Süddeutsche Zeitung

Europäisches Patentamt:Zu Besuch im Amt der Kunstschätze

Lesezeit: 3 min

Dort, wo Tag für Tag über Patente entschieden wird, lässt sich auch große Kunst entdecken: Die Sammlung des "European Patent Office" vereint 1000 Werke aus Dutzenden Ländern

Von Evelyn Vogel

Kunst macht erfinderisch. Davon ist man im Europäischen Patentamt überzeugt. Die Begegnung mit Kunst sorgt für andere Sichtweisen und regt zu neuen Denk- und Handlungsansätzen an. Im besten Fall, führt diese veränderte Denkweise zu neuen Erfindungen. Und was eine gute, eine große, eine womöglich großartige Erfindung ist, das weiß man in der Zentrale an der Isar, aber auch an den anderen europäischen Standorten ganz genau. Schließlich geben sie dort Tag für Tag Stempel und Siegel drauf.

Seit 1980 sammelt das European Patent Office, wie es global heißt, internationale Gegenwartskunst, die das Zusammenspiel von Kultur, Wissenschaft und Technologie zum Ausdruck bringen soll. Die Liste der international renommierten Künstler ist lang. Da finden sich Zeitgenossen wie Tomás Saraceno, Sylvie Fleury, Katharina Grosse, Jeppe Hein, Brigitte Kowanz, Alicja Kwade, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmans, Jorinde Voigt, Heimo Zobernig oder Ólafur Elíasson. Dabei sind moderne Klassiker wie Max Bill, Eduardo Paolozzi oder Maurizio Nannucci. Aber auch junge Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa wie die Malerin Ena Oppenheimer aus München sind vertreten. Die Liste ließe sich fortsetzen. Und sie wird - auch in Pandemiezeiten - weiter fortgesetzt.

Alle Kunstwerke verbindet eine, wie das EPO sagt, "überzeugende künstlerische Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft und Technik". Daraus entstanden ist die EPO Art Collection mit etwa 1000 Kunstwerken aus fast allen 38 Mitgliedsstaaten. Gezeigt werden die Werke an den verschiedenen Standorten wie München, Berlin, Wien und Den Haag, um Mitarbeiter - und außerhalb von Corona-Zeiten auch Besucher - anzuregen, neue Blickwinkel zu entdecken.

Eines der Werke, das die Münchner vermutlich am besten kennen, ist die kinetische Skulptur "Chronos 10 B" von Nicolas Schöffer. Ihre spiegelnden Flächen, die sich wie bei einem Mobile verändern, um Licht und Umgebung einzufangen, haben schon so manchen Isarspaziergänger auf großartige Gedanken gebracht. Auch sonst gibt es rund um die Gebäude und in den Innenhöfen an der Isar wie in den Pschorr-Höfen sowie an anderen Standorten eine Vielfalt von Kunst im öffentlichen Raum, die so erhaben wie spielerisch, so komplex wie simpel den Betrachter in Erstaunen zu setzen vermag. Mächtige Brocken und filigrane Arbeiten. Skulpturen, die man begehen kann, und Objekte, deren Schönheit und Komplexität man am Besten aus der Distanz wahrnimmt.

Während die Arbeiten im Außenraum zu jeder Zeit gesehen werden können, haftet den Kunstwerken im Innern der Europäischen Patentämter so etwas wie Exklusivität an. Denn wer geht schon einfach so ins Europäische Patentamt? Dabei ist allein Tomás Saracenos foyerfüllende Installation "Flying Garden (M32)" in den Pschorr-Höfen einen Besuch wert. Das Objekt sieht aus wie ein mehrzelliger Organismus, der droht davon zu schweben. Der argentinische, in Deutschland lebende Performance- und Installationskünstler, der unter anderem wegen seiner Arbeit mit Spinnen bekannt geworden ist, ist übrigens selbst Inhaber einiger Patente.

Es gibt zahlreiche Werke, die mit Op-Art-Techniken die Sinne der Betrachter zu verwirren suchen. Lichtkunstwerke verwandeln ganze Räume in Kunst. Konkrete, konzeptionelle, abstrakte und gegenständliche Malerei, Grafik und Objektkunst überzieht Wände und Treppenhäuser. Fotografie eröffnet eine neue Sichtweise auf oft Gesehenes. Gegenständliche und abstrakte Skulpturen füllen Hallen und Nischen. Augenfällig das Trumm "Der Blaue Ritter" des Schweizer Künstlers Bernhard Luginbühl, dessen Maschinenästhetik ebenso den Technikbezug herstellt wie die Skulptur "Ford Cosworth DFV" seiner Landsfrau Sylvie Fleury, die einen Achtzylindermotor des englischen Herstellers Cosworth zu einem verchromten Hochglanz-Objekt veredelte und als Ready-made präsentiert.

Anlässlich des 40. Jubiläums der Sammlung im vergangenen Jahr ist der Dokumentarfilm "Exploring Art at the European Patent Office" entstanden. Er präsentiert mehr als 50 Werke aus der Sammlung, führt in die Ateliers von sechs Künstlern und stellt den Architekten des EPO-Hauptgebäudes in München, Volkwin Marg, vor. Der Film ist über Youtube abrufbar. Zudem soll demnächst ein digitales Vermittlungsprogramm für die Kunstsammlung starten. Davon verspricht man sich mehr Öffentlichkeit und mehr Transparenz im Patentamt, das für viele ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Wie riesig der Patentamtskosmos ist, zeigt auch die Tatsache, dass immerhin etwa 90 Prozent der mehr als 1000 Kunstwerke ausgestellt werden können. Über die Ankäufe entscheidet ein internes Gremium, die Gelder kommen aus dem Haushalt des EPO. Manche der Arbeiten sind auch Schenkungen von Mitgliedstaaten.

Die EPO Art Collection mag nicht mehr Erfinder zu mehr weltverändernden Erfindungen inspirieren. Es scheint aber, dass sie den Mitarbeitern in den Patentämtern ein kleines Stück mehr die Augen für ungewöhnliche Erfindungen öffnet. Weil diese nach Interpretationen suchen, weil sie die Technik, die dahinter steht, entschlüsseln wollen oder weil sie sich einfach nur eine kleine Weile in die Schönheit des Kunstwerks vertiefen können. In einem jedenfalls sind sich die Mitarbeiter der European Art Office einig: Die in den Patentämtern ausgestellte Kunst gibt ihnen nicht nur ein gutes Gefühl. Sie inspiriert auch, fördert die zwischenmenschliche Kommunikation und trägt dazu bei, Probleme zu lösen.

EPO Art Collection , mehr Infos unter www.epo.org/art-collection

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Quelle:
SZ vom 05.06.2021
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