Süddeutsche Zeitung

Hochschulen in Freising:Länger bei Mutter-Kuh oder Amme

Lesezeit: 4 min

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt wollen TUM, HSWT und Landesanstalt praktische Empfehlungen für die kuhgebundene Kälberaufzucht erarbeiten. Ein Betrieb, der bereits umgestellt hat, ist der Grandl-Hof in Marzling - und die Erfahrungen sind durchwegs positiv.

Von Petra Schnirch, Freising

Immer mehr Milchviehhalter überlegen, Kälbchen nach der Geburt einige Zeit von der Mutter oder einer Amme säugen lassen, eine Rolle spielt dabei vor allem der Tierwohl-Gedanke. Das aber ist offenbar gar nicht so einfach umzusetzen, wie der Laie sich das vorstellt. Ein gemeinsames Projekt von TU München (TUM), Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) und Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) arbeitet nun an Lösungen für einige praktische Fragen. Es geht etwa darum, wie Landwirte überprüfen können, dass die Kälber genügend Milch bekommen.

Konkrete Leitlinien und Empfehlungen aus der praxisorientierten Forschung fehlten bisher, heißt es in einer Mitteilung der drei Weihenstephaner Einrichtungen. Ziel ist es, Hemmnisse für eine Umstellung auszumachen und geeignete Indikatoren zur Bewertung von Tierwohl und Milchmengen zu entwickeln und zu erproben. Das Forschungsprojekt, das vor Kurzem gestartet wurde, ist auf eineinhalb Jahre angelegt.

Teil ist eine Online-Befragung von Milchviehbetrieben, unabhängig von der Haltungsform von Kühen und Kälbern. Fünf ausgewählte Betriebe, die kuhgebundene Kälberaufzucht praktizieren, werden zudem genauer untersucht und begleitet.

Zu den Grundsatzfragen, die bisher nicht geklärt sind, gehört für Julia Steinhoff-Wagner, Professorin für Tierernährung und Metabolismus an der TUM, der Immunstatus. Einerseits bringe die Kälberaufzucht mit Mutter oder Amme Vorteile mit sich. Andererseits sei es mit deutlich mehr emotionalem Stress verbunden, wenn das Kalb erst später von seiner Mutter getrennt werde als direkt nach der Geburt. Ziel des Forschungsprojekts sei eine ganzheitliche Betrachtung. "Wir müssen darauf achten, dass sich durch die kuhgebundene Kälberaufzucht das Tierwohl und die Tiergesundheit verbessern oder, wenn diese bereits auf einem guten Niveau sind, dort erhalten werden", erklärt Steinhoff-Wagner.

Es gibt kein Standardsystem für alle Höfe

Ihre HSWT-Kollegin Eva Zeiler ist Tierärztin und leitet den Lehrstuhl für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft. Sie interessiert vor allem der Aspekt der Eutergesundheit. "Wenn mehrere Kälber an der Kuh saufen, wird das Euter häufiger komplett geleert, was sich positiv auswirkt", sagt sie. "Andererseits haben wir beobachtet, dass die Zitzen durch das Saugen und fehlende Pflegemittel stark beansprucht werden." Es könne zu Hyperkeratosen, einer verstärkten Verhornung, kommen. Immer mehr Landwirte und Landwirtinnen zeigten Interesse an einer kuhgebundenen Kälberaufzucht, aus Gründen des Tierwohls, der Tiergesundheit und der Arbeitswirtschaft. Es gebe aber kein Standardsystem für alle Höfe - und das Modell passe nicht für jeden Betrieb.

Jan Harms, der an der Landesanstalt den Arbeitsbereich "Systeme der tierischen Erzeugung" koordiniert, bestätigt, dass das Interesse an dem Konzept wächst. "Häufig spüren wir aber eine gewisse Unsicherheit", schildert er. Da sei zum einen die Frage, ob die Kälber genug Milch bekommen. Anders als bei Eimer oder Tränkeautomat sehe man nicht mehr, wie viel es getrunken hat. Die LfL wolle die Eutergesundheit untersuchen und wie sich eine Trennung nach einer längeren Bindungsphase auf Kalb und Kuh auswirkt. Eine zentrale Frage sei auch, wie der zusätzliche Aufwand der Landwirte am Markt honoriert wird.

