Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in der Bayernkaserne:Hilfe von außen

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Viele Flüchtlinge leiden unter den katastrophalen Zuständen in Einrichtungen wie der Bayernkaserne. Die Hilfe von offizieller Seite reicht nicht aus. Jetzt springen immer mehr Münchner ein.

Von Dominik Hutter, Katja Riedel, Ulrike Steinbacher und Jakob Wetzel, München

Gute Ideen liegen manchmal einfach in der Luft. Die Sache mit dem Fußball zum Beispiel. Dass es jungen Menschen guttut, sich auszutoben, das haben mehrere Münchner erkannt. Gleich zwei Initiativen wollen mit den Flüchtlingen in der überfüllten Bayernkaserne Fußball spielen und sammeln Fußballschuhe und Trikots. Die eine spielt dort schon seit zwei Jahren mit 100 jungen Männern, finanziert durch Spendengelder des Münchner Flüchtlingsrats und demnächst auch einen Zuschuss der Stadt. Dieselbe Idee hatte jetzt eine 77-jährige Stadtteilpolitikerin der CSU, die Anfang September mit ihrem Fußballangebot starten will.

Fußball, das sei eine gute Sache, sagt auch Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat. Für Steinhauser sind doppelte Hilfen kein Problem, sondern ein gutes Zeichen. Die Flüchtlingsproblematik, sie hat für Steinhauser in diesen Wochen auch schöne Momente. "Bei uns melden sich definitiv mehr Freiwillige, die sich für die Flüchtlinge engagieren wollen, schon das ganze Jahr über", sagt sie. Menschen, die Zeit investieren wollen, die Deutsch unterrichten möchten oder die Patenschaft für ein Flüchtlingskind übernehmen. Aber auch Freiwillige, die Aufgaben nur für eine begrenzte Zeit übernehmen wollen, zum Beispiel um einer Familie bei der schwierigen Wohnungssuche zu helfen. Schwerer zu finden, aber am wertvollsten sei Hilfe, die von Dauer ist, sagt Steinhauser. So wie die Ehrenamtlichen, welche die Kleiderkammer der Unterkunft organisieren.

Sie gehören zu einer Gruppe von 40 Freiwilligen, die sich gemeinsam mit den Betreuern der Inneren Mission für die Flüchtlinge in der Kaserne einsetzen; die ersten stammten aus der evangelischen Kirchengemeinde Freimann, rasch stießen Freunde dazu. Jetzt gestalten sie Spiele-Nachmittage, organisieren Ausflüge oder betreiben zum Beispiel ein Café auf dem Kasernengelände - und sie kümmern sich um Kleidung. Im Internet haben sie eine Liste eingestellt, was sie benötigen - und was nicht ( hier geht es zur pdf-Liste). Kleidung für junge und schlanke Männer, aber weder Sakkos noch Krawatten und Oberhemden. Umstandskleidung und Übergangsjacken für Frauen, aber keine Kleider oder Röcke. Und auch Dinge, mit denen sich die Zeit vertreiben lässt. Häkelnadeln, Wörterbücher, Musikinstrumente, Perlen zum Basteln.

Es sind Kleinigkeiten - doch sie sollen das Zusammenleben unter den schwierigen Bedingungen erleichtern, die seit Monaten in der Erstaufnahmeeinrichtung herrschen. Berichte über die dortigen Probleme haben in ganz München bestehende Initiativen wachsen und neue entstehen lassen. Jurastudenten der Ludwig-Maximilians-Universität etwa haben im vergangenen Herbst die "Refugee Law Clinic" gegründet, um Rechtsberatungen der Hilfsorganisationen zu entlasten. Die Studenten wollen das, was sie theoretisch lernen, praktisch umsetzen und dabei Gutes tun: damit Flüchtlinge ein faires Asylverfahren bekommen, sagen sie. Andere Münchner sammeln Fahrräder für Asylsuchende oder sozial Schwache, etwa das Kulturzentrum im Wörthhof in Haidhausen, das im Juli mehr als 130 Räder verteilt hat.

