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Der scheidende Freisinger Weihbischof im Gespräch:"Nahe am Menschen zu sein, ist mir wichtig"

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Bernhard Haßlberger hat dem Papst anlässlich seines 75. Geburtstags seinen Amtsverzicht angeboten. Sobald ein Nachfolger gefunden ist, geht er in den Ruhestand. Darauf freut er sich einerseits, andererseits schätzt er den Kontakt mit den Gemeinden.

Von Charline Schreiber, Freising

Weihbischof Bernhard Haßlberger ist einer der bekanntesten Geistlichen im Landkreis Freising. In den vergangenen 27 Jahren war er in der Seelsorgsregion Nord im Erzbistum München und Freising tätig. Jetzt ist er 75 Jahre alt geworden und bot, gemäß dem Kirchenrecht, dem Papst seinen Amtsverzicht an. Um seine Amtszeit Revue passieren zu lassen, trifft sich die Freisinger SZ mit ihm in seinem Zuhause am Domberg. Das Gespräch findet im Wohnzimmer statt. Der Weihbischof sitzt mit gefalteten Händen in einem Sessel seiner grün-blauen Sofagarnitur, schräg gegenüber hängt an der weißen Wand ein veredeltes Kruzifix. Haßlberger ist ganz in Schwarz gekleidet, über seinem Kollarhemd trägt er einen Wollpullover.

SZ: Herr Haßlberger, Sie werden von Ihrem Umfeld gerne als nahbar beschrieben. Wie wichtig ist Ihnen Nahbarkeit?

Bernhard Haßlberger: Nahbarkeit ist mir sehr wichtig. Ich bin so aufgewachsen. Bei uns hat es Unnahbarkeit nie gegeben. Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen, da hat man das nicht gekannt. Ich war immer unter Freunden, unter Menschen. Und auch von meinem Beruf her ist es mir ganz wichtig, nahe an den Menschen zu sein. Darum bin ich auch am liebsten in den Gemeinden, dort wo die Gläubigen sind, um ein Stück weit mit ihnen den Weg zu gehen.

Wie lassen Sie Nahbarkeit zu? Sind Sie ein besonders guter Zuhörer?

Ich muss ehrlich gestehen: Zuhören ist nicht ganz meine Stärke. Ich versuche es, weil es wichtig ist. Dort wo sich die Möglichkeit ergibt, zum Beispiel bei Firmungen, versuche ich, wirklich nah an den Anliegen der jungen Menschen zu sein. Und ich versuche, auch im Nachhinein im Gespräch zu bleiben. Manchmal bin ich auch die Klagemauer. Ich nehme das alles auf und zeige den Leuten, dass mir ihr Anliegen wichtig ist und dass ich mein Möglichstes tue, um bei Nöten Abhilfe zu schaffen. Ich bin niemand, der auf andere herab schaut. Das liegt mir nicht.

Sie haben zum 20. Jubiläum Ihrer Berufung gesagt, die Zusammenarbeit mit Menschen sei Ihre Stärke. Woher kommt diese Überzeugung?

Vielleicht weil ich die Menschen ernst nehme, weil ich sie wertschätze, ganz einfach, weil ich die Menschen mag. Ich habe bei Primiz-Predigten den jungen Priestern immer ans Herz gelegt, dass es wichtig ist, selbst aus dem Glauben zu leben und dass man die Menschen so mag, wie sie sind.

Sie werden dafür geschätzt, dass Sie sehr frei predigen. Wieso fällt Ihnen das so leicht?

Leicht fällt es mir nicht. Ich muss mich schon konzentrieren. Von meinen Vorfahren war niemand Redner, mein Vater zum Beispiel war Holzknecht. Aber ich hatte das Glück, während meines Studiums einen Ausbilder zu haben, der uns das ans Herz gelegt und uns Methoden gezeigt hat. In den ersten paar Jahren habe ich die Predigt zwar nicht auswendig gelernt, aber schon so verinnerlicht, dass ich sie ganz deutlich in meinem Kopf hatte. Später bin ich dann freier geworden, aber einen Ablauf habe ich schon in meinem Kopf.

