Süddeutsche Zeitung

Auch in Freising werden wieder Unterschriften gesammelt:Radverkehr soll bis 2030 verdoppelt werden

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In der Stadt macht der Ausbau der Fahrradinfrastruktur Fortschritte. Auf bayernweiter Ebene vermissen Engagierte jedoch den politischen Willen, so dass sie sich nach dem Radentscheid Freising nun für den Radentscheid Bayern stark machen.

Von Marius Oberberger, Freising

Fahrrad-Infrastruktur besteht nicht nur aus gut ausgebauten und sicheren Radwegen: Zudem sollte das Streckennetz durchgehend sein und Radschnellwege über längere Distanzen umfassen. Auch Winterdienst, Abstellmöglichkeiten sowie umfangreiche Fahrrad-Bildung gehören dazu. Im Gespräch mit Emilia Kirner und Andreas Kagermeier, die sich beim Radentscheid Freising engagieren und Freisinger Beauftragte für den Radentscheid Bayern sind, wird schnell deutlich, dass für ein Vorankommen des Radverkehrs in Bayern viel notwendig ist.

Aktuell werden elf Prozent der Wegstrecken im Freistaat mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die Bayerische Staatsregierung hat 2017 erklärt, das bis 2025 auf 20 Prozent erhöhen zu wollen und beteuert, Bayern als Radlland zu sehen - seitdem ist der Anteil aber gerade mal um einen Prozentpunkt gestiegen. Manchen reichen die Maßnahmen nicht aus und sie engagieren sich deshalb in Bürger- und Volksbegehren für den Radverkehr. Sie wollen, dass das Fahrrad zum allgemein bequemsten Verkehrsmittel für Alltagsstrecken wird, wie etwa in den Niederlanden, wo 27 Prozent der Wegstrecken mit dem Rad zurückgelegt werden.

Die Kommunen können den Radverkehr nicht alleine voranbringen

Emilia Kirner ist ÖDP-Stadträtin in Freising, Andreas Kagermeier Professor für Geographie und bei den Freisinger Grünen ohne politisches Mandat tätig. Der Radentscheid Freising hat im März 2022 mit der Stadt Freising einen Vertrag über den Ausbau der Radinfrastruktur unterzeichnet. Das überparteiliche Bündnis steht allen offen und beobachtet, wie der Radvertrag umgesetzt wird. Kirner berichtet, dass sie bei der Stadt "viel Engagement" wahrnimmt und den politischen Willen sieht, den fünf Jahre gültigen Vertrag umzusetzen. Kagermeier merkt an, dass in Freising in den vergangenen 20 Jahren vieles versäumt worden sei. "Es wird immer kritisch, wenn es darum geht, den knappen Raum, den wir die vergangenen hundert Jahre im Wesentlichen kostenlos für den motorisierten Individualverkehr bereitgestellt haben, neu zu reflektieren und gerechter aufzuteilen", bemerkt er. "Es wird sicher in den nächsten Jahren die ein oder andere hitzige Diskussion geben!"

Der schleppende Ausbau des Radverkehrs liegt aber nicht nur an den Kommunen, sondern auch am Freistaat Bayern: Kagermeier spricht von einem "Stückwerk an Zuständigkeiten", in dem "die Zuständigkeiten der Kommunen oftmals am Ortsschild enden". Besonders Radschnellwege, die Pendlerinnen und Pendlern über weite Strecken und Gemeindegrenzen schnelle Fortbewegung ermöglichen sollen, scheitern daran. Am 10. März hat der Bayerische Landtag mit den Stimmen von CSU, FW, AfD und FDP zwei Gesetzesentwürfe der Grünen und der SPD für ein Radgesetz in Bayern abgelehnt. Dies habe laut Kagermeier dazu beigetragen, dass aus den elf kommunalen Radentscheiden eine bayernweite Initiative entstanden ist, die von ADFC und VDC getragen und von politischen Parteien unterstützt wird: Der Radentscheid Bayern.

