Süddeutsche Zeitung

Geflüchtete aus der Ukraine:"Die wollen hier einfach ihre Kinder betreut haben"

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Verantwortliche im Landkreis Ebersberg plädieren dafür, die Vorgaben für ukrainisches Erziehungspersonal zu lockern.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Mehr als 700 aus der Ukraine geflüchtete Minderjährige wohnen derzeit im Landkreis - und sollen zumindest vorübergehend hier auch in Schulen und Kindergärten oder -Krippen gehen. Für die Kommunen und den Landkreis eine Herausforderung, vor allem im Hinblick auf den Herbst, wenn, wie Jugendamtsleiter Florian Robida im jüngsten Jugendhilfeausschuss berichtete, 138 von ihnen einen Anspruch auf einen Kita-Platz haben. Verschärft werde die Situation durch die Änderung der gesetzlichen Leistungsgrundlage für die Menschen aus der Ukraine. Für sie gilt seit Juni nicht mehr das Asylbewerberleistungsgesetz, sondern sie werden nach SGB II eingestuft, so dass sie von den Jobcentern als normale Arbeitssuchende behandelt werden können. Arbeitssuchende von denen viele Frauen sind, die sich ohne Ehepartner auf die Flucht begeben haben. Arbeiten können sie aber nur, wenn ihre Kinder in dieser Zeit versorgt sind.

Bisher hätten Träger und Gemeinden im Landkreis mit sogenannten Brückenbetreuungsangeboten auf den plötzlichen Bedarf reagiert, berichtete Robida, also niederschwelligen Angeboten, die zum einen die ukrainischen Kinder an die deutschen Einrichtungen heranführen, zum anderen den Kommunen Zeit verschaffen sollten, für mittelfristige und zeitlich ausgedehnte Betreuung zu sorgen. Darunter sind Eltern-Kind-Gruppen, Spielgruppen, Sprachkurse für Jugendliche ebenso wie Möglichkeiten zum Fußballtraining, Spielzimmer, offene Treffen bis hin zur Unterbringung in Hort oder Ganztagsbetreuungen.

"Plätze auf Vorratshaltung gibt es nicht", sagt Florian Robida

Vollwertige Betreuungsplätze aber sind das keine, und "Plätze auf Vorratshaltung gibt es nicht", so Robida in der Sitzung. Um solche Möglichkeiten aber zu schaffen, hapert es einmal mehr am fehlenden Betreuungspersonal. So könnten etwa Markt Schwaben und Steinhöring, wo derzeit sechs beziehungsweise vier Kinder im entsprechenden Alter leben, zwar die Räume stellen, haben aber keine Erzieherinnen.

Ein Problem, das in den Augen der Verantwortlichen im Landkreis Ebersberg durchaus pragmatisch zu lösen wäre, indem man unter den Geflüchteten nach Personen mit erzieherischen Erfahrungen oder entsprechender Ausbildung suche. Ein Konzept für eine Großtagespflege, vom Ebersberger Jugendamt verfasst, ist allerdings am Veto des Sozialministeriums gescheitert. Mindestens den Nachweis von Deutschkenntnissen nach B2 sollen ukrainische Erzieherinnen demnach vorlegen, um den Standards des BayKiBig (Bayerisches Gesetz zur Bildung und Erziehung) zu genügen. Von schriftlichen Nachweisen für die berufliche Qualifikation ganz abgesehen.

Vorgaben, die im Landratsamt nicht unbedingt auf Verständnis stoßen. "Wenn Ukrainerinnen ukrainische Kinder betreuen, dann ist meiner Meinung nach das Problem Sprachbarriere gelöst", erklärte Landrat Robert Niedergesäß (CSU). In einer Sitzung des Landkreis-Tags mit seiner Parteifreundin, der zuständigen Ministerin Ulrike Scharf am Mittwoch habe man dennoch vergeblich versucht, zu einem pragmatischeren Umgang mit dem Thema zu kommen. "Indem wir unsere bayerischen Standards vor uns hertragen, werden wir dem Problem nicht gerecht", schimpfte Niedergesäß. Etwa in Vaterstetten, wo, wie die zweite Bürgermeisterin Maria Wirnitzer (SPD) berichtete, 28 Kinder im September eine Betreuung brauchen. "Wir wissen nicht, wie wir es lösen können."

Man hofft auf erleichterte Vorgaben seitens des Ministeriums

Eine Vergrößerung der bestehenden Gruppen, darin ist man sich einig, könne nicht die Lösung sein, auch nicht vorübergehend. Nach zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie sei das Erziehungspersonal durch Ausfälle und Schutzmaßnahmen ohnehin besonders belastet. Viele hätten ja sogar den Beruf gewechselt, erklärte Christian Salberg vom Jugendamt.

Natürlich wolle man die Errungenschaften des BayKiBig nicht einfach über den Haufen werfen, die hohen Standards seien für Kinder "ja erstmal super", sagte Florian Robida. "Aber wir wissen ja, dass viele Ukrainer wieder zurückgehen. Die wollen hier einfach ihre Kinder betreut haben." So seien Jugendamt und Landratsamt jetzt im ständigen Austausch mit Trägern, leerstehende Räumlichkeiten im Landkreis seien ja vorhanden. Und parallel hoffe man auf erleichterte Vorgaben seitens des Ministeriums.

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