Sie predigen also nicht aus dem Bauch heraus?

In der Kirche, wenn ich freitags predige, schon. Wichtig ist, dass die Übergänge passen, besonders der Schluss muss sitzen. Und das habe ich fest in meinem Kopf. Aber die Sätze kann ich frei formulieren. So bin ich immer im Blickkontakt mit den Leuten. Mühsam ist es dann, wenn jemand den Kopf schüttelt. Es gibt ja tausend Gründe ( lacht). Da hinterfrage ich aber, was ich gesagt habe. Oder wenn sie nicken, dann sehe ich: "Aha! Eine Übereinstimmung". Das sind Kleinigkeiten, aber da merke ich schon: Der Kontakt mit den Menschen während einer Predigt ist ganz wichtig.

Sie sind zuständig für die Seelsorgsregion Nord des Erzbistums. Was ist die Besonderheit an diesem Bistum Nord?

Die Region Nord ist eigentlich ein altes Bauernland, sehr ländlich. Früher gab es hier größere und reichere Bauern. Und von daher haben wir von der Struktur her viele kleine Pfarreien. Das kirchliche Leben ist sehr davon geprägt. In unseren dörflichen Gemeinden kennen sich die Leute, der Zusammenhalt ist sehr viel ausgeprägter als in größeren Pfarreien. Wir haben hier einfach eine ganz eigene Struktur, noch.

Noch?

Ich denke, das wird sich ändern. Aus München ziehen viele weit ins Land, weil Grund und Boden dort günstiger sind. Von daher gehe ich davon aus, dass sich die Strukturen weiter ändern werden. Aber ich bin der Letzte, der meint: Früher war alles besser. Das Leben hat sich immer geändert, zurzeit verändert es sich rasanter, das liegt auch an der Digitalisierung. Aber das ist die Zeit, da braucht man nicht anfangen zu bremsen.

Wird sich dadurch auch die Kirche verändern?

Auch die Kirche wird sich verändern. Gezwungenermaßen werden durch Corona Gottesdienste angeboten, die gestreamt werden. Das hätte man vorher überhaupt nicht gedacht und jetzt führen das viele fort. Die Einschaltquoten bei Streaming-Gottesdiensten im Münchner Dom am Sonntag lagen über Monate bei durchschnittlich mehr als 10 000. Das hätte man in Präsenz nie erreicht. Aber für uns als Kirche ist es ganz wichtig, die persönlichen Kontakte zu pflegen, vielleicht sogar zu intensivieren, damit niemand alleine ist.

Die Weltbilder sind auch in der Kirche sehr verschieden. Wie gehen Sie mit Meinungsverschiedenheit um?

Die Kirche, die Meinungen und Einstellungen waren immer schon mit einer gewissen Bandbreite versehen. Das ist auch gut und wichtig, jedoch braucht es einen konstruktiven Diskurs. Leider sehen wir gesamtgesellschaftlich und auch in Teilen der Kirche, dass es extreme Tendenzen gibt, die nicht an Diskurs interessiert sind. Ich versuche, auch mit den Menschen, deren Meinungen ich nicht teile, vernünftig umzugehen. Aber bei der Weihe habe ich als Bischof auch die Aufgabe bekommen, die Einheit zu wahren. Das heißt, dass ich immer versucht habe, die Seiten zusammenzuführen.

Wie sind Sie das angegangen?

Manches muss man ertragen. Jemand, der leitet, muss aushalten. Wenn ich als Leitender extremere Positionen einnehme, dann ist die Einheit schon verspielt. Die Kirche als wandelndes Volk Gottes ist unterwegs. Da gibt es die einen, die vorausstürmen. Denen geht es viel zu langsam. Und dann sind da die anderen, denen es immer schon zu schnell gegangen ist.

Wird sich die Spaltung der kirchlichen Parteien weiter ausdehnen?

Die Kirche nimmt auch immer teil am gesellschaftlichen Leben. Wenn die Gesellschaft sehr stark auseinanderdriftet, dann ist auch die Kirche keine heile Welt.