Ein bayernweites Radgesetz fehlt

Das Bündnis hat einen Entwurf für ein bayerisches Radgesetz formuliert, das einen Radverkehrsanteil von 25 Prozent bis 2030 anstrebt, ihn also mehr als verdoppeln möchte. Kirner führt aus: "Es ist eine Frage der Zuständigkeiten und des politischen Willens!" Der Bau von Straßen für Autos funktioniere auch relativ gut, daher könne eine politische Absichtserklärung für den Radausbau viel bewirken, wenn alle politischen Entscheidungsgremien zusammenarbeiten. Weiterhin strebt das Gesetz eine "Vision Zero" von null Verkehrstoten an, welches laut Kagermeier praktische Folgen für die Verkehrsplanung haben würde. Sichere Radwege und Radschnellwege sollen geschaffen, die Kombination von ÖPNV und Fahrrad erleichtert und die Flächenversiegelung so gering wie möglich gehalten werden. Kagermeier: "Es geht um die Haltung, den Fahrradverkehr nicht nur als lästige Randnotiz zu sehen!" Konkrete Maßnahmen, etwa ein bayernweites Wunschliniennetz, Eingriffe in die kommunale Verwaltung oder finanzielle Vorgaben darf ein Volksbegehren nicht beinhalten, um nicht für rechtlich unzulässig erklärt zu werden.

Zivilgesellschaftliche Initiativen für einen besseren Radverkehr und die entsprechende Gesetzgebung gibt es nicht nur in Bayern. Gerade hat das Bündnis 'Verkehrswende Hessen' 70.000 Unterschriften zur Zulassung eines Volksbegehrens eingereicht. Bei dieser Aktion am Sonntag, 28. August, waren auch Freisinger Engagierte wie Kagermeier dabei: Tausende Radelnde sind 40 Kilometer in einer Sternfahrt von Frankfurt zum Regierungssitz Wiesbaden über eine für die Demonstration gesperrte Autobahn gefahren und haben die Unterschriften dem hessischen Verkehrsminister überreicht. Kagermeier findet den Austausch mit anderen Engagierten wichtig, um sich Impulse abzuholen, etwa wie man eine solche Sternfahrt nach München organisieren könnte.

Eine Million Unterschriften werden nötig sein

Der Radentscheid Bayern wird, sollte das Volksbegehren zugelassen werden, Unterstützung brauchen: Aktive sollen als Rathauslotsinnen und -lotsen erklären, wie das Volksbegehren abläuft und für den Radentscheid werben. Daher gibt es mittlerweile in fast allen bayerischen Landkreisen lokale Aktionsbündnisse, die auf der Website des Radentscheids zu finden sind: Kirner und Kagermeier sind die Ansprechpersonen für den Landkreis Freising. Wer jetzt bereits etwas für den Radverkehr in Freising tun möchte, kann vom 1. September bis zum 30. November beim Fahrradklimatest des ADFC teilnehmen. Dort bewerten Bürgerinnen und Bürger, wie es um verschiedene Aspekte des Radelns in der Stadt steht, etwa Sicherheit, Abstellmöglichkeiten und Ampelschaltungen. Auch solche Meinungsbilder können politische Entscheidungen beeinflussen.

Der Radentscheid Bayern sammelt noch bis zum 31. Oktober Unterschriften auf Zulassung eines Volksbegehrens, welche dann Mitte November den Kommunen zugesendet und von diesen auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Anschließend wird der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens Anfang 2023 beim bayerischen Innenministerium eingereicht und dort auf Zulässigkeit geprüft.

Liegen 25.000 gültige Unterschriften vor und ist der vorgeschlagene Gesetzestext juristisch zulässig, wovon Emilia Kirner und Andreas Kagermeier, die beiden Beauftragten für Freising, ausgehen, kommt es wahrscheinlich im Frühling oder Sommer 2023 zum Volksbegehren: Dann müssten zehn Prozent der bayerischen Wahlberechtigten, etwa eine Million Menschen, innerhalb von zwei Wochen in den Rathäusern unterschreiben, damit das Volksbegehren erfolgreich ist.

Zuletzt ist das dem Volksbegehren Artenschutz 2019 gelungen. Wenn der Bayerische Landtag das Volksbegehren anschließend annimmt, wird es Gesetz. Bei Ablehnung käme es zu einem Volksentscheid, wo die Bürgerinnen und Bürger wie bei einer Wahl aufgefordert werden, mit Ja oder Nein zu stimmen.

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