Süddeutsche Zeitung

Kommunalpolitik:Landkreise machen Druck auf Berlin

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Die bayerischen Landrätinnen und Landräte verabschieden gemeinsam eine Resolution zum Klimawandel

Von Jacqueline Lang, Dachau

Die Corona-Pandemie und der Klimaschutz, das waren die beiden großen Themen der diesjährigen Landrätetagung der Bayerischen Landkreistags, die im Dachauer Schloss stattfand. Neben dem Austausch mit Expertinnen und Experten wie Michael Sterner, Mitglied des Weltklimarates (IPCC) und der Staatssekretärin Anne Katrin Bohle aus dem Bundesinnenministerium haben die teilnehmenden 71 Landrätinnen und Landräte mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin eine "Resolution zum Klimaschutz" dabei verabschiedet. Die Forderungen an die Bundesregierung sind dabei klar: Wenn den Landkreisen - wovon die Kommunalpolitiker ausgehen - eine "zentrale Rolle bei der Umsetzung der Klimawende" zugedacht werden soll, dann wird das nicht ohne ein Mitspracherecht und vor allem finanzielle Unterstützung gehen. Mit Blick auf die in einzelnen Regionen wieder rasant steigenden Infektionszahlen fordern die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter außerdem eine "Regionalisierung der Krankenhaus-Ampel".

Das Thema Klima hätte eigentlich schon im vergangenen Jahr auf der Agenda der zweitägigen Tagung stehen sollen, diese musste aber coronabedingt ausfallen. Trotz dieser einjährigen Verzögerung betont Christian Bernreiter (CSU), Landrat von Deggendorf und Präsident des Bayerischen Landkreistags, in einer an die Tagung anschließenden Pressekonferenz, das man auf kommunaler Ebene bereits seit Jahren unterschiedlicheste Projekte umsetze, "um das Klima zu retten". Standards etwa beim nachhaltigen Bauen würden teilweise sogar "übererfüllt". Auch deshalb sei man durchaus optimistisch, dass die Klimawende machbar sein werde. Die kommunalen Vertreter jedenfalls würden sich hier keineswegs verschließen und ihre Rolle ernst nehmen. Allerdings, auch das betont Bernreiter mehrmals, die Kosten dürften nicht "einseitig zu unseren Lasten gehen". Zudem müsse es einen großen Dreiklang zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem geben.

Es sei etwa falsch, im ländlichen Raum das Auto zu "verteufeln", findet Bernreiter. Wenn ein Bus praktisch leere fahre, sei das nicht nachhaltig. Und wenn man mehrmals umsteigen müsse, um ans Ziel zu gelangen, dann könne man von den Menschen schlicht nicht erwarten, dass sie auf den ÖPNV umsteigen würden. Bernreiter und seine 70 Kolleginnen und Kollegen fordern daher unter anderem eine Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer - zumindest solange es nicht allerorts wirkliche Alternativen zum Auto gibt. "Wir müssen unsere Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Ob Klimaziele umgesetzt werden können, entscheidet sich bei ihnen", betont Bernreiter. Insbesondere der ländliche Räum dürfe "nicht Verlierer der Klima- und Energiewende werden".

Dachaus Landrat Stefan Löwl (CSU) ergänzt: "Man muss Klimaschutz zur Aufgabe machen." Einzelne Modellprojekte würden auf Dauer nicht reichen. Allerdings sei es zwar nötig, klare Klimaziele zu definieren, den einzelnen Regionen bei der Umsetzung aber individuelle Spielräume zu lassen. Gerade für Wachstumsregionen wie den Landkreis Dachau sei es ohnehin schon schwer genug, Klimaschutz umzusetzen, wenn man gleichzeitig dazu gezwungen sei, Wohnraum zu schaffen. Voraussetzung für ein Gelingen sei aber, das betont auch Bernreiter, dass die Kommunen in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden würden und Ballungsräume und ländlicher Raum "nicht gegeneinander ausgespielt werden".

In Anbetracht der Tatsache, dass die Koalitionsverhandlungen noch am Anfang stehen, ist derzeit noch völlig unklar, wie und in welcher Form die Forderungen aus der nun verabschiedeten Resolution realisiert werden. Ohnehin handelt es sich dabei eher um mittel- bis langfristige Vorstellungen davon, wie der Klimaschutz auf regionaler Ebene umgesetzt werden könnte.

Akuter Handlungsbedarf besteht für die Landrätinnen und Landräte indes bei der Bekämpfung der Pandemie: "Die Landkreise in vielen Regionen sind in äußerster Alarmbereitschaft", heißt es in einer Pressemitteilung. Die sogenannte Corona-Ampel beziehe sich auf ganz Bayern und stehe auf grün - obwohl es bereits Landkreise gebe, "in denen sie längst dunkelrot leuchtet". Daher fordert Bernreiter im Namen aller Landrätinnen und Landräte eine Regionalisierung der Krankenhaus-Ampel. "Damit wäre es vor Ort möglich, die FFP2-Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und eine 3G-Plus-Regelung in Kraft zu setzen." Sowohl für das Pflegepersonal als auch für die Krankenhäuser wünscht er sich Entlastung, personell wie finanziell. Ersteres sei aber auch deshalb schwierig, weil es schlicht nicht genug Pflegekräfte gebe. Löwl erzählt, dass einzelne Betten etwa auch am Dachauer Krankenhaus nicht belegt werden könnten, weil es dafür am erforderlichen Personal fehle. Der Landkreis Dachau ist mit diesem Problem nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Da vor allem Ungeimpfte oder nur einmal Geimpfte auf den Covid-Stationen in den Krankenhäusern liegen, fordert Bernreiter einmal mehr dazu auf, sich impfen zu lassen. Zudem appelliert er vor allem an ältere Menschen, das Angebot einer dritten Auffrischimpfung zu nutzen.

Der Deggendorfer Landrat regt außerdem an, das System der Kontaktnachverfolgung durch ein anderes abzulösen. Diese sei gerade bei Großveranstaltungen, die ja wieder erlaubt seien, von den Behörden nicht zu leisten. Dass eine Lösung gefunden werden muss, um das Infektionsgeschehen wieder einzudämmen, darüber besteht bei den Landrätinnen und Landräten Einigkeit, wie Bernreiter betont: Die Situation sei "angespannt", das könne man mit Blick auf den Winter nicht "einfach so laufen lassen".

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SZ vom 29.10.2021
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