Süddeutsche Zeitung

Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Flüchtlinge:Wenn Quarantäne zum Trauma wird

Lesezeit: 3 min

Die Corona-Maßnahmen treffen Flüchtlinge besonders hart. Die Angst vor einer Ansteckung ist in den Unterkünften groß.

Von Nadja Tausche, Freising

Die Maßnahmen rund um die Corona-Pandemie treffen Flüchtlinge besonders hart. In Flüchtlingsunterkünften sei die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus groß, sagt Jan Drobniak, Psychologe bei der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Freisinger Diakonie. Dazu komme der fehlende persönliche Kontakt zu den Flüchtlingshelfern: Ärzte oder Hebammen dürfen die Unterkünfte zwar betreten, Flüchtlingshelfer wegen des allgemeinen Kontaktverbots aber nicht. In vielen Fällen fallen zudem Berufs- oder Ausbildungsplätze weg, damit fehlen feste Strukturen. "Der psychische Druck ist gewachsen", sagt Drobniak.

Besonders problematisch ist dabei die Abschiebehaft bei Geflüchteten, die Deutschland verlassen müssen. Wann die Abschiebung stattfindet, kann derzeit niemand sagen: Wegen der Corona-Krise fallen die meisten Flüge in die Herkunftsländer aus. Man könne Menschen aber nicht festhalten, wenn sich der Zeitpunkt der Abschiebung immer weiter nach hinten verschiebt, findet Dieter Müller, bayerischer Koordinator des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. "Das ist alles Freiheitsentzug", sagt er: "Da ist ein Grundrecht, mit dem recht locker umgegangen wird." Müller fordert, die Abschiebehaftanstalten in Bayern während der Corona-Krise zu schließen.

Auch ein in Freising lebender Flüchtling war in Abschiebehaft

Von Abschiebehaft sei im Zuständigkeitsbereich des Freisinger Landratsamtes derzeit niemand betroffen, berichtet Pressesprecher Robert Stangl. "Die Ausländerbehörde Freising nimmt angesichts der Corona-Pandemie solange keine vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer in Abschiebehaft, bis hinreichend sichergestellt ist, dass Ausreiseflüge stattfinden können." Bis vor Kurzem war ein Freisinger Flüchtling aber durchaus von der Maßnahme betroffen. Der Pakistaner Imtiaz A. arbeitete als Servicekraft am Münchner Flughafen, bis er im März er in Abschiebehaft genommen wurde. Dort blieb er etwas länger als einen Monat, erzählt eine Freisinger Flüchtlingshelferin, die den Fall betreut und anonym bleiben möchte. Warum er jetzt abgeschoben werden soll, sei noch nicht ausreichend geklärt. Wie belastend Abschiebehaft sein kann, sieht man an dem Fall gut: Der Betroffene habe mit Schlafstörungen, Angstzuständen und Symptomen von Depressionen zu kämpfen, "er muss sich gerade von einer enormen psychischen Belastung erholen", sagt die Helferin. Man müsse jetzt klären, warum Imtiaz A. trotz seiner Arbeitsstelle und seiner Sprachkenntnisse in Abschiebehaft genommen und warum er dann wieder freigelassen wurde. In ähnlichen Fällen hatte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen angeordnet, die Haft aufzuheben, weil nach Angaben der Behörde unklar ist, wann Rückführungen nach Pakistan wieder stattfinden werden.

Wie schwierig die Situation in Flüchtlingsunterkünften ist weiß Maria Brand, sie ist in der Asylberatung von Amnesty International tätig. In vielen Unterkünften gebe es kein Wlan, die Menschen könnten so nur schwer an Online-Integrationskursen teilnehmen, bei den Kindern sei es das Gleiche mit dem Schulunterricht. Aus Angst vor Ansteckung in den gemeinsam genutzten Küchen und Bädern trauten sich viele Geflüchtete nicht aus den Zimmern. Brand fordert, Risikopersonen sofort aus den Unterkünften rauszunehmen und etwa in Hotels unterzubringen. "Wir rechnen einfach mit toten Menschen, wenn das nicht passiert", sagt sie.

Freiheitsbeschränkungen sind bei Geflüchteten oft mit anderen Erinnungungen behaftet

Erkrankt ein Mensch in einer Flüchtlingsunterkunft am Coronavirus, entspricht der Ablauf laut Landratsamt dem von außerhalb der Unterkünfte. Das Gesundheitsamt nehme Kontakt zur infizierten Person auf und ermittle Kontaktpersonen, die gegebenenfalls auch getestet werden. "Für Infizierte und enge Kontaktpersonen ordnet das Gesundheitsamt die häusliche Absonderung an", so Stangl. Menschen aus Unterkünften herauszunehmen, sei in dringenden Fällen durchaus möglich, betont er: In der Unterkunft in der Freisinger Saarstraße seien einige Zimmer geräumt worden, um Erkrankte mit geringen oder keinen Symptomen unterzubringen. "Da die Entwicklung der Pandemie noch nicht abgeschätzt werden kann, stehen diese Zimmer auch weiterhin für Notfälle zur Verfügung."

Davon scheinen allerdings nicht alle Helfer etwas zu wissen. Die Situation der Quarantäne sei oft schwierig, erzählt eine Helferin aus der Unterkunft in der Katharina-Mair-Straße. In einer Wohneinheit etwa seien zwei Frauen mit insgesamt fünf Kindern bis zu ihrem negativen Testergebnis in Quarantäne gewesen. "Wenn ich an die Kinder denke, die sowieso unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, ist das sehr schwer", sagt die Helferin. Beachten müsse man auch, dass Maßnahmen wie eine Quarantäne bei Geflüchteten etwas anderes auslösen könnten als bei Menschen ohne Fluchthintergrund: "Wenn sie in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt werden, ist das zum Teil mit ganz anderen Erinnerungen behaftet", sagt die Flüchtlingshelferin, die auch Imtiaz A. betreut. Sie fordert deshalb mehr Transparenz: Für die Geflüchteten nachvollziehbar zu machen, warum Quarantäne angeordnet werde oder warum manche Bewohner auf das Coronavirus getestet würden, andere aber nicht. Auch die Helfer sollten rechtzeitig informiert werden, fordert sie.

Geflüchtete müssen ihre Ausweispapiere rechtzeitig bei den Ämtern verlängern, dass die persönliche Vorsprachen wegen Corona einschränkten, "sorgte gerade am Anfang für viel Verunsicherung und Chaos", erzählt sie. Die Betroffenen seien teilweise nicht informiert gewesen, wie Verlängerungen zukünftig ablaufen sollten. Zu dem Zeitpunkt hätten viele sie angerufen, verzweifelt: Die Fristen laufen ab, was man jetzt machen solle. "Ein sehr wesentlicher Kanal für Aufklärung fehlt: Das persönliche Gespräch", sagt die Helferin. Den Flüchtlingshelfern bleibe vorerst nur, per Telefon und Internet so gut wie möglich für die Menschen da zu sein.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2020
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