Süddeutsche Zeitung

Märchen:Held für eine Geschichte

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Ausgebildete Erzählerinnen lesen in Grafrath ihre Lieblingsmärchen vor

Von Larissa Kahr, Grafrath

"Da gibt es einen ganz klaren Unterschied zwischen einem Vorleser und einem Erzähler", erklärt Martina Weigert. Sie gehört zu einer Gruppe von Frauen, die den Unterschied ganz genau kennen: Sie sind ausgebildete Märchenerzählerinnen und gestalten die Reihe "Märchenreise" in Grafrath. Durch ihr Wissen sei es ihnen möglich, ein unvergleichliches Erlebnis zu kreieren, welches sich keinesfalls mit dem Konsum durch Buch, CD oder Kassette vergleichen ließe, erklärt Weigert. Es sei das Ziel der Erzählerinnen, den Zuhörer in eine andere Welt zu entführen - in die Welt der Märchen. Am Samstag, 16. Februar, können sich Interessierte in der Michaelkirche Grafrath persönlich ein Bild davon machen. Von 19 Uhr an führen die Erzählerinnen durch ihre Lieblingsmärchen. Ihr Programm wird musikalisch begleitet.

Die Kunst des Märchenerzählens haben Martina Weigert, Jacqueline Jakob, Monika Bartenstein, Claudia Thumfart, Susanne Becker-Plätzer und Daniela Sutter bei Brigitta Schieder erlernt. "Der Grund- und Aufbaukurs "Märchenerzählen im Rhythmus der Lemniskate" dauert jeweils fünf bis sechs Tage." Die Erzählwerkstatt zählt dabei zur Europäischen Märchen-Gesellschaft, die laut Internetseite 2300 Mitglieder listet. Es ist das Ziel des Verbands, gemäß der Satzung "die Märchenforschung zu unterstützen sowie das Märchengut aller Völker zu pflegen und zu verbreiten, um damit zur Verständigung der Menschen untereinander beizutragen". Weigert berichtet stolz, dass die Kunst des Erzählens "2016 sogar in das bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der deutschen UNESCO-Kommession" aufgenommen wurde.

Während der Ausbildung stehe das Ziel im Vordergrund, durch die Qualität der Sprache eine Atmosphäre zu erzeugen und so einen Film vor dem inneren Auge des Zuhörers zu erwecken, erklärt Weigert. Hierzu studieren die Märchenerzähler im Verlauf ihrer Ausbildung die Herkunft und Symbolik von Volksmärchen und erlernen verschiedene Methoden, die ihnen das genaue Einprägung des exakten Wortlautes der Volksmärchen vereinfachen.

Volksmärchen sind Geschichten, die in Bildern und Symbolen von grundsätzlichen menschlichen Erfahrungen wie Liebe, Hunger und Tod handeln. "Sie werden mündlich von Generation zu Generation weitervererbt, wodurch sich natürlich auch immer etwas an dem genauen Wortlaut verändert", sagt Weigert. Die Faszination der Märchen gehe aus ihrer inspirierenden Wirkung hervor. Jede Geschichte sei nach einem ähnlichem Schema aufgebaut: aus einer schwierigen Situation, welcher die Hauptfigur ausgesetzt sei, befreie sich diese, teilweise beflügelt durch einen Weggefährten oder einem Vorbild, aus eigener Kraft. Deshalb können die Märchen den Zuhörern neue Impulse geben, die sie dazu ermutigen, neue Wege auszuprobieren und neue Handlungsweisen zu versuchen.

Die "Märchenreise Grafrath" hatte sich, in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche, in den letzten sieben Abenden auf das Erzählen der eher unbekannten Volksmärchen beschränkt. Durch das diesjährige Motto "Lieblingsmärchen" wollen die Erzählerinnen das Feld nun erstmals in die Richtung der bekannteren "Märchen alla Grimm" lenken. Der Begriff Lieblingsmärchen treffe auf Märchen zu, welche den Erzählerinnen bereits aus ihrer Kindheit als Besonders in Erinnerung blieben oder Märchen, welche ihnen erst in den letzten Jahren ans Herz gewachsen seien, erläutert Weigert. Die Erzählerinnen empfehlen im Übrigen aufgrund der Länge des Erzählabends und der damit verbundenen notwendigen Aufmerksamkeitsspanne für jüngere Teilnehmer ein Mindestalter von zehn Jahren.

Märchenreise "Lieblingsmärchen", Samstag, 16. Februar, um 19 Uhr in der Michaelkirche an der Kornfeldstraße 8 in Grafrath. Der Eintritt ist frei, Spenden werden erbeten.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2019
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