Süddeutsche Zeitung

Zahlreiche Quellen ausgewertet:Die Trecks der Elendsgestalten

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Der Heimatforscher Karl-Heinz Zenker hat recherchiert, dass im Landkreis Freising während der sogenannten Todesmärsche am Ende des Zweiten Weltkriegs 132 Häftlinge starben

Von Alexandra Vettori, Hallbergmoos

Tausende Männer und Frauen sind es gewesen, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bei so genannten Todesmärschen erbarmungslos auch durch den Landkreis Freising getrieben wurden. Alleine 3000 waren es, die vom 24. bis 29. April 1945 aus dem Zuchthaus Straubing Richtung Dachau zogen, dazu ehemalige Gefangene aus Konzentrationslagern, welche die Nationalsozialisten vor den heranrückenden Alliierten wegtrieben. Gedenkstätten, die an das Grauen erinnern, sucht man beinahe vergebens. Nur im Freisinger Ortsteil Tüntenhausen gibt es ein Grab und in Hallbergmoos einen Gedenkstein. Wie viele Menschen im Landkreis zu Tode kamen, weiß niemand genau.

Offiziell gibt es nur die amtlich dokumentierten Toten während und nach den Märschen. Die Listen bestehen überwiegend aus Namen, die in den Archiven des Hospitals 1004 auf dem Domberg aufgeführt sind. Laut Recherchen des Hallbergmooser Heimatforschers Karl-Heinz Zenker sind mindestens 132 Menschen nachweislich im Landkreis gestorben. 80 Häftlinge wurden während der Märsche erschossen, erschlagen oder starben an Erschöpfung, 52 starben bis Juli 1945 im Hospital 1004.

41 Häftlinge kamen aus dem KZ Buchenwald. Zudem berichtet der damalige Pfarrer aus Tüntenhausen davon, dass etwa 850 Häftlinge aus Buchenwald durch Tüntenhausen getrieben worden waren. "Die Pfarrer sollten im Auftrag des Ordinariats so genannte Einmarschberichte schreiben, wo die Amis kamen und wo Kirchengut konfisziert worden ist. Manche nahmen das sehr genau und haben auch von den Häftlingsmärschen berichtet", erklärt Karl-Heinz Zenker. Heute sind diese Berichte wichtige Dokumente.

Zenker ist der Sache nachgegangen. Als weitere Quellen dienten ihm die Sterbebucheintragungen der Städte und Gemeinden sowie die Meldungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die sich im International Tracing System ( ITS) in Bad Arolsen befinden. Dort können Häftlingsschicksale recherchiert werden. Weitere Quellen waren die Unterlagen der französischen Umbettungsdelegation aus den Jahren 1955/58, ergänzt um die Einmarschberichte der Pfarrer der Erzdiözese München/Freising von 1945 sowie das Sammelblatt des Historischen Vereins Freising. Die Sterbebucheintragungen des Standesamtes Freising hat der Heimatforscher anhand der Unterlagen der KZ-Gedenkstätte Buchenwald verifiziert.

Dass das Zahlenmaterial dürftig ist, liegt daran, das die während der Todesmärsche erschossenen, erschlagenen und an Erschöpfung gestorbenen Häftlinge meist an Ort und Stelle durch besondere Kommandos vergraben wurden. Noch 1945 veranlasste zwar das Landratsamt Freising die Umbettung in Friedhöfe, doch waren längst nicht mehr alle Gräber bekannt, andere Tote waren schon in Friedhöfen beerdigt, in Tüntenhausen und Appercha zum Beispiel. Viele hat die französische Umbettungsdelegation im Waldfriedhof Dachau sowie in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg beerdigt. Eine Identifizierung war da nicht mehr möglich, da die Häftlinge keine Dokumente bei sich trugen.

Die Dokumente der Pfarrer sind erschütternd. Pfarrer Georg Kolb aus Fürholzen berichtet: "Am 27. April zogen viele Hunderte von KZ-lern von Weiden nach Dachau hier durch, auch eine Gruppe von Frauen. Wer ermattet zusammen sank, erhielt von der Mordkommission einen Schuss und wurde in den Straßengraben gerollt. Gegen ausdrücklichen Befehl hat man drei Erschossene auf der Südostseite des Fürholzener Friedhofs begraben."

Der Moosburger Stadtpfarrer Alois Schiml berichtet von Elendszügen, die einige Tage vor dem Einmarsch durch die Stadt gekommen waren, "einer aus einem Konzentrationslager in der Nähe Hersbrucks, der zweite aus dem Zuchthaus Straubing, jeder Zug mehrere tausend Jammergestalten, auch Frauen darunter. Bei ihrem Anblick krampfte sich das Herz zusammen." Er berichtet weiter, dass die Moosburger eilten, den wankenden, ausgemergelten, leichenähnlichen Gestalten Brot zuzustecken und Wasser zu geben - trotz strenger Bewachung. Pfarrer Johann Nepomuk Bauer aus Jarzt schreibt, dass am 24. April etwa 1 800 Häftlinge, bewacht von SS-Männern mit Wolfshunden durch Appercha und Jarzt nach Dachau geführt wurden. Dabei wurde ein 42-jähriger Pole, von einem SS-Mann niedergestochen und ins Genick geschossen. Vier Tage später starb der Mann und wurde in Jarzt beerdigt. Was mit den Überlebenden nach ihrer Freilassung geschah, dazu gibt es nur den Bericht eines Zeitzeugen, der von einer Betreuungsstelle spricht, die es von Mai bis Oktober 1945 im Freisinger Magistratsgebäude gab. Dort wurden wohl 2000 ehemalige Häftlinge versorgt. Der Rest schlug sich durch, unterstützt von der Bevölkerung.

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SZ vom 10.08.2017
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