Süddeutsche Zeitung

Maisach:Lebensgefährlicher Irrtum auf dem Volksfest

Lesezeit: 4 min

Ein Küchenhelfer trinkt auf der Maisacher Festwoche aus Versehen eine stark ätzende Flüssigkeit. Jetzt kämpft der 37 Jahre alte Mann um eine Entschädigung.

Von Erich C. Setzwein, Maisach

Zwei Jahre haben die Maisacher auf ihre Festwoche verzichten müssen. Als sie dann am 26. August begann, verliefen die ersten Tage etwas holprig. Ein neuer Festwirt und eine neue, bunt zusammengewürfelte Mannschaft wollten gemeinsam ein ambitioniertes Programm stemmen. Dass es Anlaufschwierigkeiten geben könnte, hatte Maisachs Bürgermeister Hans Seidl (CSU) im Vorfeld nicht ausgeschlossen und vorsorglich um Verständnis gebeten. Alle hatten sich eine schöne Festwoche gewünscht, nur für einen Beteiligten hätte die kleine Wiesn in Maisach tödlich enden können. Ein Unfall überschattete den dritten Tag - ein Unfall, der für den 37-jährigen Angelo R. noch schwerwiegende Folgen haben könnte.

Zeugen des Vorfalls gibt es genug. Dass das Geschehen nicht öffentlich breitgetreten wurde, hat unter anderem damit zu tun, dass die Polizei nicht zu dem Einsatz des Rettungsdiensts dazu gerufen wurde. Im Wachbuch der Inspektion Olching ist jedenfalls kein Einsatz an jenem Sonntagabend in Maisach verzeichnet. Erst im Verlauf der Behandlung des schwer verletzten Küchenhelfers begann die Kripo zu ermitteln, weil sie vom Krankenhaus Landsberg am Lech wegen eines Arbeitsunfalls verständigt wurde.

Angelo R. und seine Partnerin Vincenza A. hatten erst kurz vor der Maisacher Festwoche eine Firma gegründet und boten sich als Mietköche an. Selbstständig sind viele Beschäftigte im Volksfestbetrieb, Fachpersonal ist gesucht. Die Festwoche in Maisach sollte ihr erster größerer Auftrag werden, sie bewarben sich, wurden genommen und reisten an. Vincenza A. erinnert sich an den herzlichen Empfang durch den Münchner Gastronomen René Kaiser ("Ludwig's Wirtshaus"), der ein Veranstaltung in dieser Dimension zum ersten Mal ausrichtete und eine Mannschaft für Küche und Service zusammenstellen musste. Es habe Hendl zur Begrüßung gegeben, es sei alles besprochen worden: "Der René Kaiser ist ein pfiffiger Typ". Die beiden wurden als Küchenhilfen beschäftigt. Nach dem vergleichsweise ruhigen Auftakt am Freitag folgte der Eröffnungstag, an dem es für die Gäste nicht immer schnell genug ging, und dieser Ärger wurde dann in den sozialen Medien geäußert.

Hinter den Kulissen muss es das ein oder andere Mal wegen technischer Schwierigkeiten zu unschönen verbalen Auseinandersetzungen gekommen sein. So sollen Schankkellner dem Zelt den Rücken gekehrt haben. Auch den dritten Tag brachten Küchencrew und Bedienungen hinter sich, und es schien sich langsam einzuspielen. "Wir waren eine Küchengemeinschaft, die gut miteinander ausgekommen ist", sagt Vincenza A. Kurz vor Arbeitsende gegen 22 Uhr war die Spülmaschine defekt und Vincenza A. wollte Backbleche mit der Hand spülen. Da das Spülmittel leer war, bat sie um neues. Der Küchenchef habe sich darum gekümmert, erzählt sie, er habe ihr dann einen Pappbecher mit einer Flüssigkeit gebracht und auf die Spüle gestellt.

Dann kommt eins zum anderen. Angelo R. kommt nach einer Pause zurück und sieht seine Freundin an der Spüle, nimmt den dort stehenden Becher, der genauso aussieht wie die Trinkbecher des Personals, freut sich über das Getränk und leert den Becher. So schildert es Vincenza A., die sagt, sie habe nicht eingreifen können, weil sie dabei gewesen sei, ein Blech vom Boden aufzuheben. Ein Schmerzensschrei erfüllt die Küche: Angelo R. hat "hochtoxischen" Spülmaschinenreiniger getrunken und sich Mund und Speiseröhre verätzt, wie sein Anwalt den Vorfall bestätigt.

