Süddeutsche Zeitung

Arbeitslosigkeit:Jobcenter zahlt den Lohn

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100 Langzeitarbeitslose sollen im Landkreis von einem neuen Förderprogramm der Bundesregierung profitieren und bis zum Jahresende wieder in einem Beschäftigungsverhältnis stehen

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Die Situation ist seit Jahren stabil: Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa drei Prozent, meist sogar darunter, laut Fachleuten quasi Vollbeschäftigung. Doch trotz dieser guten Verhältnisse gibt es eine seit Jahren beständig gleichbleibende Zahl an Langzeitarbeitslosen. Rund 1400 Personen im Landkreis sind zwei Jahre oder länger ohne Arbeit; ihre Chance darauf, wieder in den geregelten Arbeitsmarkt zu gelangen, sinkt praktisch jeden Tag weiter. Mit dem Teilhabechancengesetz gibt es nun ein neues, und nach Aussage von Jobcenter-Chefin Claudia Baubkus völlig unbürokratisches Förderinstrument. Sie ist davon so überzeugt, dass damit noch in diesem Jahr bis zu 100 Langzeitarbeitslose aus dem Landkreis wieder in Arbeit gebracht werden können.

Bis zu hundert Prozent der Lohnkosten gibt das Jobcenter künftig unter bestimmten Voraussetzungen für zwei Jahre dazu, wenn ein Langzeitarbeitsloser sozialversicherungspflichtig beschäftigt wird, danach sinkt der Zuschuss schrittweise. Auch die Kosten für Lehrgänge können komplett übernommen werden. Ergänzend bekommen die Jobcenter-Kunden über das Teilhabechancengesetz einen Coach an ihre Seite gestellt. Das klingt nach viel Geld. Doch wie Baubkus klarstellt, "ist die Bezuschussung von Arbeitsverhältnissen gesamtfiskalisch günstiger als eine lebenslange Alimentierung". Oder anders ausgedrückt: Es ist unterm Strich billiger, jemanden über mehrere Jahre mit viel Geld intensiv und dauerhaft in ein Beschäftigungsverhältnis zu vermitteln, als sich diese Summe zu sparen und die Person für den Rest ihres Lebens auf niedrigem (Hartz-IV-)Niveau zu unterstützen.

"Wir haben ganz viele offene Stellen", betont Baubkus. Dennoch stagniert die Zahl der Arbeitslosen. Das bestätigt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IRB in Nürnberg. Das liegt nach den Erfahrungen der Jobcenter-Chefin und ihrer Kollegin an drei Faktoren, die vor allem bei Menschen auftreten, die länger als zwei Jahre ohne Arbeit sind, sogenannten Vermittlungsrisiken: Zunehmendes Alter, Entwertung der Qualifikation (wegen der langen Pause und fehlender Fortbildungen) sowie gesundheitliche Probleme. Darüber hinaus treten aber noch viele weitere Probleme auf. Baubkus zufolge geht mit dem Verlust eines geregelten Lebens oft die feste Tagesstruktur verloren, und schließlich das Gefühl, dazuzugehören. In der Praxis hat das dann manchmal merkwürdige Auswirkungen, die insbesondere im Arbeitsalltag Probleme bereiten können. Da gibt es beispielsweise den Fall eines Mannes, der nach jahrelanger Arbeitslosigkeit endlich wieder einen Job bekommen hat. Und nach wenigen Tagen wieder hinschmeißt, weil er es drei Mal nicht geschafft hat, mit Hilfe eines 20-teiligen Schlüsselbundes eine Tür zu öffnen. Oder ein anderer, der direkt wieder kündigte, weil er einen Kunden im Gespräch missverstanden hatte und statt eines 50-Euro-Rabattes zum allgemeinen Amüsement 50 Koffer in den Verkaufsraum brachte. In beiden Fällen geht es um Lappalien, die ein anderer mit einem Schulterzucken weggelächelt hätte. Doch wie Baubkus und ihre Kollegen schon öfter erlebt haben, sind es häufig solche Kleinigkeiten, an denen das lange gesuchte und endlich gefundene neue Arbeitsverhältnis wieder zerbricht, bevor es überhaupt richtig begonnen hat.

Genau für solche Situationen hat das Teilhabechancengesetz den Coach gedacht. Jobcenter können somit ihre frisch vermittelten Kunden weiter unterstützen . Der Coach kann nun, ganz individuell, einem Kunden in der oft nicht so einfachen Phase des Wiedereinstieges in den Beruf zur Seite stehen - ganz egal, ob das einmal in der Woche ist oder Tag für Tag. "Wir vor Ort wissen besser, wie viel Coaching jemand braucht", unterstreicht die Leiterin des Jobcenters. Und freut sich, "dass aus den Erfahrungen gelernt wurde". Denn die Idee mit dem Coaching ist nicht neu. Beim bereits ausgelaufenen ESF-Programm, das ebenfalls mit Hilfe einer großzügigen Bezuschussung des Lohnes Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen sollte, gab es auch schon Coaches - allerdings zeitlich begrenzt. Mit dem neuen Programm entscheidet das jeweilige Jobcenter, wer wie lange einen Coach benötigt. Das Ziel beim Jobcenter Fürstenfeldbruck lautet: Bis Jahresende sollen 80 bis 100 Langzeitarbeitslose wieder arbeiten. Wie Baubkus unterstreicht, "ist Arbeit, Beschäftigung ist nicht nur, dass ich Geld verdiene". Vielmehr gebe sie einem Identifikation, Selbstwertgefühl. Und das Gefühl, gebraucht zu werden. Fällt all das weg, driftet eine Gesellschaft auseinander. Schon allein aus diesem Grund, "ist es unsere gesellschaftliche Aufgabe, dass wir diese Menschen mitnehmen".

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Quelle:
SZ vom 25.06.2019
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