Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft  und Tierschutz im Kreis Freising:Rettung vor dem Mähwerk

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Ein Forschungsprojekt, koordiniert von der Landesanstalt für Landwirtschaft, untersucht, wie man die Zahl der bei der Mahd getöteten Rehkitze reduzieren kann. Mehrere Teams sind im Landkreis unterwegs.

Von Petra Schnirch, Freising

Ende April beginnen auch im Landkreis Freising die ersten Landwirte auf ihren Feldern mit Mäharbeiten. Jedes Jahr wieder stehen sie dabei vor dem großen Problem, zuvor Rehkitze in den Wiesen aufzuspüren. Noch immer sterben allein in Bayern mehrere Tausend Rehkitze und andere Wildtiere. Ein Forschungsprojekt, koordiniert von der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Freising, will dazu beitragen, diese Zahl deutlich zu reduzieren. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen dazu gibt es bisher nur wenige, wie Projektkoordinator Stefan Thurner erklärt. Er hofft, Landwirten künftig, je nach Lage und Struktur ihrer Felder, genauere Empfehlungen geben zu können.

Rehkitze werden mit verschiedenen Methoden aufgespürt

Die Methoden, Rehgeißen und Kitze vor der Mahd zu vertreiben oder in den ersten Lebenswochen aufzuspüren, sind ganz unterschiedlich: Zum Einsatz kommen Wildscheuchen, Drohnen mit Wärmebildkamera, Sensoren oder akustische Wildretter am Mähwerk und spezielle Mähtechniken von innen nach außen. Vor allem in den ersten zwei bis drei Wochen flüchten Rehkitze aber nicht. Alle verfügbaren Techniken listet die Landesanstalt in einem "Mähknigge" auf, der im Internet heruntergeladen werden kann.

In den vergangenen Jahren sei das Thema stärker in den Fokus gerückt, sagt Projektkoordinator Stefan Thurner, selbst Landwirt im Nebenerwerb. Häufig würden akustische Wildretter am Mähwerk eingesetzt. Gerade im vergangenen Jahr seien viele ehrenamtliche Wildretter dazu gekommen, die Flächen mittels Menschenkette oder mit Drohnen mit Wärmebildkamera absuchten. Die LfL teste auch Produkte, die noch nicht auf dem Markt sind, wie das neue System Sensosafe, das im Herbst eingeführt werden soll. Jede der Maßnahmen habe, an der richtigen Stelle eingesetzt, eine gute Wirksamkeit. Keine sei für alle Flächen gleichermaßen zu empfehlen. "Leider wird es keine Technik geben, die alle Wildtiere rettet, aber wir sind darin schon ganz gut und schaffen es auf den meisten Flächen", erklärt Thurner. Die Wildtierrettung ist ihm selbst ein großes Anliegen.

Die Drohne mit Wärmebildkamera kostet 7000 Euro

Seit zwei Jahren ist auch Kreisjagdberater Martin Schredl aus Niederambach, selbst Landwirt, von Ende April bis Ende Mai überwiegend im nördlichen Landkreis Freising im Raum Gammelsdorf, Schwarzersdorf und Moosburg mit einer Drohne mit Wärmebildkamera im Einsatz. Es sei ihm immer schon sehr am Herzen gelegen, Rehkitze zu retten, erzählt er. Deshalb habe er das 7000 Euro teure Gerät angeschafft. Allein in der vergangenen Saison konnten damit 69 Kitze aufgespürt werden. "Eine super Sache", sagt er. Es sei "sehr erleichternd", wenn Landwirte nach dem Mähen erzählten, dass kein einziges Kitz mehr in der Wiese gewesen sei. Gerade im Bereich der Amperauen gebe es viel Grünland und sehr viel Rehwild.

Martin Schredl macht dies, wie viele andere Helfer, ehrenamtlich. 50 Euro berechnet er pro Einsatz. Das decke kaum die Nebenkosten, schildert er, weil die Akkus stark strapaziert würden. Rehkitzretter müssen früh aufstehen: Zwischen vier und acht Uhr sei er in der Regel unterwegs, in 40 Metern Höhe fliege die Drohne über die Felder. Wenn am Vormittag die Temperaturen steigen, sei es kaum noch möglich, mit der Kamera "einen Maulwurfshaufen von einem Rehkitz zu unterscheiden". Anschließend müssten die Landwirte sofort mit dem Mähen beginnen. Denn werden in einer Wiese Kitze entdeckt, werden sie mit Körben geschützt. Allerdings dehydrierten sie schnell, sagt Schredl. Maximal vier Betriebe schaffe er pro Tag. Die Anfragen durch die Landwirte stiegen. Sie seien gesetzlich verpflichtet, ihre Wiesen vor dem Mähen nach Rehkitzen abzusuchen. Da das Bundeslandwirtschaftsministerium mittlerweile einen Zuschuss für den Kauf von Drohnen gewähre, nehme auch die Zahl der Helfer zu, die diesen Service anbieten, sagt Schredl.

