Süddeutsche Zeitung

Freisinger im Krisenmodus:Nähen, um zu helfen

Lesezeit: 3 min

Lena Kastenhuber ist Studentin und ausgebildete Schneiderin. Vorlesungen finden zurzeit keine statt, darum fertigt sie jetzt Schutzmasken an. Das tut auch Anna-Laura Liebenstund, die Geschäftsführerin der Nordallianz.

Von Petra Schnirch und Alexandra Vettori, Freising/Ismaning

Die harten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie treffen auch die Menschen im Landkreis auf den unterschiedlichsten Ebenen. Für manche bedeuten sie nur Einschränkungen in ihrem Freizeitverhalten, die meisten haben aber konkrete Sorgen - ob es nun um Gefahren für die eigene Gesundheit, um die schwierige Betreuung der Kinder oder die Rettung des eigenen Geschäfts oder Unternehmens geht. Die Freisinger SZ gibt in einer Serie Einblicke in das Leben der Menschen im Krisenmodus.

Studentin und Schneiderin

Lena Kastenhuber ist Studentin und ausgebildete Schneiderin. Vorlesungen finden derzeit noch keine statt, ihre Jobs sind wegen der Corona-Beschränkungen alle weggebrochen. Also besinnt sich die 29-Jährige auf das, was sie einmal gelernt hat, um anderen damit zu helfen: Sie näht - und zwar das, was derzeit dringend gebraucht wird. Mehr als 80 Masken hat sie bereits angefertigt und gibt sie gegen das Portogeld oder eine kleine Spende ab. Wichtig sei ihr, dass die Übertragungsrate gesenkt werden könne, schreibt sie auf der Facebookseite von "Treffpunkt Freising"

Dort stößt ihr Angebot auf großes Interesse. Auch Stoffspenden habe sie bereits erhalten, erzählt Lena Kastenhuber. Etwa 15 bis 20 Minuten benötige sie für eine Schutzmaske, je nach Stoff. Etwas aufwendiger ist die Fertigung, weil die Studentin auf Bänder statt auf Gummi setzt. Weitermachen will sie, soweit es ihre Zeit und der Materialvorrat zulassen. Der Interessentenkreis ist bunt gemischt, von Familien über Studierende bis hin zu älteren Freisingern. Auf einen Online-Shop verzichtet sie, denn sie will Berufsschneiderinnen keine Kunden wegnehmen.

Lena Kastenhuber studiert in Weihenstephan an der TU München Ernährungswissenschaften. Nach ihrer Ausbildung zur Schneiderin in München hat sie nicht lange in diesem Beruf gearbeitet und ist in die Gastronomie gewechselt. Eine Lehre zur Fachkraft für Systemgastronomie schloss sich an. In der kommenden Woche startet die TU München digital ins Sommersemester. "Ich bin schon gespannt, wie das läuft", sagt die 29-Jährige. Die Interaktionen in Vorlesungen und Seminaren ließen sich online nicht ersetzen.

Die Stoff-Organisatorin

So hätte sich Anna-Laura Liebenstund ihren Job als Geschäftsführerin der Nordallianz sicher nicht vorgestellt. Im Februar vergangenen Jahres ist die 33-Jährige bei dem Zusammenschluss von acht Kommunen im Münchner Norden angestellt worden, jetzt herrscht auch in ihrem Büro in Ismaning Ausnahmezustand. Tagelang hat sie vorige Woche zwei riesige Stoffrollen aus je 400 Metern Stoff zerschnitten, um die einzelnen Pakete dann in die acht Mitgliedsgemeinden zu fahren. Bekommen hat sie den Stoff, ein Kunststoff-Vlies, das auch in professionellen Masken steckt, vom Landratsamt München.

Mittlerweile werden in allen Orten der Nordallianz fleißig Behelfsmasken genäht. "Unzählige Freiwillige, Vereine, Nachbarschaftshilfen, Caritas, Rotes Kreuz und ganz, ganz viele Privatleute nähen", erzählt Liebenstund begeistert. Teils habe man den Stoff auch bei ihr abgeholt, aus Oberschleißheim sei zum Beispiel extra die Feuerwehr gekommen. Weil schon vorher in vielen Orten Masken-Näherinnen aktiv waren, kam man auf die Idee, das professionelle Vlies in die normalen Baumwollmasken als zusätzlichen Filter einzustecken. "Das ist super, man hat weniger Müll, weil man die Baumwollmaske waschen kann und nur den Filter wechseln muss", so die Geschäftsführerin der Nordallianz.

Mittlerweile findet ein reger Austausch statt. Neufahrn hat seinen Stoff Unterschleißheim abgetreten, weil man schon gut versorgt ist und in Unterschleißheim besonders viele Näherinnen am Werk sind. Dazu werden eifrig Tipps und Anleitungen ausgetauscht. Die Ismaninger Waldorfschule hat extra ein Video-Tutorial gedreht, um die Nähanleitung Schritt für Schritt zu erklären. Auch für ein brennendes Problem wurde schon eine Lösung gefunden, sie kommt aus Oberschleißheim: In Ermangelung von Gummiband, das bereits bei diversen Internet-Händlern ausverkauft ist, kam aus der Gemeinde die Idee, einfach aus alten T-Shirts oder Jerseystoff die Kopfbänder zu schneidern. "Das hat sogar den Vorteil, dass der Stoff weicher ist und nicht an den Ohren einschneidet", so Liebenstund. Mit dem Maskenprojekt hilft die Nordallianz nicht nur bei der Vorbereitung zur wohl kommenden Maskenpflicht. Auch das Robert-Koch-Institut empfiehlt das Tragen, selbst genähte Stoffmasken helfen zumindest den anderen Menschen, da sich Tröpfchen so nur schwer ausbreiten können.

Normalerweise, so Liebenstund, wäre sie derzeit mit der Luftqualitäts-Ausstellung der Nordallianz in den Schulen unterwegs. Da die Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit aber ausdrücklich zu ihren Aufgaben gehört, nimmt sie die neue Herausforderung willig an. Und das Münchner Landratsamt habe schon signalisiert, "es kommt Stoff-Nachschub".

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Quelle:
SZ vom 15.04.2020
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