Süddeutsche Zeitung

Fahrradfahren:Des hamma scho immer so gmacht!

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Von Andreas Schubert

Ein ganz normaler Morgen an einem ganz normalen Wochentag um 10 Uhr auf dem Marienplatz: Wer sich ein Weilchen an den Eingang zur U- und S-Bahn vor dem ehemaligen Hugendubel-Haus hinstellt und die Radler zählt, käme spontan nicht auf die Idee, dass die hier eigentlich gar nicht fahren dürfen. Immer wieder passieren Radler die Engstelle vom Rindermarkt kommend und fahren über den Platz weiter entweder Richtung Tal oder zur Dienerstraße, die bis zum Marienhof ebenfalls zur Fußgängerzone gehört. Dasselbe gilt für die Gegenrichtung. Offenbar denken sich viele schlicht: Des hamma scho immer so gmacht!

Bis vor zweieinhalb Jahren verlief hier die Nord-Süd-Querung der Innenstadt. Dann wurde die Durchfahrt vom und zum Rindermarkt wegen der Baustelle am Hugendubel-Haus gesperrt, danach widmete die Stadt den gesamten Marienplatz zur Fußgängerzone um - gegen den Protest von Umwelt- und Radfahrerverbänden. Doch bei einer Umfrage hatten sich viele Münchner mehrheitlich für eine Sperrung des Marienplatzes für den Verkehr ausgesprochen, was der Stadtrat als Stütze für seine Entscheidung nahm: Seither dürfen Radler den Platz nur noch zwischen 21 Uhr abends und 9 Uhr morgens auf dem Sattel überqueren. Die offizielle Radroute führt nun über den Viktualienmarkt und die Sparkassenstraße. Doch an diesen Umweg wollen sich offenbar viele nicht gewöhnen.

Das zeigen auch die Ergebnisse der kommunalen Verkehrsüberwachung. 814 Radler wurden zwischen dem 1. Juli und dem 18. August erwischt und mussten jeweils 15 Euro Strafe zahlen. Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) kontrolliert im Schnitt dreimal die Woche. Die meisten Radler schieben deshalb ihr Gefährt, einige nutzen es als Tretroller, indem sie sich aufs Pedal stellen, um im Falle einer Kontrolle schnell abspringen zu können.

Dass vielen die offizielle Route zuwider ist, hat seinen Grund: Der Viktualienmarkt ist eine Fußgängerzone, die für Räder, Taxis und Busse freigegeben ist. Hier müssten alle eigentlich Schritttempo fahren. Vielen Radlern ist dies zu langsam, sie brettern an der Metzgermeile vorbei, was immer wieder zu Konflikten mit Passanten führt. Dann, in der Sparkassenstraße, die eigentlich eine offizielle Fahrradstraße ist, sind wieder Autofahrer unterwegs, die offensichtlich nicht wissen, dass hier Räder Vorrang haben, also zum Beispiel nebeneinander fahren dürfen.

So urteilt denn auch Martin Glas, Münchner Vorsitzender des Fahrradklubs ADFC, dass dieser Abschnitt der Nord-Süd-Route "eine Katastrophe" sei. Am Max-Joseph-Platz dann, bevor es in die für Radler einigermaßen entspannte Residenzstraße geht, müssen Radler wieder auf Autos achten. Und wenn vom kommenden Jahr an die Baugrube für den S-Bahn-Tiefbahnhof am Marienhof ausgehoben wird und Lastwagen über den Hofgraben Richtung Maximilanstraße dieseln, wird es nach Glas' Einschätzung "noch spannend" werden.

Was den Marienplatz angeht, würde der ADFC eine Freigabe für Radler befürworten. Doch das ist unrealistisch - schließlich hat die Stadt den Platz erst vor Kurzem aufwendig umgestalten lassen: Dort wo früher eine Asphalt-Fahrbahn mit riesigem aufgemalten Radsymbol war, hat der Platz nun auch optisch Fußgängerzonen-Charakter. Immerhin dürfen seit Kurzem wieder die Rikscha-Fahrer vor dem U- und S-Bahn-Abgang auf Kundschaft warten - eine Regelung, die vorerst bis Ende des Jahres gilt. Doch auch die Rikschafahrer müssen sich ans Fahrverbot halten und ihre Droschken samt Passagieren aus der Fußgängerzone schieben (siehe unten).

Insgesamt ist es für Passanten heute viel angenehmer, über den Platz zu spazieren, seit sie nicht mehr auf Busse, Taxis und Radler achten müssen. Allerdings geht es wegen des regen Lieferverkehrs am Morgen vor dem Rathaus trotzdem oft zu wie am Stachus.

Am Anfang haben die Radfahrer noch protestiert. 150 Radler trafen sich Anfang Mai 2016 zu einer Tour, sie fuhren direkt über den Marienplatz, um ihren Unmut kundzutun. "Unverhältnismäßig" sei die Sperrung des Marienplatzes für Radfahrer, schimpften die Organisatoren. Online kamen bei der Petition gut 3000 Unterschriften zusammen, deren Unterzeichner eine Rücknahme des Verbots verlangten. Ein Besuch am Marienplatz aber zeigt, dass es durchaus auch Befürworter der neuen Regelung gibt.