Der Grandl-Hof in Marzling hat den Schritt bereits gewagt und auf Ammenkuhhaltung umgestellt. Bereut hätten sie diese Entscheidung nicht, erzählt Michaela Grandl, auch wenn der Aufwand etwas höher sei und man schon ein Augenmerk darauf haben müsse, dass die Kälber genug trinken. Der neue Stall sei ganz auf die Ammenkuhhaltung ausgerichtet, mit drei Bereichen, weil man die ganz kleinen Kälber von den größeren trennen müsse. Die Vorteile liegen für Michaela Grandl auf der Hand: Da sind zum einen die Sozialkontakte unter den Tieren. "Die Kälber genießen das." Zum anderen haben sie mehr Bewegungsfreiraum. Schon nach wenigen Tagen "hüpfen sie in der Box herum". In der Einzel-Iglu-Haltung sei das nicht möglich. 2022 wurde der Marzlinger Betrieb auch wegen der Ammenkuhhaltung mit dem bayerischen Tierwohlpreis ausgezeichnet.

Die Ergebnisse des Projekts sollen in Beratungsunterlagen für Betriebe einfließen, außerdem plant die LfL Infoveranstaltungen. Auch sollen Beurteilungsbögen entwickelt werden, damit die Landwirte, Berater und Tierärzte bewerten könnten, ob das Kalb ausreichend versorgt sei, erklärt Steinhoff-Wagner.

Zunächst aber sollen Landwirte und Landwirtinnen befragt werden, welche Herausforderungen sie sehen, von der Tierernährung bis zum Bereich Landtechnik - etwa wie Fressgitter aussehen müssen, dass die Kuh jederzeit Zugang zu Futter hat und trotzdem das Kalb nicht durchschlüpfen kann. Die Beantwortung des Fragebogens nimmt zehn bis 20 Minuten in Anspruch, abgerufen werden kann er unter https://ww3.unipark.de/uc/KuKIndiTM/.

Warum kommen die Tiere nicht allein zurecht?

"In der freien Wildbahn trinken Säugetiernachkommen nach der Geburt an der Mutter und ihr Überleben hängt maßgeblich davon ab, wie vital sie sind, wie schnell sie aufstehen, das Euter finden und dann die lebenswichtige Erstmilch aufnehmen", erklärt Professorin Julia Steinhoff-Wagner. Bei den landwirtschaftlichen Nutztieren sei das sehr ähnlich: "Nur ist die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kälber viel höher als in der freien Wildbahn, weil zum einen die Fressfeinde fehlen und zum anderen die Unterstützung von schwächeren Tieren viel besser ist. Landwirte helfen dabei, dass Neugeborene zügig das Euter finden und ausreichen Erstmilch aufnehmen." Das sei bei Milchkühen wichtiger als bei Fleischrassen, weil es durch die höhere Milchmenge nach der Geburt zu einer Verdünnung der lebenswichtigen Immunglobuline komme und es somit bedeutender für diese Kälber sei, schnell eine größere Menge Milch aufzunehmen.

Eine weitere Herausforderung: Die Nutzung von Tieren für die Ernährung des Menschen beinhalte, dass die Kühe ab etwa einer Woche nach der Geburt dann nicht nur Milch für ihr Kalb produzieren, sondern auch gemolken werden. Hier stelle sich die Frage, wie man das Melken am besten organisiere, wenn die Kuh ein Kalb bei sich hat. Denn zumindest während des Melkvorgangs sei eine Trennung erforderlich, was für beide Tiere Stress bedeute. Deswegen habe es sich in der Vergangenheit etabliert, Kuh und Kalb direkt nach der Geburt zu trennen, erklärt Steinhoff-Wagner, weil ohne den Aufbau einer Bindung zwischen beiden die Trennung stressfreier erfolge.

Auch die Kontrolle sei für den Landwirt bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht schwieriger. Speziell in der Phase direkt nach der Geburt könne es bei der Kuh zu einem Milchmangel kommen oder das Kalb habe noch keine effiziente Saugtechnik entwickelt. "Man sieht zwar das Kalb am Euter saugen, aber auch hier kann sein, dass zu wenig Milch aufgenommen wird."

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