Süddeutsche Zeitung

Einsatz für Pünktlichkeit:Kranke Fernzüge

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Neue Koordinatoren kämpfen gegen das Verspätungsvirus

Von Marco Völklein, München

Es gibt Züge, da stimmt irgendwie gar nichts. Das wissen die Eisenbahner auch. Ständig gibt es Verspätungen, vor allem in der nachmittäglichen Stoßzeit. Der IC 2094, der täglich um 17.11 Uhr im Münchner Hauptbahnhof nach Ulm auf die Strecke gehen soll, ist so ein Fall. Im Durchschnitt rolle er 15 Minuten später aus der Halle als geplant, sagt Frank Weimer von der Deutschen Bahn (DB). "Kranke Züge" nennen Bahner solche Patienten intern. Zusammen mit acht weiteren Kollegen soll Weimer diese Problemfälle nun kurieren.

Weimer gehört zu einer Spezialtruppe von "Knotenkoordinatoren". Die sind seit Anfang des Jahres an bundesweit zehn sogenannten Startbahnhöfen im Einsatz, von denen die Konzerntochter DB Fernverkehr die meisten ihrer ICE- und IC-Züge ins Netz schickt. Rollen diese zu spät los, "ziehen sie eine ganze Welle an weiteren Verspätungen nach sich", sagt ein Kollege von Weimer. Vor allem auf den langen Fernverkehrsstrecken quer durch die Republik wirken sich solche Wellen nachhaltig aus. Denn schon im nächsten Bahnhof, beispielsweise in Augsburg, Ingolstadt oder Nürnberg bringt der kranke Zug das gesamte System aus dem Takt. Fährt ein Zug also pünktlich am Startbahnhof ab, werden auch andere Züge nicht mit dem Verspätungsvirus infiziert.

Deshalb schauen sie sich jeden Zug ganz genau an, vor allem natürlich die besonders kranken mit ihrem chronischen Verspätungssyndrom. Muss bei den Wartungsabläufen etwas geändert werden? Muss der Putztrupp verstärkt werden, damit ein Zug rechtzeitig aus der Wartungs- in die Hauptbahnhofshalle gefahren werden kann? "Manchmal kann man schon mit kleinem Personalaufwand viel bewirken", sagt Johannes Karl, ein weiterer Mitarbeiter im Koordinationsteam.

Tatsächlich hat die Truppe beim IC 2094 festgestellt, dass die DB-Planer für den Zug am Nachmittag eine zu kurze Wendezeit im Hauptbahnhof vorgesehen hatten. Daraufhin wurde umgeplant, der IC rollt jetzt gute 20 Minuten eher in der Bereitstellungsanlage in Pasing los, um dann im Hauptbahnhof genügend Luft zu haben, damit er pünktlich um 17.11 Uhr nach Ulm losfährt. Seit Montag gilt diese neue Regelung. Ob sie funktioniert, können die Münchner Knotenkoordinatoren allerdings noch nicht wirklich sagen. Denn just an diesem Tag blockierte ein Personenunfall die Strecke nach Augsburg, die DB ließ den IC deshalb ersatzlos ausfallen.

Unterm Strich sind die Bahner aber bislang zufrieden. Aktuell fahren etwa 75 Prozent der Fernzüge am Münchner Hauptbahnhof planmäßig ab, also genau zu der Minute, zu der sie auch laut Fahrplan starten sollten, wie Weimer sagt. Im vergangenen Jahr habe der Wert bei nur 55 bis 60 Prozent gelegen. Ziel der Konzernchefs in Berlin ist es, bis zum Jahr 2018 eine Planmäßigkeitsquote von 90 Prozent zu erreichen. Dies gilt nicht nur für München, sondern auch für andere große Startbahnhöfe wie Frankfurt, Köln, Hamburg oder Berlin.

Um das zu erreichen, wird in Köln gerade ein verschärftes Abfertigungsverfahren getestet. Bislang galt: Springt der Zeiger der Uhr auf die Abfahrtsminute, also bei IC 2094 auf exakt elf nach fünf, schließt das Zugpersonal die Türen. Künftig soll gelten: Springt der Zeiger auf die Abfahrtsminute, rollt der Zug an. "Dann ist wirklich Abfahrt", sagt Karl. Um das zu erreichen, schließen die Türen gut 40 Sekunden früher. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Wer dann noch auf den Bahnsteig hastet, sieht nur die Rücklichter. "Das wird eine Herausforderung für unsere Kunden", sagt Bollack. "Die werden sich umstellen müssen." Im Spätsommer, so heißt es, soll das neue System bundesweit eingeführt werden.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2016
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