Süddeutsche Zeitung

Landkreis Fürstenfeldbruck:Ohnmacht verhindert Abschiebung

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Von Ariane Lindenbach, Alling

Sie sind vor den Schrecken des Bürgerkriegs in Syrien geflohen, haben die lebensgefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer geschafft, die so viele Flüchtlinge das Leben kostet - wie ja erst am Wochenende wieder deutlich wurde. Im Landkreis Fürstenfeldbruck hat die achtköpfige Familie wieder zusammengefunden. Doch am Mittwochmorgen um 6.30 Uhr stehen zwei Mitarbeiter des Landratsamtes, begleitet von vier Polizisten, vor dem neuen Heim der Familie in Alling. Ihr Anliegen: Eine Tochter, 29 Jahre alt, soll nach Italien abgeschoben werden, dem ersten EU-Staat, den die Familie betreten hat. Doch die Behördenvertreter geben ihre Pläne auf, nachdem die junge Frau einen Kreislaufkollaps erleidet und der Krankenwagen geholt werden muss.

Der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion in Germering, Andreas Ruch, entschied nach eigenen Angaben aufgrund der Situation, den Einsatz abzubrechen. Darüber hinaus hält er sich recht bedeckt. "Der Aufwand, den wir dann hätten treiben müssen, wäre in keinem Verhältnis gestanden", sagt er über die Gründe, die ihn zum Abbruch der Aktion bewegt haben. Die Mitarbeiter aus der Kreisbehörde, die die "Anordnung zur Rückführung nach Italien nach dem Dublin-III-Abkommen", wie es laut Landratsamt korrekt heißt, vollziehen sollen, seien aber mit seiner Entscheidung einverstanden gewesen.

"Um halb sieben stand da die Polizei vor der Tür wie ein Rollkommando"

In Alling ist man über die Aktion entsetzt. Der Mediziner Thomas Halt, behandelnder Arzt der syrischen Familie und am Mittwochmorgen zum Ort des Geschehens gerufen, berichtet: "Um halb sieben stand da die Polizei vor der Tür wie ein Rollkommando und wollte die Tochter mitnehmen." Er kritisiert, dass die Familie, die erst im Landkreis wieder zusammenfand, durch die Aktion auseinandergerissen werden sollte. Die ganze Familie sei verfolgt worden und habe Gewalt erlitten, zuletzt in Italien, dazwischen die gefährliche Überfahrt mit dem Boot über das Mittelmeer - Halt hält sie alle für traumatisiert . Die aktuellen Bilder in den Nachrichten mit ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer würden sie wieder an die überstandenen Leiden erinnern. Deshalb brachte der Mediziner die 29-Jährige am Mittwochnachmittag zum Kriseninterventionsteam der psychiatrischen Ambulanz der Kreisklinik.

Laut Bürgermeister Frederik Röder (CSU) , der auf der Internetseite der Asylhelfer Alling als Ansprechpartner steht, wollen die Asylhelfer bei dem Termin im Kreiskrankenhaus die Abschiebefähigkeit der jungen Syrerin prüfen lassen. Wie Halt kritisiert er vehement, dass durch die Abschiebung eine Familie wieder auseinandergerissen werden soll, die nach schrecklichen Erlebnissen in ihrer Heimat und auf der Flucht im Landkreis endlich wieder zusammengefunden hat. Er weiß allerdings auch warum: Die Eltern des Mädchens haben gegen ihre Anordnung zur Abschiebung Rechtsmittel eingelegt, ihre Tochter nicht. Als ihr diese zugestellt wurde, war sie ohne ihre Eltern und offenbar auch ohne beratende Helfer in Niederbayern. Röder zufolge hat die 29-Jährige auf das amtliche Schreiben nicht reagiert, so dass die Rückführung nun ihren bürokratischen Verlauf nimmt. Wegen ihres Kreislaufkollaps wird nun der Gesundheitszustand der 29-Jährigen darauf überprüft, ob ihr eine längere Fahrt zugemutet werden kann, wie Landratsamtssprecherin Ines Roellecke erläuterte. Auch psychische Beeinträchtigungen können übrigens ein Grund sein, um eine Abschiebung oder Rückführung zumindest zu verzögern.

"Das ist ein Wahnsinn, da wird eine ganze Familie auseinandergerissen", kritisiert Werner Braumiller. Der Inhaber vom Oberen Wirt in Biburg hat die syrische Familie vor rund zwei Monaten aufgenommen. Er muss sich immer wieder räuspern, man merkt, wie nahe ihm ihr Schicksal geht. Gerade wegen der jüngsten Toten im Mittelmeer. "Man sieht wieder ein Boot, und plötzlich kriegen die Bilder ein Gesicht."

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SZ vom 23.04.2015
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