Süddeutsche Zeitung

Oper:Glück in Tirol

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Die Festspiele in Erl eröffnen mit Humperdincks "Königskindern" und befreien das Publikum vom Maskenzwang.

Von Egbert Tholl, Erl

Mit dem Auto eine Stunde von München entfernt erlebt man ein Opernglück. Die Tiroler Festspiele in Erl eröffnen mit der Premiere von Engelbert Humperdincks Oper "Königskinder", und das Großartige beginnt schon, bevor es losgeht. Wer geimpft, getestet oder genesen ist, darf rein, das ist klar; aber drinnen im neuen Festspielhaus muss man keine Maske tragen. Da ist man in Österreich konsequent mutiger als hierzulande, wer Angst hat, kann ja die Maske herausholen. Tun auch ein paar. Aber dieses Gefühl, in einem annähernd vollbesetzten Haus eine Opernaufführung ohne dieses wahrnehmungsreduzierende Ding im Gesicht erleben zu können, ist eine Erlösung nach langer Zeit.

Als Bernd Loebe, Intendant der Frankfurter Oper, in der Nachfolge von Gustav Kuhn, der über sein nicht Me-too-kompatibles Verhalten gestolpert war, die künstlerische Leitung der Tiroler Festspiele übernahm, war ihm gerade eine Wintersaison gegönnt, dann kam Corona. Als Kuhn verschwand, verschwinden musste, unkten manche schon das Ende der Festspiele herbei, doch deren Hauptfinanzier, Hans Peter Haselsteiner, dachte gar nicht daran, seinen Traum von modernen Festspielen an der bayerisch-tirolerischen Grenze aufzugeben, dafür hatte er auch schon zu viel investiert. Und investierte weiter, baute auf Loebes Drängen das neue Festspielhaus weiter aus, so dass nun vollwertige Inszenierungen wie in jedem großen Opernhaus möglich sind - Kuhn hatte ein Faible für semikonzertante Konzentration auf die Musik allein.

An diesem Abend wirkt die Akustik des Festspielhauses wie geschaffen für Humperdincks Musik. Die klingt, trotz der vielen Wagner-Zitate und -Derivate, hier überraschend modern, jedes Instrumentalsolo leuchtet deutlich hervor, Karsten Januschke baut vorsichtig - zu laut darf man hier nicht werden - mit dem Festspielorchester einen hochtransparenten Gesamtklang, entwickelt eine sehr theateraffine Agogik, die spüren lässt, dass dieses Werk tatsächlich aus dem 20. Jahrhundert stammt; die Uraufführung war 1910 in New York. Und: Von den entscheidenden Solisten und Solistinnen versteht man jedes Wort.

Es wäre ein Irrglauben, die "Königskinder" seien eine Märchenoper. Ja, das ist ein Teilaspekt, aber das Ende ist tieftraurig, davor wird einiges an Härte und Garstigkeit erzählt, die Königskinder selbst erscheinen fast schon als Idee, die eine Verkörperung auf der Bühne erfährt. Als die Idee von einer Liebe, die als Ideal von im Inneren reinen und schönen Menschen der Gier, dem Neid und der Brutalität gegenüber steht. Das erzählt die Inszenierung von Matthew Wild deutlich, die mit einem versifften Wohnwagen im, nun ja, Märchenwald beginnt und mit dem Liebestod in zerstörter Welt endet.

Die Produktion, die vor einem Jahr hätte herauskommen sollen und exklusiv für die Festspiele in Erl entstand, prunkt in den Hauptpartien mit einer tollen, vor allem aus Frankfurt angereisten Besetzung. Das Liebespaar, Gerard Schneider und Karen Vuong, rührt mit innigem Timbre, Katharina Magiera ist eine herrlich garstige Hexe, Iain MacNeill ein umwerfender Spielmann, körperlich, stimmlich, überhaupt.

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