Süddeutsche Zeitung

Kunstausstellung in Jesenwang:Fundstücke aus kunstvollen Biografien

Lesezeit: 3 min

Hermine Heinrich präsentiert in ihrer kleinen Galerie derzeit vier Künstler. Alle stehen in einem Bezug zu Jesenwang. Aber nur einer hat dort gelebt.

Von Christian Hufnagel, Jesenwang

Wer von der vielbefahrenen Durchgangsstraße den Raum betritt, findet sich sogleich in einer Oase wieder. Die Eingangstür schließt den Autolärm jenseits der großen Schaufenster aus. Der Besucher kommt schnell zur Ruhe, kann er sich doch auf allerlei Kunst an den Wänden einlassen. Die Hebamme Hermine Heinrich hat sich in den zwei Räumen einer ehemaligen Fahrschule eingerichtet: zum einen für sogenannte Rückbildungsgymnastik für Mütter nach der Geburt, was ein Pilates-Ball andeutet; zum anderen und vor allem aber als Schauraum ihrer eigenen Kunst und ein, zwei Mal im Jahr als Galerie für kunstschaffende Kolleginnen und Kollegen. Derzeit präsentiert die Hausherrin dort an der Landsberger Straße nun eine ganz besonders interessante Ausstellung: Werke aus Nachlässen von vier Künstlern, die allesamt in einer direkten oder entfernteren Verbindung zu Jesenwang stehen. Es ist ein künstlerischer Beitrag im Rahmen der 1250-Jahr-Feierlichkeiten des Ortes.

Vollkommen zu Recht bezeichnet Heinrich den Maler Balthasar Ayvazian und seine Werke als "das wohl größte Geheimnis" ihrer Ausstellung. Das Ungewöhnliche gründet schon im Bezug zu Jesenwang. Der Künstler war nicht einmal annähernd dort. Gesichert ist seine Vita: Der gebürtige Armenier überlebte 1915 den Genozid an seinem Volk, landete 1923 in Buenos Aires, wo der Maler und Grafiker sich mit seiner Frau niederließ. Ungeklärt ist die Verbindung zu einem Ehepaar aus Stuttgart. Dies beiden waren über 30 Jahre lang Urlaubsgäste auf dem Bauernhof der Familie Dilger in Jesenwang. Als Geschenke brachten die Gäste immer wieder Bilder von Ayvazian mit.

Badende Grazien

Und aus einem Nachlass der Bauerfamilie stammen die Werke des Armeniers, die Heinrich ausstellt. Es sind schwere Ölgemälde von realistischer bis allegorischer Natur, von Porträts, die vermutlich den Maler und seine Frau zeigen, über badende Grazien in elegischer Landschaft bis hin zur biblischen Szene des Brudermordes von Kain an Abel. Die Bilder sind Mitte der Vierzigerjahre entstanden.

Am meisten Bezug zu Jesenwang dürfte Charilaos Theodorou haben. Er hat zehn Jahre im Ort gewohnt, lebt heute in einem Augsburger Pflegeheim - im hohen Alter von 97 Jahren: "Charilaos ist eigentlich der einzige Künstler hier, von dem ich weiß, dass er von seinem Kunstschaffen auch seinen Lebensunterhalt bestritt", sagt die Galeristin.

Große Vielseitigkeit

Seine Vita offenbart eine große Vielseitigkeit, mit der der gebürtige Grieche viele Produkte mit kreierte, die einem mehr als bekannt sein dürften: Er war Chefzeichner im Kauka-Verlag, so für die Comic-Reihe "Fix und Foxi"; Werbegrafiker bei Deutsche Wrigley (Hubba-Bubba-Kaugummi) und Ferrero (Überraschungsei); Buchillustrator beim Unipart-Verlag, unter anderen bei der Reihe "Junior Wissen". Dazu zählt sein Lebenslauf die Anstellung als Bühnenbildner, Ausstellungen seiner Werke als Maler und eine Reihe von Ankäufen im Landkreis Fürstenfeldbruck auf.

Das große künstlerische Spektrum reißt die Ausstellung in Jesenwang mit Beispielen an. Hervorstechend Bilder, die an Kubismus und Picasso erinnern, neben einem freundlich-skeptisch dreinblickenden Selbstbildnis.

Die beiden weiteren Künstler haben nun nicht in Jesenwang gelebt, aber ihre Söhne wohnen im Ort. Durch deren Leihgaben kann sich der Besucher auf eine Begegnung mit der abstrakten Ölmalerei von Heinrich W. Reichenbach (1916 bis 2004) freuen, der seine Kunst mit dem Namen "Pecunis" signierte.

Die Bilder sind von einem klaren Duktus und kräftigen Auftrag, die im Ausdruck zwischen floral-dekorativ und expressiv-aufwühlend changieren. Die Werke erfreuen in der reinen, gewissermaßen absichtslosen Anschauung, können aber auch jene befriedigen, die nach dem Erkennbaren suchen, wie ein Blick in das Gästebuch verrät. Die Galeristin ist jedenfalls erstaunt, "was Betrachter spontan reininterpretieren", und schließt mit einer Aufforderung: "Nur zu!"

Erstaunlich schließlich der vierte Künstler, der erst im Alter von 50 Jahren zum Malen fand und bis zu seinem Tod mit 72 im Jahr 2005 nicht nur ein umfangreiches, sondern vor allem stilistisch ein im besten Sinne kunstvolles Werk geschaffen hat. Helmut Tengg blieb dabei weitestgehend Landschaft und Architektur treu, was er in den Techniken Aquarell, Tusche, Pastellkreide, Blei- und Kohlestift ebenso zeichnerisch detailliert wie malerisch stimmungsvoll auslotete. Die Motive reichen dabei vom Bergbauernhaus in Berchtesgaden über den Titusbogen in Rom bis nach Haiti.

Nicht nur wegen der Unterschiedlichkeit der vier Künstler lohnt sich also ein Besuch in der Galerie von Hermine Heinrich noch bis zum Dienstag, 15. August. Wer sich auf eine kleine Weile der Kontemplation dort einlässt, erlebt vielleicht das, was die Hebamme selbst aus ihrer künstlerischen Beschäftigung zieht: "Ich kann runterfahren und mich vom Stress meines Berufes erholen." Das gilt zumindest, bis man die Tür der Galerie öffnet und wieder hinaus auf die lärmende Straße tritt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6105244
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.