Süddeutsche Zeitung

Ed Sheeran in München:Wenn die Herzen explodieren

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Ed Sheeran singt und spielt vor 67 000 Menschen im Olympiastadion. Seine Erfolgsformel in München ist: er selbst, ein verschmitzter, verschwitzter Mann, eine Gitarre und eine Loop-Maschine.

Von Michael Zirnstein, München

Auch den romantischsten Fans muss aufgefallen sein, dass ihr Schwarm Ed Sheeran ein berechnendes Wesen hat. Seine Platten hat er "+", "x" und "÷" betitelt, in Summe hat ihm das im vergangenen Jahr 130 Millionen Dollar und Platz neun auf der Liste der Großverdiener der Welt eingebracht. Während die einen Besucher vor dem ersten von zwei Konzerten im Olympiastadion noch rätseln, ob der englische Pop-Prinz das nächste Album "-" nennen wird ("zu negativ") oder "=", sind andere plötzlich mit ihrer Schulmathematik am Ende. Wie kann sie ein bereits für 98,50 Euro erworbenes Ticket am Ende des Tages 300 Euro kosten?

Fallbeispiel Gerardo: Als der Mexikaner das Stadion durch die Sicherheitsschleuse betreten will, wird er aufgehalten. Der Name auf dem Ticket stimme nicht mit seinem Ausweis überein, keine Chance, er müsse zum "Clearing"-Schalter. Dort klärt eine freundliche Frau den aufgebrachten Mann auf: Ed Sheeran habe personalisierte Karten vorgeschrieben, um Schwarzhändler auszubremsen. Gerardo hätte sein Ticket, das er noch in Mexiko auf dem Internet-Graumarkt gekauft hat, vom Verkäufer auf ihn umschreiben lassen müssen.

Davon wusste er nichts, beteuert er, wie Hunderte andere Ausgesperrte, deren Tickets zwar gültig sind - aber nicht für sie. "Das ist schrecklich. Sie müssen etwas tun!", ruft Gerardo entsetzt. Er könne mit diesem Berechtigungszettel eine Karte für das Konzert für 98,50 Euro erwerben, sagt die Erklär-Frau. Was bleibt dem weit gereisten Mann anderes übrig? "Ich hatte im Internet schon den doppelten Preis bezahlt. Und jetzt noch mal. Ich weiß nicht, ob ich das Konzert noch genießen kann."

Ed Sheeran macht es allen 67 000 Fans, die es ins Stadion geschafft haben, leicht in dieser Endorphin-bewölkten Sommernacht, latscht grinsend und rotbärtig in schwarzem T-Shirt und Bermudas durchs Marathontor, dass man ihn für einen seiner Roadies halten könnte. Wie einst zu Beginn seiner Karriere steht er da wie an einer Straßenecke unterm Vordach, das hier im Stadion funkelt wie ein Las-Vegas-Reklameschild, das war's dann aber auch schon mit den Show-Effekten. Es geht ja nur um die Lieder, alle 17 Welthits: Das gute alte "The A-Team", das wie Sommerregen herabprasselnde "Shape Of You" und das - ja, wirklich: perfekte - Liebeslied "Perfect". Ein verschmitzter, verschwitzer Mann, eine Gitarre, eine Loop-Maschine, mehr braucht's nicht zum Pop-Glück, das ist die Erfolgsformel von Ed Sheeran.

Respekt. Alleine die Masse im Olympiastadion in einen Chor der Nachtigallen zu verwandeln - das vermag momentan nur der 27 Jahre alte Brite. Aber das Konzept nutzt sich allmählich ab, nicht nur beim Fiddel-Hit "Galway Girl", den er schnell galoppierend hinter sich bringt. Er gibt den Kumpel aus dem Pub, der sich ziert, kokettiert, stellt sich an den Rand der Arena . Dabei ist er längst der Mittelpunkt, der Boss eines Unternehmens, der kühle Kopf einer Songwriter-Mannschaft. Er sollte mehr aus seiner verstrubbelten Kunstfigur auf der Bühne machen, mal Hände schütteln, auf einem Steg ein Bad in der Menge nehmen, und, ja, warum nicht mal Gastmusiker auf die Bühne holen, Abwechslung täte Not.

Aber dann singt Ed Sheeran "I See Fire", den Song aus dem "Hobbit"-Film, auf der Leinwand brennt ein Wald, die Herzen explodieren - und jeder rationale Gedanke löst sich auf wie eine Gleichung ohne Unbekannte.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2018
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