Sind Sie auch privat Weihbischof? Oder können Sie diesen Titel dann ablegen?

Das kann ich gut ablegen. Für meine Freunde bin ich Bernhard. Ich bin acht Jahre in Ruhpolding in die Volksschule gegangen. Da waren wir zwei Klassen, also knapp 70 Leute. Wir treffen uns noch regelmäßig zum Jahrgangstreffen. Und für die bin ich der Bernei. Als Kind war ich immer der Bernei, und das bin ich geblieben.

Können Sie als Bernhard noch selbst an Gottesdiensten teilnehmen?

Dazu habe ich wenig Gelegenheit. Manchmal schon, wenn ein anderer einen Gottesdienst zelebriert. Vor 13 Jahren war ich mit meinem Cousin auf dem Jakobsweg. 750 Kilometer. Und da habe ich an den Pilgermessen nur als Pilger teilgenommen.

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Sind die Besucher Ihrer Gottesdienste weniger geworden?

Das ist schon lange der Trend, wenn ich zurückschaue auf meine ganze Zeit als Priester. Die, die heute sonntags in die Kirche gehen, das sind tatsächlich die, die überzeugt sind, für die es wichtig ist. Und das sind deutlich weniger als es früher der Fall war. Das Image der Kirche spielt da natürlich auch eine bedeutende Rolle. Die Missbrauchsfälle haben eine starke Kerbe in das Image geschlagen.

Von welchem Image sprechen Sie genau?

Für manche ist die Kirche seit den Missbrauchsfällen eine Projektionsfläche für alles, was nicht sein darf, für alles was schlecht ist. Bei der Kirche kommt auch dazu, dass wir vorher auf einem sehr hohen Ross dahergekommen sind. Da freuen sich jetzt einige, dass wir heruntergefallen sind. Wir müssen unsere Fehler mit großer Vehemenz aufarbeiten, das ist ganz klar. Aber für die treuen Menschen in den Gemeinden, die sich engagieren, für die ist es schwierig. Die müssen damit rechnen, angefeindet zu werden, von wegen "Warum bist du noch bei dem Verein?" Das ist brutal.

Und dennoch: Das alles ist bei uns passiert, und dass Missbrauchsfälle in so einer hohen Zahl stattgefunden haben, das hat auch mich schwer getroffen. Dennoch habe ich immer mit Freude meine Dienst getan, weil ich mir das Wort des Paulus zu Herzen genommen habe: "Wir tragen einen kostbaren Schatz in irdenen Gefäßen." Das Gefäß Kirche ist irdisch, ist menschlich, ist schwach, mit Fehlern. Aber für mich geht es um den Schatz, die Botschaft Jesu. Deswegen habe ich immer mit Freuden bis zum heutigen Tag gearbeitet.

Sie haben sich gegen eine dritte Startbahn am Flughafen eingesetzt und waren Redner bei Protest-Veranstaltungen wie den Lichterzeichen-Märschen. Sie haben gezeigt, dass man auch leise sehr laut sein kann. Was hat aber die Kirche mit dem Bau einer Startbahn zu tun?

In erster Linie erst einmal nichts. Ich war auch persönlich davon überzeugt, dass es diese Startbahn nicht braucht. Die Lichterzeichen haben wir immer mit Hinblick auf die Schöpfung gesetzt.

Ich bin nicht der, der da Vorschriften macht. Ich glaube, das steht uns auch als Kirche nicht zu. Aber wir übernehmen alle miteinander die Verantwortung für die Schöpfung. Und vielleicht wird der ökologische Fußabdruck dadurch ein bisschen kleiner.

Mit Ihrem 75. Geburtstag haben Sie dem Papst Ihren Amtsverzicht angeboten, er hat ihn angenommen. Bis ein Nachfolger gefunden ist, bleiben Sie im Amt. Wie sieht diese Überbrückungsphase aus?

