Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Frühlingsgefühle auf dem Acker

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Die Solidarische Landwirtschaft Neufarn möchte im April den Betrieb aufnehmen. Bei einem "Mitmachtag" kommen Umwelt-Enthusiasten, Schaulustige und Kinder für einen Vorgeschmack zusammen.

Von Merlin Wassermann, Vaterstetten

Der Frühling ist da. Blumen sprießen, Vögel zwitschern, die Sonne scheint. Eine gute Zeit also, um ein Frühlingsfest zu veranstalten, dachte man sich wohl bei der neuen Solidarischen Landwirtschaft - kurz: Solawi - in Neufarn bei Vaterstetten. Mit Stockbrot, Falafel und Hüpfburg lockt man die Menschen aus der Umgebung ins Freie, um ihnen bei einem "Mittmachtag" das Konzept der Solawi näherzubringen.

Und das geht so: Menschen schließen sich zu einer Genossenschaft oder zu einer anderen Art Verein zusammen, pachten ein Stück Land von einem Bauern - in diesem Fall von Paul Hilger - und bewirtschaften es. Jedes Vereinsmitglied zahlt einen fixen Monatsbeitrag und erhält dafür Kisten frischen, biologisch angebauten und saisonalen Gemüses. Je nachdem, wie die Ernte ausfällt, ist mal mehr, mal weniger in der Kiste. Dieses Risiko teilen sich jedoch die Mitglieder und der Bauer, es bleibt nicht, wie sonst, ganz an diesem hängen. Wer will, darf auch gerne bei Saat, Pflege und Ernte mitmachen. Es gibt aber auch immer einen Gärtner, der sich um das Gemüse kümmert.

Die Gründungsphase der Solawi war geprägt von Unsicherheiten und Diskussionen

Eine Solawi steht und fällt damit, dass sich ausreichend Mitglieder finden, um den Gärtner fair zu bezahlen und die nötigen Investitionen - in Saatgut, Gerät und Boden - tätigen zu können. Insofern hat das Frühlingsfest auch einen ganz praktischen Zweck: Potenzielle neue Mitglieder sollen umgarnt werden. Ein klein wenig Sorge lässt sich deswegen auch in Michael Freistetters Gesicht erkennen, als die sieben Bierbänke mittags noch kaum besetzt sind. "Wir hoffen natürlich, dass viele Leute kommen", sagt das Gründungsmitglied. Derzeit habe man circa 20 Mitglieder, 40 bis 50 seien nötig, um das Projekt endgültig zum Laufen zu bringen.

Denn obwohl bereits bunte T-Shirts und Buttons mit dem Logo und Schriftzug der Solawi verteilt worden sind, ist der Verein noch nicht final eingetragen. "In der Gründungsphase gibt es immer Hürden, die Bürokratie ist eine davon", erklärt Freistetter. Auch Beate Backhaus, ein weiteres Gründungsmitglied, fand die vergangenen Monate schwierig: "Es gab viele, lange Diskussionen, in welche Richtung wir uns bewegen wollen, das ist schon anstrengend." Bald soll jedoch alles in eine korrekte rechtliche Form gegossen sein. Und die inhaltlichen Diskussionen sind für manchen vielleicht gerade ein Teil des Reizes, bei dem Verein mitzumachen.

Seine eigenen Ideen einzubringen, gehört zur Vereinskultur

Das findet zumindest Heike, die, wie alle anderen an diesem Tag, gerne duzt und geduzt wird. Sie ist neu bei der Solawi dabei und hat "viele Ideen", die sie gerne bei der nächsten Mitgliederversammlung im Sommer einbringen möchte. So sieht sieht sie zum Beispiel großes Potenzial darin, Hecken um das Grundstück zu pflanzen, um die Bodenerosion durch Wind zu minimieren.

Ihre Hauptmotivation, bei dem Verein mitzumachen, ist jedoch ein respektvoller Umgang mit dem Gärtner, dem Bauern und, last but not least, dem Acker. "Der Boden ist das, wovon wir leben. Wir bestehen aus den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen", sagt Heike. Dementsprechend sorgsam sollte man mit beidem umgehen.

Manche kommen aber auch nur, um zu schauen, um mal wieder etwas zu erleben. So zum Beispiel die Freundinnen Michaela, Inge und Bärbel. Sie sind hier für "schönes Wetter, nette Gesellschaft, neue Leute" - weniger für die Solawi selbst. Diese ist in ihren Augen zu teuer beziehungsweise überflüssig, da sie selbst schon einiges Gemüse ziehen.