Die Rettung ist zum Glück nah, das Rote Kreuz hat einen Stützpunkt auf dem Volksfestplatz und beginnt mit Erster Hilfe. Nach Abklärung mit dem Giftnotruf wird dem Schwerverletzten Olivenöl zum Trinken gegeben, um Schlimmeres in Magen oder Darm zu verhindern. "Es war die Hölle für alle", so Vincenza A. Der 37-Jährige wird ins Krankenhaus Fürstenfeldbruck gebracht, das aber kein Intensivbett frei hat und ihn deshalb ins Krankenhaus nach Landsberg am Lech verlegen lässt. Dort wird er eine Woche auf der Intensivstation behandelt. Es habe Lebensgefahr bestanden, berichtet die Lebensgefährtin über die ärztlichen Prognosen, und nach der Verätzung sei die Gefahr einer Krebserkrankung gestiegen. In Landsberg hätten dann auch die Ermittlungen der Kriminalpolizei zu dem Arbeitsunfall begonnen.

Aus Sicht des Rechtsbeistands von R. habe ein grober Verstoß gegen die Unfallverhütungsvorschriften vorgelegen, und ein Beschäftigter spricht davon, dass es teilweise keine Sicherheits- und Hygieneeinweisungen gegeben habe. R. und seine Partnerin sind über das Verhalten des Festwirts enttäuscht. Angelo R., der inzwischen wieder arbeitsfähig und eine Stelle in einem Restaurant angetreten hat, verlangt von der Versicherung des Wirts Schadenersatz und hat sich anwaltlichen Beistand geholt. Angesprochen auf den Unfall, sagt René Kaiser, er habe erst am folgenden Tag davon erfahren. Mittlerweile gehe es dem Küchenhelfer, der ein Subunternehmer gewesen sei und seinen eigenen Bereich gehabt habe, wieder besser. "Die klären das unter sich."

Dass es während der Festwoche zu diesem Unfall gekommen war, hat auch Bürgermeister Seidl nach eigenem Bekunden nicht gewusst. Seidl zeigte sich überrascht, dass ihm das nicht mitgeteilt wurde. Seidl und weitere Mitstreiter hatten sich nach dem kurzfristigen Ausstieg des Festzeltbetreibers Jochen Mörz aus seinem Vertrag bemüht, einen neuen Wirt zu finden und die Festwoche doch noch zu veranstalten. Dass Seidl dann selbst eingreifen musste und Bierkrüge schleppte, weil am Seniorennachmittag Personal fehlte, rechneten ihm Wirt René Kaiser und auch andere damals hoch an.

Aus der Erfahrung mit der Ende August abgehaltenen Festwoche und den Empfehlungen von dazu befragten Festwirten habe die Gemeinde nun zwei neue Termine ins Auge gefasst. Einen zehn Tage vor den Sommerferien und einen im Herbst. Auf die vor kurzem vom Gemeinderat beschlossene Ausschreibung haben sich laut Seidl erst kurz vor Ablauf der Frist immerhin drei Bewerber aus der weiteren Region gemeldet. Zwei von ihnen hätten den Sommertermin präferiert. René Kaiser hat sich nicht mehr beworben. Er habe von der Gemeinde die Ausschreibung bekommen, aber kein Angebot abgegeben: "Es war kein lohnendes Geschäft", sagt der Münchner Gastronom. Er habe alles zum Gelingen beigetragen, immerhin habe er nur acht Wochen Zeit zur Vorbereitung gehabt. "Maisach ist ein schwieriges Pflaster." Erkannt habe er das unter anderem am Besuch des Festplatzes. Es seien nur wenige zu den Schaustellern gekommen, "die haben mir richtig leidgetan".

Wer aber zum Zug kommt, steht noch nicht fest, die Bewerbungen müssen noch geprüft werden. Seidl ist aber zuversichtlich, dass im kommenden Jahr wieder eine Festwoche veranstaltet werden kann. Nach der Erfahrung in diesem Jahr geht Seidl davon aus, dass die Gemeinde auf die Einnahmen aus der Platzmiete verzichten muss, und auch die Besucher müssten sich auf höhere Preise, insbesondere für das Bier, einstellen.

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