Thomas Biber, 44,  Radfahrer 

"Ich kenne beide Seiten, als Radler und als Fußgänger. Das Radlverbot hat den Marienplatz auf jeden Fall sicherer gemacht. Manch ein Radlfahrer ist schon ein wilder Hund. Mir sind am Marienplatz auch schon welche in die Fersen gefahren, als ich zu Fuß unterwegs war. Mir selbst ist es egal, wenn ich mein Radl mal eben fünf Minuten schieben muss. Außerdem habe ich keine Lust, für so etwas eine Strafe zu zahlen. Ich finde es aber richtig, dass kontrolliert wird, schließlich ist der ganze Marienplatz zu einer Fußgängerzone geworden. Allerdings erkennt man nicht gut, dass hier geschoben werden muss. Ich glaube, am Viktualienmarkt und im Tal sind Markierungen auf dem Boden, aber am Marienplatz sieht man bis zum Stachus keine Hinweise. Man muss schon vorher wissen, dass hier ein Radfahrverbot gilt. Oder man hat mal gesehen, wie abkassiert wurde."

Manuela Forster, 58,  Mitarbeiterin im Rathaus 

"Was ist schon dabei, wenn man das Rad kurz schieben muss? Ab dem Viktualienmarkt kann man wieder fahren. Dann ist man vielleicht drei Minuten später am Ziel, aber das kann man ja einplanen oder einen anderen Weg nehmen. Natürlich ist das eine Umstellung, aber das ist zu verschmerzen. Ich komme vor neun Uhr zur Arbeit, damit ich noch mit dem Rad bis ins Rathaus fahren kann. Abends laufe ich dann mit meinem Fahrrad über den Marienplatz, weil auch kontrolliert wird. Durch das Verbot ist es hier am Marienplatz besser geworden. Früher sind die Radler hier teilweise mit einem Affenzahn durchgefahren. Wenn ich vor dem Verbot zu Fuß aus dem Rathaus gegangen bin, musste ich immer aufpassen."

Birgit Langhans, 37,  Ärztin 

"Ich finde es gut, dass die Fahrradfahrer diejenigen sind, die auf dem Marienplatz aufpassen müssen. Weil von Fußgängern, insbesondere von Touristen, kann man nicht erwarten, dass die bei all der Schönheit ringsum auch noch auf die Fahrradfahrer Rücksicht nehmen. Am Ende bin ich als Radlerin aber auch diejenige, die gegen das Gesetz verstößt. Früher bin ich selbst mit dem Rad über den Marienplatz zum Sendlinger Tor gefahren, heute schiebe ich. Ich finde es zudem gut, dass das Verbot zeitlich begrenzt ist. Tagsüber ist das Verbot sinnvoll, nachts nicht. Auf dem Marienplatz hat sich zudem viel verändert. Der ganze Platz wurde umgestaltet, der Bus fährt nicht mehr durch. Dadurch ist es hier insgesamt sicherer geworden."

Andreas Pfaff, 29,  Rikscha-Fahrer 

"Die meisten Leute haben kein Problem mit dem Verbot, auch wenn es noch nicht hundertprozentig funktioniert. Viele Radler finden den Umweg über die Sparkassenstraße nicht so toll. Der kostet natürlich Zeit. Denen ist das Verbot egal, die wollen lieber schnell über den Marienplatz. Ich kann die Radler verstehen und würde selbst auch lieber über den Platz fahren. Wir Rikscha-Fahrer dürfen das nämlich auch nicht, sondern müssen schieben, während die Gäste hinten auf der Bank sitzen bleiben. In der Dienerstraße dürfen wir erst auf der Höhe vom Dallmayr wieder aufsteigen. Das ist aber nicht schlimm. Seit die Radler, Busse und Taxis nicht mehr durchfahren, ist es am Marienplatz etwas ruhiger und entspannter."

Anton Schröter, 42,  Besitzer eines Blumenstands 

"Ich bin seit mehr als 20 Jahren mit meinem Stand am Marienplatz und im Großen und Ganzen gab es keinen Stress mit Radfahrern. Ich sehe auch viele, die ihr Rad brav schieben. Natürlich gibt es immer Leute, die einfach durchfahren, Fahrverbot hin oder her. Vor allem zu Beginn des Verbots habe ich viele Kontrollen gesehen, was die Leute auch abgeschreckt hat. Leider wird nicht konsequent und oft genug kontrolliert. Das viel größere Problem gibt es am Viktualienmarkt, wo sich größere Menschenmassen bewegen. Dort rasen die Radler wie die Verrückten. Außerdem fahren dort viele Privatleute mit ihrem Auto durch, obwohl das nur Taxis, Fußgänger und Händler dürften. Vor allem am Samstag, wenn dort die Hölle los ist, ist es gefährlich."

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Quelle:
SZ vom 28.08.2018
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