Süddeutsche Zeitung

Einwohnerzahl:Wenn Superlative zum Problem werden

Lesezeit: 3 min

Von Günther Knoll

Ein Haus mit mittlerem Wohnwert kostete 2013 in München 645 000 Euro. Das sind umgerechnet 13,6 Jahresgehälter bei durchschnittlichem Einkommen. In Düsseldorf mussten Interessenten für ein vergleichbares Objekt 8,76 Jahresgehälter, in Stuttgart 10,79 und in Bremen sogar nur 3,7 bezahlen. Wie die Immobilienpreise sind auch die Mieten nirgendwo in Deutschland so hoch wie in München.

Trotzdem: Die Bevölkerungszahl steigt, weil die Region boomt, Arbeitsplatzangebot und Fachkräftebedarf werden so schnell nicht nachlassen. Dieser Zuzug bedeutet einen hohen Bedarf an Wohnraum. Er lässt dafür die Überalterung weit weniger drastisch ausfallen als anderswo in Deutschland. Viele junge Familien wiederum erfordern entsprechende Kinderbetreuungsangebote, und da kann man schon jetzt die Nachfrage kaum befriedigen. Dazu ein gut ausgebautes Straßensystem - ja, auch Superlative können Probleme bereiten.

Wenn Kommunen zu schnell wachsen, entsteht ein Ungleichgewicht

Luxusprobleme, sagen Spötter und verweisen auf die hohen Einkünfte, über die die Kommunen in der Region München verfügen. Sie übersehen, dass das Geld nötig ist, um die Anforderungen an die Infrastruktur bewältigen zu können. Der Wettstreit um Gewerbe und Gewerbesteuer, um Einwohner und Einkommensteueranteil führt dazu, dass sich manche Gemeinde vergaloppiert, dass sie zu schnell wächst, dass ein Ungleichgewicht entsteht. Nicht nur zwischen Kommunen, sondern auch in diesen selbst: Ein Ungleichgewicht zwischen Wohnbevölkerung und Arbeitsplätzen, zwischen Gewerbe- und Erholungsflächen. Der Lokalpatriotismus kann auch Verhinderer sein. Für Verkehrsverbindungen etwa, die der ganzen Region zugute kämen.

Die Planungshoheit der Kommunen ist ein hohes Gut, sie steht aber jedem noch so guten Willen zu interkommunaler Zusammenarbeit bisweilen im Weg. Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude prägte den Begriff vom Speckgürtel. Damit meinte er das Umland, das von der Nähe zur Landeshauptstadt profitieren würde, ohne dafür aber etwas einzubringen. Udes Nachfolger Dieter Reiter hat jetzt zu einem "Regionalen Bündnis für Wohnungsbau und Infrastruktur" aufgerufen. Zum Projektstart hat er Vertreter von Kommunen, Landkreisen, Verbänden, Initiativen und der Privatwirtschaft zu einer regionalen Wohnungsbaukonferenz an diesem Mittwoch in München eingeladen.

Im Jahr 2030 werden in München mehr als 1,7 Millionen Menschen leben

Die Bevölkerung in der Planungsregion München ist von 1970 bis Ende 2012 um 32 Prozent oder 650 000 Einwohner auf 2,73 Millionen angestiegen. Bis 2031 gehen Prognosen des Regionalen Planungsverbands (RPV) von weiteren zehn bis zwölf Prozent Wachstum aus. Das bedeutet etwa 300 000 neue Bürger mehr, die sich laut RPV je zur Hälfte auf die Landeshauptstadt und das Umland verteilen werden. Das Münchner Planungsreferat hat allerdings für die Stadt bereits eine neue Prognose vorgelegt, und nach dieser fällt der Zuwachs für München mehr als doppelt so hoch aus: Die Zahl der Einwohner Münchens im Zeitraum 2013 bis 2030 soll demnach um 15,4 Prozent steigen. Im Jahr 2030 wären dies also 230 000 Münchner mehr, die Einwohnerzahl läge demnach bei 1,723 Millionen.

Der Handlungsbedarf für den Großraum München ist groß, denn Nachverdichtung und Konversionsflächen in der Stadt selbst genügen nach Berechnungen der Regionalplaner nicht, um diesen erhöhten Wohnraumbedarf selbst zu decken, zumal vor allem bezahlbarer Wohnraum gefragt ist. Viele Arbeitskräfte aus dem Dienstleistungssektor können sich die hohen Mieten nicht mehr leisten. Einige Kommunen stellen deshalb bereits dem besonders gefragten Personal aus dem Erziehungssektor günstige Wohnungen zur Verfügung.

Ob Schiene oder Schule - Zusammenarbeit ist notwendig

Doch Politikern wie Planern ist klar, dass das Wohnraumproblem nicht isoliert zu lösen ist. Damit verbunden sind auch die Themenfelder Arbeit und Mobilität. OB Dieter Reiter hebt in der Einladung zur Konferenz die Bedeutung der Infrastruktur für eine nachhaltige Entwicklung der Region hervor. Er appelliert an die Politiker des Umlands, gemeinsam die zweite Stammstrecke für die S-Bahn bei Bund und Land einzufordern.

Das auf München zugeschnittene Schienennetz bedeutet zwar eine gute Erreichbarkeit der Metropole, tangentiale Verbindungen auf Schienen jedoch fehlen, auch da sieht man großen Nachholbedarf. Und schließlich hält Münchens OB auch im Bereich soziale Infrastruktur Zusammenarbeit für möglich, etwa auf dem Schulsektor. Er erhofft sich von der Konferenz "zahlreiche Vorschläge" für "konkrete gemeinsame Projekte".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2394537
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.03.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.