Süddeutsche Zeitung

Offener Brief an Landrat Thomas Karmasin:Gymnastik im Klassenzimmer

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Der Elternbeirat des Fürstenfeldbrucker Viscardi-Gymnasiums sieht den Landkreis in der Pflicht, andere Unterkünfte für die ukrainischen Flüchtlinge zu finden. Die Turnhalle soll endlich wieder für den Sportunterricht zur Verfügung stehen.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es ist eine Art Hilferuf: In einem offenen Brief an Landrat Thomas Karmasin (CSU) bittet der Elternbeirat des Viscardi-Gymnasiums eindringlich darum, die als Notquartier für Geflüchtete aus der Ukraine genutzte Turnhalle wieder für den Sportunterricht freizumachen. Inka Pawlow, die Vorsitzende des Gremiums, bekennt sich sehr deutlich zur Verpflichtung, den Menschen aus der Ukraine zu helfen, sieht den Landkreis aber in der Verantwortung, sich nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten umzusehen. Nach zwei Jahren Pandemie bestehe "bei allen Jugendlichen ein besonderer Bedarf an Bewegung und sozialer Interaktion im sportlichen Wettstreit". Und weiter: "Unsere Kinder haben ein Anrecht auf Unterricht, auch auf Sportunterricht." Schulleiter Walter Zellmeier pflichtet ihr bei. Dass die Turnhalle seit Anfang April nicht mehr für den Unterricht zur Verfügung steht, sei "ein großes Manko", sagte er am Freitag. Er ist zuversichtlich, dass es dem Landkreis gelingt, bei der Unterbringung der Flüchtlinge auf die Turnhalle zu verzichten. Die Hoffnung scheint berechtigt zu sein: Aus dem Landratsamt kamen am selben Tag ermutigende Signale.

Inka Pawlow wendet sich mit dem offenen Brief auch an die Stadt Fürstenfeldbruck, Landtags- und Bundestagsabgeordnete und die Staatsregierung. In der Verantwortung sieht sie aber vor allem den Landkreis. Sie betont die große Hilfsbereitschaft der Schulfamilie, die sich "intensiv und voller Überzeugung" für Geflüchtete aus der Ukraine einsetze. So werden mittlerweile 34 ukrainische Schülerinnen und Schüler in drei Willkommensgruppen unterrichtet und betreut - von 21 ehrenamtlich arbeitenden Eltern sowie aktiven und ehemaligen Lehrkräften. Bei "Friedensläufen" wurden zudem mehr als 60 000 Euro gesammelt und für die Ukrainehilfe gespendet.

Sporttheorie im Schulhaus? Nicht das, was man nach zwei Jahren Pandemie braucht

Der Sportunterricht für die mehr als 1100 Schüler muss bereits seit vielen Wochen bei schlechtem Wetter ins Klassenzimmer verlegt werden - dort sind aber nur einfache Übungen und Theorieunterricht möglich. Fünft- oder Sechstklässler, für die Sport nicht selten das Lieblingsfach ist, für langweilige Übungen im Klassenzimmer zu motivieren, sei nicht einfach, bestätigt Zellmeier. Ballspiele sind dort gar nicht möglich. Und es gibt auch organisatorische Probleme: Zwei Klassenzimmer werden als Umkleiden benötigt, die Sportlehrer ziehen sich bislang in der Toilette um. "Extrem schwierig" sei das alles. Und das auch noch nach der langen Zeit der coronabedingten Einschränkungen, in denen Kinder und Jugendliche zu viel Zeit vor dem Computer verbracht haben und dringend Bewegung bräuchten. Zellmeier: "Wir helfen wirklich gern, aber auf Dauer ist das kein Zustand".

Für das Viscardi-Gymnasium auch deshalb schwierig, weil es eine leistungsorientierte Stützpunktschule in den Sportarten Volleyball, Leichtathletik und Bewegungskünste ist und mit dem Viscardi-Zirkus mit seinen gut 250 aktiven Schülern internationales Ansehen genießt. Wer zweimal bei der Welt-Gymnaestrada vertreten war, der sei auf Trainingsmöglichkeiten angewiesen, so die Elternbeiratsvorsitzende. "Wir bitten deswegen nachdrücklich darum, umgehend Alternativen der Unterbringung für Geflüchtete zu finden."

Auch dem Landratsamt müsste dies Walter Zellmeier zufolge ein Anliegen sein. Bislang habe er von dieser Seite aber nichts gehört, auch eine zeitliche Befristung der Nutzung als Notunterkunft gebe es nicht. Wäre es für ihn gerecht, wenn andere Schulen im Landkreis mit ihren Turnhallen auch mal an die Reihe kommen? "Nein", sagt der Direktor, "das würde ich keinem anderen Gymnasium zumuten wollen". Es müsse gelingen, "andere Lösungen zu finden".

Das Landratsamt rechnet damit, die Halle in zwei Wochen freimachen zu können

Die Chancen dafür scheinen recht gut zu stehen. Eine Sprecherin des Landratsamts kündigte an, der Brief des Elternbeirats werde in Kürze umfänglich beantwortet. Das Landratsamt bemühe sich sehr, die zurzeit etwa 88 in der Turnhalle untergebrachten Menschen in andere Unterkünfte zu verlegen. In etwa zwei Wochen soll dies auch geschehen - sofern sich die Lage, etwa durch viele neu im Landkreis eintreffende Flüchtlinge aus der Ukraine, bis dahin nicht überraschend verschärft. "Wir sind da dran", versichert die Sprecherin. Allerdings könnte es nach dem Freimachen der Turnhalle noch etwas dauern, bis diese wieder für den Sportunterricht hergerichtet ist. Für die Menschen aus der Ukraine sollen an anderer Stelle Wohncontainer aufgestellt werden, zudem gibt es Kapazitäten in bereits bestehenden Unterkünften.

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