Auch die Attraktivität von Setzplätzen wird untersucht

Da es mit der aktuell verfügbaren Technik jedoch unmöglich ist, alle Grünland- und Feldfutterbauflächen nach Rehkitzen und weiteren Wildtieren abzusuchen, ist das von der LfL koordinierte Forschungsprojekt breit angelegt. Mit im Boot sind auch die TU München und die Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Sie bearbeiten wildbiologische Fragestellungen, zum Beispiel zur Attraktivität eines Setzplatzes, zum Verhalten von Rehgeiß und Kitz auch zueinander und zu ihrer Reaktion auf optische oder akustische Scheuchen. Außerdem beschäftigen sie sich mit der Modellierung einer räumlich und zeitlich variierenden Gefährdungskulisse. Sie wollen also ermitteln, wie wahrscheinlich es ist, ein Rehkitz auf einer bestimmten Fläche, abhängig von verschiedenen Einflussfaktoren, anzutreffen, wie Thurner schildert.

Die Experten der LfL wiederum testen die verschiedenen Techniken und Maßnahmen zur Rehkitzrettung in Zusammenarbeit mit Praktikern im Landkreis Freising, aber auch in anderen Regionen Bayerns. Eingebunden in das Projekt sind Landwirte und Jäger, sie sollen auf ihren Feldern, in ihrem Revier Daten erheben. Eine Umfrage für Landwirte dazu ist bereits online gestellt. Auch sie hätten großes Interesse an möglichst zuverlässigen Verfahren, sagt Thurner, denn keiner wolle mit den Konsequenzen leben. Es sei das Schlimmste, was passieren könne, wenn ein Kitz beim Mähen getötet oder verletzt werde, das erzählten ihm viele. Das Tier "schreit herzzerreißend".

Die meisten Kitze werden im Mai und Juni geboren

Die Vorbereitungen für die Einsätze der Projektteilnehmer in diesem Jahr laufen, denn die Saison ist kurz. Die allermeisten Rehkitze werden im Mai und Juni geboren. Zieht man Schlechtwetter-Phasen ab, bleiben laut Thurner etwa 20 Tage im Jahr für die Datenerfassung beim Mähen, die kurze Saison sei die größte Herausforderung für die Erhebungen. Im Landkreis Freising werden in diesem Jahr Flächen im Ampertal im Fokus stehen. Die Wildbiologen sind außerdem in den Landkreisen Donau-Ries, Ansbach und Weilheim-Schongau unterwegs.

Untersucht werden soll beispielsweise die Wirkung unterschiedlicher Scheuchen - direkt vor Ort von günstig gelegenen Hochsitzen aus. Bisher eingesetzte Kameras hätten nicht zuverlässig aufgezeichnet, schildert Thurner eines der Probleme. Einige Kitze sollen zudem Sender erhalten, um ihr Verhalten analysieren zu können. Teilweise gewöhnen sie sich an Scheuchen, teilweise verstecken sie sich an anderen Stellen im Feld, wenn sie aufgescheucht werden. Es gebe auch Anzeichen, dass sich die Setzzeit verschiebe und früher beginne, sagt der Projektkoordinator. Auch das wollen die Wissenschaftler herausfinden.

Ziel ist, eine Gefährdungskulisse zu erstellen

Insgesamt sieben oder acht Teams werden in diesem Jahr im Einsatz sein. Auch die Erfahrung der Landwirte vor Ort zähle, sagt Thurner. Allerdings verhielten sich die Tiere nicht immer gleich. Ziel des Projekts sei, eine Gefährdungskulisse zu erstellen, um den Landwirten ein Rüstzeug an die Hand zu geben, damit sie schnell Entscheidungen treffen und die geeignetste Methode zum Aufspüren oder Vergrämen der Rehkitze anwenden können. Das Projekt ist auf eine Dauer von dreieinhalb Jahren angelegt und geht noch bis 2023.

Weitere Informationen zu dem Projekt, zu den Umfragebögen und dem "Mähknigge" sind im Internet auf der Webseite www.wildtierportal.bayern.de/wildtierrettungsstrategien zu finden.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2021
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