Süddeutsche Zeitung

Jugendliche diskutieren mit Kandidaten:Wie Fische im Glas

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Bei einer Diskussionsveranstaltung des Kreisjugendrings in Kooperation mit der Freisinger SZ stellen sich die Bewerber für den Landtag den kritischen Fragen der jungen Wähler. Es geht um Bildung und Jugendarbeit, aber auch um den politischen Umgangston.

Von Kerstin Vogel, Freising

Dass die Jugend unpolitisch sei, desinteressiert gar und nur an Apps und Chats interessiert - dieser oft gehörte Vorwurf trifft zumindest auf die jungen Menschen im Landkreis Freising nicht zu. Gut 80 Jugendliche sind am Dienstagabend der Einladung des Kreisjugendrings gefolgt, um sich in einer besonderen Diskussion mit den Direktkandidaten der Parteien ein Bild zu machen von deren Zielen, Programmen und ihrer Glaubwürdigkeit.

Mit Ausnahme der AfD, der Piraten und der Bayernpartei hatten alle Parteien aus dem Landkreis Freising, die einen Direktkandidaten für die Landtagswahl aufgestellt haben, diesen auch zu der Diskussionsveranstaltung geschickt. Die Kandidatin von "Mut", Katharina Capric, hatte kurzfristig wegen Krankheit absagen müssen.

Das Format, für das sich der Kreisjugendring in Kooperation mit der Freisinger SZ entschieden hatte, trägt den schönen Namen "Fish-Bowl" und wurde von den SZ-Journalisten Nadja Tausche und Benjamin Reibert moderiert. Gleich zu Beginn hatten die Bewerber ihre schlimmste Jugendsünde beichten müssen - die Liste reichte vom Rauchen verbotener Substanzen über Schwarzfahren bis hin zu einem kleinen Feuer, das der Kandidat von "Die Partei" verbotenerweise angezündet hatte; er flüchtete, bevor die Feuerwehr kam.

Kurz durften die Bewerber einführend auch ihr jeweils wichtigstes, politisches Ziel für die Wahl formulieren. Markus Grill (SPD) nannte da den Erhalt der demokratischen, freien Gesellschaft in Bayern und Deutschland, "darum mache ich mir Sorgen". Wieder mehr Miteinander in der politischen Diskussion wünscht sich Benno Zierer (FW): "Wir müssen zeigen, dass die bestehende Parteienlandschaft Probleme lösen kann." Kevin Neuwirth, der als Kandidat von "Die Partei" den ganzen Abend zwischen dem satirischen Ansatz der Gruppierung und durchaus ernst zu nehmenden Standpunkten mäanderte, nannte als sein oberstes Ziel einmal mehr den "Bierbrunnen in jeder größeren bayerischen Gemeinde", während Johannes Becher (Grüne) einen "echten Klimaschutz" und das Aus aller Pläne für den Bau der dritten Startbahn am Münchner Flughafen anführte.

Felix Bergauer (ÖDP) postulierte seinen Einsatz für "Gemeinwohl und Gemeinökonomie" und Guido Hoyer (Die Linke) nannte als sein Ziel "ein soziales Bayern, in dem alle gut leben können". Jens Barschdorf (FDP) möchte vor allem "die Staus und die Ideenlosigkeit auflösen und die Probleme endlich angehen" - und Staatsminister Florian Herrmann (CSU) geht es zuvorderst darum, die politischen Verhältnisse in Bayern stabil zu halten.

Geschickt führte das Moderatorenduo die jugendlichen Besucher und die Landtagskandidaten anschließend durch die Themen des Abends (), wobei das Format eine Vielzahl unterschiedlichster Fragen erlaubte. So ging es unter dem Oberbegriff "Bildung" gleich zu Beginn um die Digitalisierung der Schulen. Zwar herrschte bei den Kandidaten da Einigkeit, dass diese zu erfolgen habe - Barschdorf beispielsweise plädierte nachdrücklich dafür, digitale Medien im Unterricht sinnvoll einzusetzen - wie genau das umgesetzt werden soll, sagte jedoch keiner. Dass der Umgang mit Computern, Programmen und den neuen Medien ein neues Schulfach werden solle, diese Anregung eines Zuhörers würden beispielsweise Becher und Zierer so unterstützen. Herrmann erhielt die Gelegenheit, das bayerische Schulsystem mit dem Übertritt an eine weiterführende Schule nach der vierten Klasse zu verteidigen. Seiner Behauptung, dass das System durchlässig genug sei, widersprach jedoch Grünen-Kontrahent Becher: Es werde vielmehr nach Noten separiert und nicht nach Begabungen. Klar sprachen sich Herrmann und Grill für einen wieder erweiterten Sozialkundeunterricht aus, Herrmann regte an, die Themen daraus in anderen Fächern zu verankern.

Unter dem Oberbegriff Jugendarbeit und politische Mitbestimmung diskutierten die jungen Leute mit den Abgeordneten dann unter anderem über das Wahlrecht mit 16, das Herrmann beispielsweise ablehnte, Hoyer und Neuwirth sprachen sich dafür aus - während sich Zierer lediglich zu einem "Jein" durchringen konnte.

Herrmann musste sich von einem Zuhörer Kritik gefallen lassen, weil seine Partei die Teilnehmer einer Demonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz als "Spinner" bezeichnet hatte. Damit seien lediglich die linksextremen Gruppen unter den Teilnehmern gemeint gewesen, rechtfertigte sich der Minister. Seine Behauptung, es habe in der Gesellschaft generell eine Verschiebung nach links gegeben, führte dann allerdings zu einer der fulminantesten Gegenreden des Abends. Guido Hoyer warf Herrmann "Realitätsblindheit" vor und erklärte, dass das Problem in Deutschland ein Rechtsruck sei, "gegen den wir alle gemeinsam vorgehen müssen".

Zum Thema politischer Umgangston ergab sich, dass die Kandidaten unisono die politische Auseinandersetzung schon für wesentlich in einer Demokratie halten. Dabei dürfe es auch ruhig in der Sache hart zugehen, war man sich einig. Markus Grill sagte, dass er nicht "über alles die Konsenssoße gießen" wolle: Respekt vor dem politischen Gegner aber müsse schon sein. Man dürfe nicht verletzend und mit völlig überzogener Wut agieren, mahnte Herrmann.

Tatsächlich ohne Ton durften die Kandidaten nach einem etwa zweistündigen, informativen Austausch dann noch ihren persönlichen Wunsch für Bayern darstellen - pantomimisch, was für Johannes Becher relativ leicht zu erfüllen war. Er beerdigte gestenreich die dritte Startbahn, und auch Kevin Neuwirth hatte es einigermaßen leicht: Er zeigte eine Biertrinkergeste. Bei den anderen durfte etwas mehr gerätselt werden: Hoyer, Bergauer, Herrmann und Zierer vollführten Gesten, die alle mit "gemeinsam" zu interpretieren waren, Jens Barschdorf versuchte sich mit einem imaginären Staubwedel und bei Markus Grill blieb am Ende die Vermutung, dass er irgendwie die Freiheitsstatue darstellen wollte.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2018
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