Hilfe von außen ist auch deshalb so wichtig, weil das, was von offizieller Seite geleistet wird, nicht ausreicht. Der Freistaat verstößt in der Bayernkaserne fortwährend gegen eine Vereinbarung mit der Stadt. Die hatte der Regierung von Oberbayern bei der Überlassung des Grundstücks die schriftliche Zusage abgetrotzt, einen Betreuer je 100 Asylbewerber abzustellen - wovon man meilenweit entfernt ist. Zwar hat das Sozialministerium sich nun bereit erklärt, die Asylsozialberatung der Diakonie um 160 Stunden aufzustocken. Insgesamt würden damit 428 Stunden Beratung geleistet. Doch nach Ansicht der Stadt reicht das nicht.

Zu viele Menschen, zu wenige Betreuer

Die Lage in der Bayernkaserne beschäftigt die Rathausspitze derzeit täglich - obwohl eigentlich der Freistaat verantwortlich ist. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sorgt sich, dass irgendwann die Stimmung unter den Anwohnern kippt, weil in der Kaserne zu viele Menschen sind und zu wenige Betreuer. Nun nimmt das Rathaus die Sache selbst in die Hand. Stimmt der Feriensenat des Stadtrats an diesem Mittwoch Vorschlägen von Sozialreferentin Brigitte Meier zu, kann die Innere Mission acht zusätzliche Betreuer engagieren. Fast 164 000 Euro lässt sich die Stadt dies bis Jahresende kosten, das Geld fließt als Zuschuss an die Innere Mission. 2015 und 2016 soll es weitergehen, dann mit je 491 000 Euro. Zwar erwartet Reiter, dass der Freistaat 70 Prozent der Kosten erstattet. Zugesagt ist dies aber bisher nicht.

Nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft und deren größten Verbänden ist ein neues Verantwortungsgefühl angekommen. Der neue Handwerkspräsident Georg Schlagbauer hat einen Mitarbeiter eingestellt, der an Berufsschulen Flüchtlinge für eine Handwerkslehre begeistern soll. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern: "Wir wollen, dass die Wirtschaft soziale Verantwortung übernimmt und Ausbildungsplätze anbietet", sagt Hubert Schöffmann, stellvertretender Bereichsleiter für die Berufsbildung.

Zugleich sehe man das enorme Potenzial, das begabte Flüchtlinge mitbringen und das die Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels nutzen könne. Dazu brauche man aber Rechtssicherheit, was den Aufenthalt in Deutschland angehe. Die IHK hat deshalb vor einigen Wochen mehrere Ministerien angeschrieben, um gemeinsam zu beraten, wie die Unternehmen sicher sein können, für etwa fünf, sechs Jahre mit den jungen Menschen planen zu können. "Das kann kein Hexenwerk sein", ist Schöffmann zuversichtlich.

Verantwortlich fühlen sich auch die Kirchen: Der Diözesanrat etwa, die oberste Vertretung der katholischen Laien im Münchner Erzbistum, beschloss erst im Frühjahr, sich stärker für Flüchtlinge zu engagieren. Zahlreiche Pfarrgemeinden haben inzwischen Flüchtlinge in kirchlichen Gebäuden untergebracht. In Neuperlach zum Beispiel leben seit eineinhalb Jahren eine Familie mit zwei Kindern, eine Mutter mit zwei Söhnen und ein alleinstehender Mann im alten Pfarrhaus von Sankt Stephan. Ähnliche Unterkünfte gibt es unter anderem im Pfarrverband Vier Brunnen und in der Pfarrei Gauting im Dekanat Pasing; Gesamtzahlen gibt es nicht, zuständig sind die einzelnen Gemeinden. Insgesamt, so sagt es Dieter Müller vom Flüchtlingsdienst der Jesuiten, gebe es aber bei katholischen und evangelischen Münchnern einen deutlichen Trend hin zur Hilfe.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2014
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