgespinste" werden ebenso wie die Fahrdrähte an mehr als 500 Revisionsklappen befestigt. 15 000 Quadratmeter Decken in Zwischenebenen und Bahnsteigen werden auf einer Länge von 3400 Metern ausgebaut, 1200 Lichter in den Decken installiert.

Klingt hinreichend beeindruckend. Und doch kommt selbst Kleins mit 30 Jahren Betriebszugehörigkeit erfahrenster Mitarbeiter, Projektleiter Frank Richter, ordentlich ins Schwitzen. Jedem Logistikprofi muss die Frage Kopfzerbrechen bereiten, wie die sehr sperrigen Bauteile wie Wandverkleidungen mit mehreren Metern Spannweite und die tonnenschweren Maschinen in den Tunnel kommen. Denn die Puchheimer Firma kümmert sich zwar gern um den Ausbau von A bis Z. In Karlsruhe aber steht der 64-Jährige plötzlich an der Zufahrt zum Tunnel vor Schienen, die dort eigentlich noch gar nicht verlegt sein sollten. Da hat jemand zwischen A und Z dazwischengefunkt. "Wie kommt man jetzt da rein?" Zunächst herrscht Ratlosigkeit. Richter hat da eine Idee, die ein klein wenig an die geniale Zeichentrickfigur Wikie erinnert. "Gelöst haben wir das, indem wir die Materialien am Großmarkt in Karlsruhe angeliefert und dort mit dem Stapler auf einen 7,5-Tonner umgeladen haben", erzählt er. Der bringt das Material drei Kilometer durch die Stadt zur Rampe, wo es auf eine Gleislore umgeladen wird, die sodann von einem schienentauglichen Bagger zu den verschiedenen Bahnhöfen gezogen wird. Ein seltsames Gespann, das verwunderte Blicke auf sich zieht. Aber letztlich zählt das Ergebnis. In eine Lore steigen können die gut 60 Trockenbaumonteure des Puchheimer Unternehmens natürlich nicht. Zu Spitzenzeiten auch an Wochenenden und Feiertagen legen sie jeweils täglich durchschnittlich etwa zehn Kilometer im Karlsruher Untergrund zurück. Da ist auch der Standortleiter keine Ausnahme. Auf Matthias Klein lastet bei dem ganzen Ausbauprojekt aber vor allem der große Termindruck. Alle Zahnräder müssen ineinandergreifen, sonst wird das nichts mit der anvisierten Eröffnung für die Fahrgäste des Karlsruher Nahverkehrs - nach dem obligatorischen mehrmonatigen Testbetrieb. Als wenn die coronabedingten Schutzmaßnahmen nicht schon genug wären, tickt die Uhr auch noch unerbittlich. An den vergangenen Mai erinnert sich Klein noch gut. Damals arbeitet auch er 31 Tage am Stück. So etwas ist anstrengend, macht aber auch gewissermaßen den Reiz solcher Projekte aus. An einem Montagmorgen schaffen Kleins Kollegen einmal eine perfekte Punktlandung. Um 7.30 Uhr legen sie das Werkzeug aus der Hand. Keine halbe Stunde später rücken, wie es festgelegt war, Arbeiter an und bauen das Gerüst ab. Das Tolle sei in solchen Momenten, dass man beweise, "dass man das gestemmt kriegt", so Klein.

Klingt als könne er es gar nicht mehr erwarten, bis es mit dem nächsten Projekt weitergeht. Diesmal in die andere Richtung: schlüsselfertiger Komplettausbau eines zwölfstöckigen Verwaltungsgebäudes. Für den Projektleiter und seine feuererprobten Kollegen aus Puchheim dürfte das nach den Monaten im Untergrund wie ein Kinderspiel wirken.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2022
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