Süddeutsche Zeitung

Trauer:Die Wertschätzung des Lebens

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Der Tod ist aus unserer Gesellschaft verschwunden und die Kirche leidet unter einem Relevanzverlust. Zeit zu fragen: Sollten wir uns mehr mit der Sterblichkeit beschäftigen?

Von Sina-Maria Schweikle, Ebersberg

So viele Verstorbene gab es noch nie. Zumindest in Deutschland. Mehr als eine Millionen Menschen verstarben im Jahr 2021 in der Bundesrepublik. Und auch im Landkreis Ebersberg nahm die Zahl der Toten in den vergangenen vier Jahren zwar nur leicht, aber dennoch kontinuierlich zu.

Eine Umfrage unter Freunden, Verwandten und Kollegen hat ergeben: Nur die Wenigsten setzen sich mit dem eigenen Tod und der Trauer über Verstorbene wirklich auseinander. Zeit also, um über den Tod zu sprechen und sich damit auseinanderzusetzen was Sterblichkeit, auch die eigene, bedeutet.

Die Sichtbarkeit des Todes fehlt im Leben

"Der Tod ist aus unserer Gesellschaft verschwunden. Er wurde quasi outgesourct", sagt Trauerbegleiterin Susanne Heckel. Die Sichtbarkeit des Todes im Leben sei für sie von großer Bedeutung. Denn wo über Verlust gesprochen wird, da könne auch Heilung eintreten, sagt sie. Deshalb bietet Heckel gemeinsam mit dem Kreisbildungswerk und dem Netzwerk Trauer regelmäßig Workshops zur kreativen Trauerbewältigung in Ebersberg an. Dies soll einen offenen und kreativen Umgang mit Trauer ermöglichen. Denn: Der Trauerprozess erfordere Zeit und Geduld. In der heutigen, schnelllebigen und manchmal oberflächlichen Gesellschaft bliebe dafür meist kein Raum.

Ein Problem, mit dem auch Angela Imhoff Bekanntschaft gemacht hat. Seit 2005 führt die Bestatterin ihr eigenes Unternehmen in Grafing und ist Ansprechpartnerin für Angehörige, sowohl in der Landeshauptstadt als auch im Umland. "In München hat man für eine Trauerfeier 20 Minuten Zeit - auf dem Land deutlich mehr", sagt sie. "Das Leben auf dem Dorf steht quasi still, wenn ein Bewohner verstorben ist."

Immer häufiger finden freie Bestattungen statt

Nicht nur der Unterschied zwischen der Stadt und dem Land wirken sich auf unsere Beziehung mit dem Tod aus. Weltanschauung und Religion haben einen großen Einfluss darauf, wie ein Mensch mit dem Ende des eigenen aber auch mit dem eines anderen umgeht. Immer häufiger kommt es deshalb vor, dass sie selbst als Trauerrednerin auch auf den Beerdigungen spricht.

Elisabeth Englhart ist Gemeindereferentin im katholischen Pfarrverband Steinhöring und Pfarrei Ebersberg. In ihrer Tätigkeit als Seelsorgerin ist sie häufig mit dem Tod konfrontiert. Auch wenn die Kirchen zwar unter einem Relevanzverlust leide, seien die bekannten kirchlichen Riten trotzdem wichtig für die Hinterbliebenen. "Sie geben in einer schweren Zeit Halt und Struktur", sagt sie.

Manche gesellschaftlichen Entwicklungen scheinen Zeit zu brauchen, um auch von der Kirche akzeptiert zu werden. So hat der Vatikan erst im Jahr 1963 das Verbot von Feuerbestattungen aufgehoben. Heute ist diese Art der Bestattung mit knapp 70 Prozent die bedeutsamste Bestattungsform in Deutschland und auch im Landkreis Ebersberg. Nach Aussage der Stadtverwaltung Ebersberg fanden im Jahr 2021 doppelt so viele Urnen-, wie Erdbestattungen statt.

Mehr Individualität im Leben führt zu mehr Individualität im Tod

Auch die Bestattungsbranche reagiert auf solche Veränderungen im Umgang mit dem Tod. Um der zunehmenden Individualisierung der Menschen Folge zu leisten, kann man so beispielsweise im Bestattungsinstitut Imhoff handgefertigte Urnen aus dem Ebersberger Umland erwerben. Jede Urne ist ein Unikat. Für andere Urnen gibt es eine Art "Geschwisterpaar", das bedeutet, ein Abbild der Urne, in der die Asche des Verstorbenen die letzte Ruhe findet. Im diesen Erinnerungsurnen anstatt der Asche ein Teelicht zu finden, um dem Toten zu gedenken.

Doch der zunehmende Wunsch der Menschen nach Individualität ist nicht immer einfach, sagt Pfarrerin Renate Zorn-Traving. "Der Erwartungsdruck hat zugenommen, die Feier so zu gestalten, dass man die Person "richtig" würdigt." Doch was "richtig" ist, das wurde vorab nicht immer geklärt. Nicht nur deshalb sei es wichtig, schon früh anzufangen, über das Sterben und die Beziehung zum Tod mit Freunden und Angehörigen zu sprechen. Darüber, wo und wie man bestattet werden möchte und wer alles dabei sein wird. Denn ein Ort für Trauer ist wichtig.

"Manche Menschen brauchen einen Ort, um zu trauern. Andere machen das von Zuhause. Der Umgang mit dem Tod ist so individuell, wie das Leben selbst" sagt Ina Lill. Mehrere Tage pro Monat arbeitet sie ehrenamtlich für den Christophorus-Hospizverein Ebersberg und begleitet Menschen in den Tod und Angehörige über ihn hinaus.

Für Lill sind diese Erfahrungen bereichernd. "Man bekommt sehr viel von den Menschen, die man begleitet", sagt sie. Dabei ginge es nicht nur um das Vertrauensverhältnis, das man innerhalb kürzester Zeit mit den Menschen aufbaut. Würde man dem Tod mehr Raum im eigenen Leben schenken, sagt sie, dann könnte der Blick auf die Mitmenschen und vermeintlichen Probleme ein anderer werden. Denn vor allem, sagt Ina Lill, lehrt der Tod eines: Die Dankbarkeit und Wertschätzung des Lebens.

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