Süddeutsche Zeitung

Freisinger im Krisenmodus:Banger Blick in die Zukunft

Lesezeit: 3 min

100 Prozent Umsatzausfall melden nicht nur die Freisinger Fahrschulen. Denn Fahrstunden sind derzeit verboten. Physiotherapie darf zwar noch stattfinden, doch das wissen viele Patienten nicht. Oder bleiben aus Angst fern.

Von Laura Dahmer und Gudrun Regelein, Freising

Die harten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie treffen auch die Menschen im Landkreis Freising auf den unterschiedlichsten Ebenen. Für manche bedeuten sie nur Einschränkungen in ihrem Freizeitverhalten, die weitaus meisten haben aber konkrete Sorgen - ob es nun um Gefahren für die eigene Gesundheit, um die schwierige Betreuung der Kinder oder die Rettung des eigenen Geschäfts oder Unternehmens geht. Die Freisinger SZ gibt in einer kleinen Serie Einblicke in das Leben der Menschen im Krisenmodus

Der Fahrlehrer

"100 Prozent Umsatzausfall", das ist für Dirk Dlugosch bisher das bittere Resultat der Corona-Krise. Er ist Inhaber der Fahrschule Dlugosch in Freising, seit vergangener Woche musste er den Laden dicht machen, und das mindestens bis Mitte April. Theorie- und Fahrstunden dürfen nicht stattfinden, auch Fahrprüfungen können aktuell nicht abgelegt werden. Keine Arbeit also für Dlugosch und sein Team. Der Fahrlehrer fährt trotzdem weiterhin jeden Tag pünktlich ins Büro, kümmert sich um Papierkram und nimmt per Telefon und Mail Anmeldungen für die Zeit nach der Corona-Krise an. Stillsitzen kann er jetzt nicht, sagt der Fahrlehrer. "Ich kümmere mich um das danach, denn nach der Krise ist vor der Krise." Fünf Mitarbeiter sind bei ihm beschäftigt, auch sie sitzen momentan Zuhause, Dlugosch hat für sie Kurzarbeit beantragt. Acht Fahrzeuge hat er außerdem angemeldet, für die er weiterhin Kfz-Steuer zahlen muss. "Die Lage ist vertrackt. Ich kann meine Fahrzeuge aktuell nicht abmelden, weil die Behörden das gerade nicht leisten können." Wenigstens die Kfz-Versicherung, so erzählt er, sei kulant und habe die Zahlungen ausgesetzt.

Wegen solcher und anderer Probleme, mit Fristen für Fortbildungen für Fahrlehrer und LKW-Fahrer zum Beispiel, hat Dlugosch sich jetzt an einen Bundestagsabgeordneten gewandt, damit dieser das Thema auf dem Schirm hat und anregt, die Fristen auszusetzen. Auch für seine Fahrschüler setzt Dlugosch sich ein: "Wer jetzt gerade in letzter Zeit 18 Jahre alt geworden ist, muss seinen vorläufigen Führerscheinen gegen den richtigen Ausweis eintauschen - und zwar innerhalb von drei Monaten, sonst wird die Fahrerlaubnis vorerst eingefroren", erklärt der Fahrlehrer. Er hat sich deshalb an die zuständige Behörde gewendet, damit sie einen Link einrichten, über den man entweder eine Fristaussetzung oder seinen Führerschein online beantragen.

Um finanziell zu überleben, ist Dlugosch mit seiner Fahrschule nun auf staatliche Hilfe angewiesen. "Sonst muss ich an meine Rente ran - und da ja niemand weiß, wie lange diese Situation andauert und was die Spätfolgen sind, möchte ich das möglichst vermeiden", sagt er. Die Hilfen hat er bereits beantragt. Ansonsten gibt sich der Fahrlehrer entspannt: "Noch habe ich keine Panik, heute ist es für meine Fahrschule noch kein Problem. Aber in vier Wochen kann alles anders sein."

Die Physiotherapeutin

Noch vor zwei Wochen war es in der Physiotherapiepraxis von Annette Decker richtig voll. Damals konnte sie keine zeitnahen Termine mehr vergeben, es gab Wartezeiten. So voll war ihr Kalender. Das hat sich inzwischen verändert: "Die Corona-Krise hat uns voll getroffen, das hat für uns Physiotherapeuten ziemliche Folgen", sagt sie. Derzeit würde sich das Ganze zwar noch in Grenzen halten, aber schon in der vergangenen Woche haben viele ihrer Patienten abgesagt. Weil sie sich krank fühlten, verunsichert waren oder auch Angst hatten, sich anzustecken.

Inzwischen telefoniere man die anderen Patienten ab und frage nach, ob sie kommen wollen, erzählt Decker. Kommen dürfte man noch zu einer Behandlung, nur wüssten das eben viele nicht. "Die Verunsicherung ist groß." Seit einigen Tagen arbeitet Decker, die ihre Praxis in Marzling hat, mit Handschuhen und Mundschutz - auch zu ihrem eigenen Schutz. Allmählich gehen ihr diese aber aus, ob sie neue bekommt, ist ungewiss. "Eine Zeitlang können wir noch so weitermachen, aber auf Dauer nicht", sagt Decker. Ihre zwei Kolleginnen bleiben derzeit schon zu Hause, es gibt nicht genügend Arbeit für drei Therapeutinnen. "Falls die nicht absolut notwendigen Operationen jetzt tatsächlich nach hinten verschoben werden, dann werden es noch weniger Patienten", befürchtet Decker. Wie es dann weitergehen wird? "Keine Ahnung", antwortet sie. Die vom Freistaat garantierte unbürokratische Hilfe zumindest sieht sie kritisch: "Überall in der Presse wird erzählt, dass Selbstständige wie wir bis zu 9000 Euro bekommen. Das stimmt leider nicht", sagt Decker. "Denn es werden nur diejenigen davon profitieren, die in der Vergangenheit ihr Geld nicht vorsorglich für schwere Zeiten zurückgelegt haben - oder anders ausgedrückt - über die Verhältnisse gelebt haben." Nur diese Firmen nämlich würden unterstützt. Diejenigen aber, die sparsam waren, treffe es nun doppelt: "Corona-Krise mit Rückgang der Patienten und keinen Zuschuss, da man vorsichtig mit den Einnahmen umgegangen ist."

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Quelle:
SZ vom 27.03.2020
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