Süddeutsche Zeitung

Wo einst die Musikkneipe "Hexe" stand:Nüchterner Neubaukomplex in Gröbenzells Ortsmitte

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Nach dem umstrittenen Abriss eines historischen Gebäudes am Bahnhof ist dort ein funktionaler Baukörper entstanden. Die Gemeinde scheint an exponierter Stelle damit eine Chance vertan zu haben.

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Seit diesem Frühling sind die Nachfolgegebäude auf dem Gelände der alten Bahnhofswirtschaft und der ehemaligen Apotheke in der Kirchenstraße in Gröbenzell bezugsfertig. Selten wurde im Gemeinderat um ein Bauvorhaben so gerungen wie an diesem Standort in bester Zentrumslage. Nun kann, acht Jahre nach dem Verkauf der zuletzt als Musikkneipe und Jugendlokal "Hexe" firmierenden etwas verlotterten Gaststätte an einen Investor, jeder das Ergebnis des Ringens um die optimale Lösung für die Ortsmitte in Augenschein nehmen. Ob einem der etwas verschachtelte, nüchterne Neubaukomplex gefällt oder nicht, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Da die Baukörper jedoch an einer exponierten Lage stehen, sollte es bei der Beurteilung von deren Erscheinungsbild um eine Frage gehen: Wurde die Chance vertan, einen städtebaulichen Akzent zu setzen, oder erreichte der Gemeinderat wirklich das an diesem Standort Bestmögliche?

Der Investor hatte ein besseres Konzept

Schließlich verändert der Eingriff das gewachsene Ortsgefüge im Bereich von Kirche, Bahnhof und Rathaus. Das hat für das Lebensgefühl in der Gemeinde Folgen. Dazu kommt, dass bei diesem Projekt immer Emotionen mit im Spiel waren. Das schlug sich in diversen Versuchen zur Rettung der beliebten Kneipe nieder. Im Rückblick auf den schwierigen Planungsprozess ist die Frage nach der nicht genutzten Chance zu bejahen. Schließlich hatte der Investor zuerst ein viel besseres Konzept präsentiert als das verwirklichte. Nur fand er dafür im Gemeinderat keine Mehrheit.

Wäre diese Planung umgesetzt worden, wäre annähernd die Hälfte des Grundstücks unbebaut geblieben. Die dadurch entstandene Freifläche an der Kirchenstraße hätte genügend Platz geboten für einen kleinen Teich, eine Wirtshaus- oder Caféterrasse und für einen kleinen Grünbereich. Damit wäre nicht nur wie jetzt das hohe Baurecht realisiert worden, sondern gleichzeitig die Umgebung im Bereich vor der Fußgänger-Unterführung zur S-Bahn platzartig geweitet und aufgewertet worden.

Da sich Gröbenzell gerne als Gartenstadt rühmt, was dort als besonders identitätsstiftend gilt, wäre der öffentlich zu nutzende Bereich samt Grün ein Gewinn gewesen. Die Investoren wären sogar dazu bereit gewesen, wieder ein Lokal vorzusehen. Dass dies alles nicht geschah, lag am fehlenden Gespür der Kommunalpolitiker für ihren Ort.

Deshalb wurde das hohe Baurecht auf fast die gesamte Grundfläche verteilt. Und zwar auf mehrere ineinander verwobene Baukörper mit zur Kirchenstraße auskragenden Geschäftsräumen. Dabei hatte der Investor etwas Anderes vor. Er wollte einen sechsgeschossigen Kubus als Solitär neben den Bahngleisen errichten. Das war der Preis für den Platzcharakter der Freifläche.

Nur war das mit dem Bebauungsplan nicht vereinbar. Gilt in Gröbenzell doch die eiserne Regel, dass generell nicht höher als dreigeschossig gebaut werden darf. Gewisse Zweifel könnten aufkommen, wenn man sich in der Kirchenstraße nur einmal umdreht und nachzählt wie viele Geschosse die Gebäude auf der Seite mit den ungeraden Hausnummern haben. Hier sind es zwar bis zu doppelt so viele wie bei dem Neubau. Aber es hat trotzdem alles seine Richtigkeit. Des Rätsels Lösung ist banal. Auf der anderen Straßenseite gibt oder gab ein anderer Bebauungsplan andere Regeln vor, die höhere Häuser erlauben.

Keine Änderung des Bebauungsplanes

Mit einer Änderung des Bebauungsplans hätte der Gemeinderat den höheren Neubau ermöglichen können. Zweiter Bürgermeister Martin Runge (Grüne) machte sich dafür stark, in die Höhe zu bauen, statt fast das gesamte Grundstück zu versiegeln. Er biss jedoch bei seinen Ratskollegen auf Granit. Hätten die Kommunalpolitiker beim Rathaus-Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft ebenso stur am Bebauungsplan festgehalten, hätte dieses niemals errichtet werden dürfen. Das heißt, es ist sogar in Gröbenzell trotz anderslautender Beteuerungen möglich, von einer einmal getroffenen Festlegung abzuweichen. Aber eben nicht für jeden und nicht in jedem Fall.

Vielleicht wollte man nach dem gescheiterten Versuch der Gemeinde, dem Investor das Grundstück aufzukaufen, nur ein unerfreuliches, an Absurditäten reiches Thema schnell abschließen. Zu diesen Absurditäten gehörte, dass der Bürgermeister Martin Schäfer als ehemaliger Miteigentümer der Hexe nach dem Verkauf seinen protestierenden Stammgästen den guten Tipp gab, für den Erhalt ihres geliebten Lokals zu demonstrieren, also öffentlich Druck zu machen.

Mit mutigen Entscheidungen zum rechten Zeitpunkt hätte der Gemeinderat alles haben können. Beispielsweise Denkmalsschutz für das ehemalige Bahnhofslokal, als dessen großer Saal noch stand. Oder er hätte schon lange bevor der spätere Bürgermeister die Gaststätte kaufte, sich darum bemühen können, das Anwesen selbst zu erwerben.

Der Investor hat also nur unter Einhaltung der vom Gemeinderat festgelegten planerischen Vorgaben moderne Geschäftsräume und 23 zentral gelegene Wohnungen errichtet, wobei letzteres angesichts des Wohnraummangels besonders wichtig ist.

Bleibt die zentrale Frage: Passt es besser zum Ortsbild einer Gartenstadt, wenn man niedrig und dafür in die Fläche baut und rigoros Grün versiegelt? Ober ist es besser mit der Gartenstadt zu vereinbaren, wenn man bei gleichem Baurecht möglichst viele Grün- und Freiflächen erhält und in die Höhe baut?

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