Viele der Besucherinnen und Besucher wollen etwas für Klima und Umwelt tun

Die meisten der Leute, die langsam aber stetig die Bierbänke füllen, haben aber eine andere Motivation. Am Ende schwirren schätzungsweise 100 Menschen auf dem kleinen Hof in Neufarn herum wie Bienen um den Holunderblütenstrauch. "Mit so viel Zuspruch hatten wir nicht gerechnet", kommentiert Michael Freistetter die Menschenmenge. Viele kommen, weil sie Interesse an biologischer Landwirtschaft haben, sich gegen den Klimawandel und für Umweltschutz einsetzen wollen und deswegen Informationen über die Solawi sammeln möchten.

So zum Beispiel Alessandro, ein Ingenieur aus Vaterstetten. Von Gartenarbeit hat er "keine Ahnung", heute lernt er aber schon, dass Radieschen gerne möglichst tief in die Erde gepflanzt werden wollen. Deswegen legt er auch gleich selbst Hand und Fuß an, um den Boden aufzulockern. Er könnte es sich durchaus vorstellen, am Wochenende mitzuhelfen, aber vor einer endgültigen Entscheidung möchte er sich das erst nochmal überlegen.

Herbert und Gisela haben es sich schon überlegt, sie werden ab April neue Mitglieder sein. In Weißenfeld haben sie ihren eigenen Naschgarten, "frisches Gemüse aus erster Hand" ist die Hauptmotivation für den Vereinsbeitritt der sich ohnehin fast fleischlos ernährenden Rentner. Conni aus Erding wiederum sucht in Neufarn vor allem Inspiration. Sie will ihren eigenen großen Selbstversorgergarten starten und hat dafür schon 30 Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden.

Die Kinder helfen bereits jetzt, den Gemüsegarten zu bepflanzen

Und dann sind da noch die Kinder. Auch sie sind Teil der Motivation für Menschen wie Michael und Sabine Freistetter. Sie nämlich wollen, dass ihre Kinder einen Bezug zur Natur und zu den Lebensmitteln herstellen können. "Das gibt es heute viel zu selten", klagt auch Heike. Sabine findet es besonders wichtig, dass die Kinder mitkriegen, was es bedeutet, sein Gemüse selbst anzubauen, und wie komplex der ganze Prozess ist.

Selten wird eine Motivation aber auch von sich aus tätig, so wie die Kinder hier. Tim, Abdul und Valentina gehören zu denen, die selbst schon mitgeholfen haben, Gemüsesamen zu sähen und Jungpflanzen einzusetzen. Abdul, dessen Vater den Falafelimbiss auf dem Hof betreibt, erzählt stolz, er habe die Hälfte des Beetes mit eigenen Händen gepflanzt. Allen macht die Arbeit sichtlich Spaß, sie mögen es, sich in der Natur zu bewegen und die Maschinen zu bedienen.

Weitere Veranstaltungen und Kooperationen mit den umliegenden Gemeinden sind geplant

Unter der Plastikplane des Gewächshauses wird bereits jetzt viel gepflanzt und geerntet, wie Freistetter berichtet: Frühlingszwiebeln, Karotten, Lauch, Mangold, Rettich, Salat und Zwiebeln. Keine Kartoffeln? "Das wurde lange debattiert", erzählt er, "schließlich braucht es dazu viel Platz und schweres Gerät. Irgendwann kommt das aber sicher." Ab April werden dann Gemüsekisten mit dem saisonalen Ernteertrag bereitgestellt. "Ein bisschen muss man da seine Ernährungsgewohnheiten schon umstellen", sagt Sabine Freistetter. "Aber man gewöhnt sich schnell daran, und der Verein ist auch ein Ort, um sich über Rezepte auszutauschen."

Auch ansonsten ist einiges geplant, wie Beate Backhaus verrät. Weitere Veranstaltungen zum Beispiel, es soll Kooperationen mit den Gemeinden geben, ein Kinderferienprogramm und auch Schulklassen sollen die Solawi besuchen können. "Und natürlich wollen wir noch mehr Gemüse", ergänzt Petra Loser, ebenfalls Gründungsmitglied. Eine etwas andere Ernte kann der Verein allerdings bereits an diesem Tag einfahren: Als das Frühlingsfest vorbei ist, berichtet Loser voller Freude, dass sich 30 neue Mitglieder in das Konzept Solawi verguckt hätten.

Solidarische Landwirtschaft in Neufarn bei Vaterstetten, Infos und Kontakt unter https://acka-lacka.de/ .

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