Süddeutsche Zeitung

SPD-Politiker aus Poing:Omid Atai hängt Politik-Karriere an den Nagel

Lesezeit: 3 min

"Es war eine Vernunftentscheidung", sagt der SPD-Gemeinderat, Kreisrat und ehemalige Landratskandidat, der sich überraschend aus der Kommunalpolitik zurückzieht.

Von Johanna Feckl, Poing

Den Mund zu halten, wenn es um Angelegenheiten geht, die Omid Atai wichtig erscheinen, ist nicht sein Ding. Der SPD-Politiker ist bekannt dafür, vehement und mit großer Leidenschaft als Poinger Gemeinderat und Ebersberger Kreisrat vor allem für die Belange sozial schwach gestellter Menschen und für den Klimaschutz zu argumentieren. Aber das gehört nun der Vergangenheit an: Seit dem 1. November ist Atai kein Gemeinderatsmitglied mehr und auch sein Mandat im Kreistag legte er nieder. Noch bei der Kommunalwahl im Frühjahr 2020 trat der 28-Jährige als Landratskandidat der SPD an - und jetzt: Gar nichts mehr, selbst seine Profile auf Instagram und Facebook, mit denen er im gesamten Landkreis Ebersberg und darüber hinaus politisch sehr gut vernetzt war, hat er gelöscht. Warum dieser große Cut?

"Es war eine Vernunftentscheidung", sagt Atai. "Man muss für das Ehrenamt als Gemeinde- und Kreisrat viel Zeit aufwenden, wenn man einen ordentlichen Job machen möchte." Atai sitzt am Fenster seiner Poinger Wohnung, das Handy vor ihm aufgestellt - ein Video-Anruf. Gerade kommt er von einem Spaziergang durch den Ort, ein bisschen Ruhe suchend, denn in der Nacht zuvor gab es davon keine: Als Mitglied der First Responder, eine Ersthelfergruppe, wurde er zu einem Einsatz gerufen. Nachdem der eingetroffene Rettungsdienst die Arbeit übernommen hatte, ging es gleich weiter für Atai, nun aber als Feuerwehrler: Ein Rettungshubschrauber wurde geordert, die Poinger Feuerwehrkräfte leuchteten Lande- und Startplatz aus.

"Das mit der Zeit wurde immer schwieriger für mich zu organisieren", so erklärt Atai weiter seinen Entschluss, alle politischen Ämter aufzugeben. First-Responder-Kraft und Feuerwehrler sind schließlich Ehrenämter, hinzu kommt noch sein Vollzeitjob als Rettungssanitäter, die Staatsexamen seines Jura-Studiums stehen bevor, und dann gibt es freilich auch noch Familie, Freunde und Freizeit - erst kürzlich hat er seinen Anglerschein gemacht, aktuell lernt er für seine Jägerprüfung. "Da muss man dann auch einfach ehrlich gegenüber sich selbst sein und irgendwann sagen: Das funktioniert so nicht mehr, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören."

Leicht hat er sich die Entscheidung trotzdem nicht gemacht, wie er sagt. Viele Wochen habe er darüber nachgedacht, ob er überhaupt und falls ja, ob er mit beiden seiner Ämter aufhören möchte. "Aber es macht für mich keinen Sinn, sozusagen zur Hälfte in der Politik zu bleiben." Dass zwei Frauen für ihn nachrücken, Christina Tarnikas im Gemeinderat und Maria Wirnitzer im Kreistag, habe ihn auch bestärkt - im Sommer dann stand seine Entscheidung endgültig fest. "Ich möchte einfach eine Auszeit nehmen." Am Tag nach der Bundestagswahl im September teilte er seinen Entschluss mit, zunächst seiner Poinger Fraktionsvorsitzenden und dem SPD-Fraktionschef im Kreistag Albert Hingerl.

Letzterer spielt in der politischen Karriere von Atai keine unwesentliche Rolle, man könnte sagen, er war sein Förderer und Vorbild. "Ich glaube, ohne den Buck wäre ich nicht bei der SPD und generell gar nicht in der Politik gelandet", sagt Atai - "Buck" ist Hingerls Spitzname. Als er zum ersten Mal als Zuhörer eine Poinger Gemeinderatssitzung besuchte, war Hingerl noch Bürgermeister im Ort. "Mir war wichtig, mal zu verstehen, wie das alles funktioniert, was alles an Veränderungen im Ort dranhängt." 2012 oder 2013 sei das gewesen. "Ich habe kaum etwas von dem verstanden, was dort passiert ist", schildert der 28-Jährige seine Erinnerungen an damals. Zwei andere Zuschauer, die mehr Erfahrung in der Kommunalpolitik hatten, hätten ihm flüsternd die Zusammenhänge erklärt. Das fiel auf.

Irgendwann bot ihm Hingerl ein Gespräch an, für weitere Fragen. Beinahe einen ganzen Nachmittag verbrachte Atai daraufhin im Büro des damaligen Bürgermeisters. Alles weitere ergab sich häppchenweise: Die Poinger SPD sprach ihn an, er kam zu den Ortstreffen, trat dann in die Partei ein, und als es um die Liste für die Kommunalwahl 2014 ging, fragte man ihn, ob er kandidieren möchte. Trotz seines zwölften Listenplatzes wurde er per Direktstimmen in den Gemeinderat gewählt. Der eigentliche Start für seine kommunalpolitische Karriere war aber wohl jener Nachmittag mit dem heutigen Altbürgermeister.

In Omid Atai verlässt den Poinger Gemeinderat nicht nur ein inzwischen sehr erfahrenes, sondern auch das jüngste Mitglied. Auch im Kreistag zählte der 28-Jährige zu den Jüngsten. Eigentlich also noch genügend Zeit, um in einigen Jahren wieder in die Politik zurückzukehren. Oder? "Man soll niemals nie sagen", so Atai. Die Politik habe ihm schließlich immer viel Freude bereitet. Kaum eine Reise sei vergangen, von der er nicht mit einer Liste zurückgekehrt ist und damit zum Bürgermeister ging. "Da, schau her, die haben das alles - warum haben wir das nicht?" Und trotzdem gibt sich Atai überzeugt: In absehbarer Zeit werde es bestimmt keine Rückkehr in die Politik geben. Vielleicht werde man ihn wieder ab und an als Zuschauer in den Poinger Gemeinderatssitzungen treffen. Mal sehen. "Wenn es etwas gibt, das mich sehr bewegt, werde ich bestimmt irgendwo auf einer Matte stehen - das Schlimmste ist, nichts zu sagen."

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Quelle:
SZ vom 10.11.2021
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