Süddeutsche Zeitung

Empörte Besucher:Der Älternabend ist zu Ende

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Im Schlachthof treffen sich die Stammgäste ganz in Schwarz: Mit ihrer Ü 33-Party soll es vorbei sein

Von Claudia Wessel

Barfuß hin und her und rund um die Tanzfläche laufen, mit geschlossenen Augen und einem Lächeln im Gesicht selbstvergessen schaukeln, mit großen Schritten und gleichzeitig in die Luft stechenden Fingern nach links und rechts hüpfen - die Tanzstile bei der Ü33-Party im Schlachthof kennt Susanne, 55, fast alle. "Ich habe schon mal gesagt, wir könnten bei "Wetten, dass..?" mitmachen. Wenn ich die Tänzer nur als Schatten sehen würde, wüsste ich trotzdem, wer sie sind." Ganz klar warum: "Wir sind hier wie eine große Familie." Und die wird jetzt auseinandergerissen, denn am Montag war vorläufig der letzte dieser Tanzabende im Saal des Wirtshauses im Schlachthof.

Gegründet wurde er in den Neunzigerjahren unter dem Titel "Älternabend - forever young" als erste Ü 30-Party der Stadt von DJ Rupen. Auslöser war, so wird überliefert, der Spruch von ein paar Jugendlichen an der Tür eines Schwabinger Clubs angesichts der Ü 30-Gäste: "Schau hi, jetzt kemman s' do scho zum Sterb'n rei!" Sehr lebhaft und munter ging es indes auf dem Älternabend jeden Montag zu, bis zur Übernahme der neuen Schlachthof-Wirte Norbert und Markus Kraft 2006. Der Älternabend zog dann um ins Spiegelzelt, das nicht mehr lange blieb. Im Schlachthof dagegen entstand die "Ü33 Party - Monday Night Fever". Was ja schon einen Tick jünger klingt.

Nun hat der 29-jährige Juniorwirt Markus Kraft beschlossen, den Tanz der "Ältern" erst mal pausieren zu lassen. "Das Ende ist aber noch nicht endgültig", sagt er. "Wir wollen uns erst mal offenhalten, was wir jetzt machen. Wir haben so viele Anfragen von Künstlern, die bringen wir einfach nicht mehr unter." 2019 jedenfalls, so viel sei sicher, werde es keine Wiedergeburt der Ü 33 Party geben.

Die Stammgäste sind wütend und traurig und deshalb am letzten Abend ganz in Schwarz erschienen. Moni, die immer einen Apfelkuchen mitbrachte und ihn am Rand der Bühne aufbaute und verteilte. Ilse, die für den Besuch des Tanzabends 100 Kilometer zurücklegt, 50 hin, 50 zurück, und die es unmöglich und "feige" findet, dass der Wirt Markus Kraft ihnen das Ende nicht persönlich ankündigte, sondern vor gut fünf Wochen über Facebook, sodass sie es "zufällig" erfahren habe. Manfred, der 15 Jahre lang fast jeden Montag hier war, dann aber nicht mehr kam, als die Termine plötzlich unregelmäßig wurden und der Tanz nur noch alle zwei Wochen stattfand oder immer öfter ganz ausfiel. Auch die Verlegung des Starts von 21 auf 22 Uhr fand er unglücklich. "Lieblos" - dieses Wort sagen viele der Stammgäste über den Umgang von Markus Kraft mit dem Event. "Heruntergewirtschaftet" sagen andere. Unprofessionell findet Susanne die Reaktion des jungen Wirts auf die große Traurigkeit der Gäste, die dieser auch auf Facebook Ausdruck verliehen. Ihr habe er geschrieben: "Das Leben geht weiter, auch ohne Ü33-Party." Susanne sagt dazu nur: "So was von überheblich und arrogant." Dass Markus Kraft einen großen Fehler mache, findet beispielsweise auch Stephane, ein Deutsch-Franzose, der beruflich Berater in Sachen Kundenanalyse ist. "Es geht um die Änderung der Soziologie in München", erläutert er. "Die 40- bis 50-Jährigen werden heute immer fitter. Das sind keine Wracks mehr, die wollen ausgehen, tanzen, flirten. Und sie haben Kaufkraft." Für diese Gruppe - "wir sind Tausende" - gebe es zu wenige Angebote.

Den Eintritt erhöhen oder die Getränkepreise, das hätten auch andere verstanden, so wie Josef, 53 Jahre alt. "Wir könnten zahlen, wir sind ja keine 15 mehr", sagt er. Eine aber hat Verständnis für Markus Kraft. Katja, die selbst aus einer Gastronomenfamilie stammt und weiß: "Man muss sein Personal zahlen können." Es sei tatsächlich immer leerer geworden in letzter Zeit bei der Montagsparty. Katja hat nun eine Alternative in die Wege geleitet. Den Betreibern des Nerodom hat sie vorgeschlagen, die Montagsparty zu übernehmen. Gesagt, getan, am 14. Januar von 20 Uhr an findet die erste statt. Titel: "Wie früher. Die Ü 30 Party."

Da werden sie alle anrücken, auch Richie mit seiner Gefolgschaft aus angeblich 100 Leuten. "Ich bin der aktivste Tänzer Münchens", behauptet der 70-Jährige, der die "Munich Dancings Queens & Kings" um sich schart, sich an diesem Abend aber lieber nur an seinem Bier festhält. Die Trauer vermutlich. Aber Zuschauen ist ja auch sehr schön hier. Dem Pärchen etwa, das seit 25 Jahren verheiratet ist und exakt synchron und minimalistisch voreinander tanzt. Markus Kraft ist da etwas anders gestrickt. Er ist kein Tänzer, bekennt er. "Ein bisschen Wippen" sei das Höchste der Gefühle, "es sei denn, man hat ordentlich getankt." Die Tanzwut seiner Gäste kann er nicht ganz nachvollziehen. Schafft er den Abend auch deshalb ab? Er zuckt mit den Schultern und grinst. "Vielleicht."

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Quelle:
SZ vom 19.12.2018
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