Das nennt sich Nunc pro tunc und heißt, ich soll mein Amt noch weiterführen, bis mein Nachfolger da ist. Das werde ich auch machen, ich hoffe nur, dass das nicht eine ewig lange Zeit ist. Bis es aber soweit ist, kann ich noch vieles tun: Im neuen Jahr wollen wir die Wies neu beleben und das kombinieren mit dem Freisinger Dom, dass wir uns da gegenseitig aushelfen.

Kennen Sie Ihren Nachfolger schon?

Nein, das Verfahren fängt jetzt erst an. Die Bischofskonferenzen und wir als Dom geben alle drei Jahre eine Liste mit Kandidaten, die wir, die Bischöfe, für geeignet halten, nach Rom. Auch der Kardinal hat eine Liste zum aktuellen Fall nach Rom geschickt. Wer darauf steht, weiß ich nicht. Ich gehe davon aus, dass der, den unser Kardinal sich wünscht, in Rom auch abgesegnet wird.

Sie haben gar kein Mitspracherecht?

Nein, habe ich nicht. Und das würde ich auch nicht wollen. Wenn mein Nachfolger im Amt ist, dann halte ich mich auch zurück. Ich selbst hatte diesbezüglich einen ganz vornehmen Vorgänger, den Graf von Soden-Fraunhofen. Ich habe ihn etliche Male gefragt, wie dieses oder jenes funktioniert. Da hat er dann Auskunft gegeben, das war sehr hilfreich. Mehr mache ich auch nicht.

Wie soll Ihr Ruhestand aussehen?

Ein paar Pläne habe ich schon: Ich träume ein bisschen davon, in der Wintersaison nach Ruhpolding zu fahren und dort ein paar Tage lang Ski zu fahren. Dann werde ich Radtouren machen, mittlerweile fahre ich sehr gerne Rad. Und ich habe mir außerdem vorgenommen, den Maximiliansweg vom Bodensee nach Berchtesgaden zu fahren.

Können Sie wirklich schon an Abschied denken, fällt Ihnen das schwer?

Ich wusste schon lange, der 75. Geburtstag ist vom Amt her das Ende. Darauf habe ich mich auch eingestellt. Ich bin auf der einen Seite nicht überschwänglich froh, aber ich bin auch nicht traurig. Mit 75 ist es langsam gut. Und dem Verein tut es auch gut, nach 27 Jahren jemand anderes kennenzulernen.

Was war Ihr persönlich größter Erfolg während Ihrer Amtszeit?

( denkt nach) So ganz spontan fällt mir ein, dass die Mutter eines Firmlings, die mich mal getroffen hat, zu mir sagte: "Jetzt muss ich Ihnen ein großes Kompliment machen. Mein Sohn hat gesagt "Mei, der Bischof ist megageil". Und wenn ein Firmling so etwas sagt, dann kann ich ja nicht ganz daneben gelegen haben.

Die letzten zwei Jahre Ihres Amtes sind von einer Pandemie überschattet worden. Wie gehen Sie als gläubiger Mensch damit um?

Ich habe mir immer wieder mal die Frage gestellt: Was bedeutet das eigentlich? Ich bin niemand, der meint, dass so eine Pandemie die Strafe Gottes ist.

Vielleicht ist es keine Strafe, sondern mehr eine Prüfung.

Nicht unbedingt, dass Gott sagt, die prüfen wir jetzt mal. Aber dass so etwas für uns Menschen eine Prüfung darstellt, das glaube ich schon. Und das gehört in gewisser Weise zum Leben, auch wenn wir es oft nicht verstehen. Ich frage mich schon manchmal, wo Gott ist, warum das sein muss. Für uns denkende Menschen ist das eine Herausforderung. Ich verstehe es ja auch nicht. Aber wir dürfen Gott anklagen. Das löst die Situation nicht, aber man hat Gott als Ansprechpartner.

Gehen Sie mit einem guten Gewissen?

Ich gehe guten Gewissens und zufrieden. Es war eine wirklich schöne und erfüllte Zeit, mit vielen vielschichtigen und unterschiedlichen Menschen. Und ich glaube, dass ich auch vielen helfen konnte.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2021
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