Süddeutsche Zeitung

Kommentar zu Grafing:Die Öffnung des Kapser Bergs klingt wie ein schlechter Scherz

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Dass der Durchgangsverkehr nun offiziell dort fahren darf, ärgert nicht nur die Anlieger. Es ist ein Eingeständnis, dass der Bau der Grafinger Umgehung andere Gründe hatte als bisher behauptet.

Kommentar von Thorsten Rienth

Es klingt wie ein schlechter Scherz, den die Rathäuser in Grafing und Ebersberg präsentieren: Um das Verkehrsaufkommen in ihrer Wasserburger und Rosenheimer Straße zu drücken, öffnen sie den bisher nur für Anlieger freien Kapser Berg für alle.

Zwar gestaltet Grafing im Gegenzug seine Wasserburger Straße unattraktiv mit "Tempo 30", "Rechts vor Links" und Parkplätzen am Straßenrand. Ein Blick in die Rosenheimer Straße zeigt, dass der Plan kaum aufgeht. Denn es läuft ein großer ziviler Ungehorsam. Die Ebersberger und Grafinger pfeifen seit Jahren auf den mehrere Kilometer langen Umweg über die Süd- oder Ostumfahrung und nehmen einfach den direkten Weg.

Ob das Kalkül mit dem geöffneten Kapser Berg aufgeht, ist nun vor allem eine Grafinger Frage - ob die Stadt ihre Wasserburger Straße derart unattraktiv umgestaltet, damit der Durchgangsverkehr wirklich draußen bleibt. Das darf man getrost bezweifeln: Die Gspraiter Ampelschaltung von Grafinger Ost- und Ebersberger Südumgehung sind für den Nord-Süd-Verkehr extrem ungünstig. Vor Langwied gibt es eine weitere Ampel, an der von Süden her nochmal angehalten werden muss.

Bei dem 11-Millionen-Euro-Bau ging es um die Verbindung zum Flughafen

Zusammen mit dem Umweg wiegt dies eine langsamere Wasserburger Straße allemal auf - solange dort nicht gerade Schrittgeschwindigkeit herrschen würde. Und mit Rücksicht gegenüber Anwohnern, an die Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) appellierte, braucht man Autofahrern erfahrungsgemäß nicht kommen. Sie hört auf, sobald der schnellste Weg an anderleuts Gartenzaun vorbeiführt.

Trotzdem ist die Freigabe aus Perspektive der Gemeinden konsequent. Die Ebersberger machten aus ihren Zweifeln an der bisherigen Regelung nie ein Geheimnis. In Grafing gibt es sogar ein Stadtratsvotum gegen die Anlieger-Vorschrift. Und es liegt dem Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsprinzip der Gemeinden zu Grunde, über ihre Ortstraßen zu verfügen, wie sie wollen.

Problematisch ist ohnehin etwas anderes: Die gesamten Entlastungsberechnungen für die Grafinger Ostumfahrung beruhen auf der Annahme, dass der Kapser Berg eben gerade nicht für die Allgemeinheit geöffnet ist. Jetzt, wo die Klagen abgewiesen sind und die umstrittene Straße gebaut ist, gibt man also zu: Bei dem 11-Millionen-Euro-Bauwerk ging es nur ein ganz bisschen um eine Grafinger Verkehrsentlastung - und vor allem um einen schnellen Staatsstraßendurchstich von Rosenheim Richtung Erding und Flughafen.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2017
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