Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Ebersberg:Der Bischof zieht quer

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Die Baldhamer "Schach- und Kulturstiftung" widmet sich dem ambivalenten Verhältnis zwischen Spiel und Religion

Von Anja Blum

In ein Mekka von überregionaler Bedeutung wird sich Ebersberg im August verwandeln, so viel steht fest. Die Pilger werden Wissenschaftler und Liebhaber sein, die sich einem ganz speziellen Thema widmen. Anlass zu einer Reise in die Kreisstadt gibt ihnen eine neue Ausstellung der Baldhamer "Schach- und Kulturstiftung G.H.S." im Rathaus mit dem Titel "Schach und Religion". Ihr Schwerpunkt liegt auf der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts, Anknüpfungspunkte sind ganz generell das Ebersberger Kloster und im Speziellen der Jesuit Jacob Balde, der einst ein Schachgedicht schrieb. Zu sehen gibt es Gemälde, Stiche, Bücher und Figuren, dazu viele Infotafeln. Außerdem erscheint ein umfangreicher Katalog mit wissenschaftlichen Beiträgen, es gibt einen Filmabend, eine Lesung, eine Klosterführung und Freiluftschach.

Schach und Religion? Was hat dieses Spiel mit Glaube oder Kirche am Hut? Jede Menge, sagt Georg Schweiger, Gründer und treibende Kraft hinter der Stiftung, und lächelt wissend. Der 70-Jährige hat das profane Feld der Siege und Niederlagen mittlerweile hinter sich gelassen, ist mit seiner Leidenschaft für Schach im Gepäck aufgebrochen zu ganz neuen Ufern, zu all jenen Verknüpfungen mit Geschichte und Kultur nämlich, die es zu erforschen gilt. "Es gibt hier so viele offene Fragen", sagt er, und seine Augen strahlen vor Entdeckergeist. "Nicht einmal die Entstehung von Schach ist eindeutig erklärt." Doch nicht nur solch Grundsätzliches interessiert den Baldhamer, vielmehr ist er fasziniert von Details. Von kleinen Anknüpfungspunkten, anhand derer sich - "wenn man nur genügend Zeit und Energie investiert" - ganz ungeahnte Räume erschließen ließen. "Man kann die Welt über jeden Gegenstand betreten", lautet Schweigers Credo.

In einem seiner beiden Aufsätze zur Ausstellung widmet er sich zum Beispiel den Falkensteinern, einem einst bedeutenden Adelsgeschlecht aus der Region. Denn in einem "Codex Falkensteinensis" aus dem 12. Jahrhundert, einer Art testamentarischer Inventarliste, hat Schweiger einen interessanten Vermerk entdeckt: Der Codex verzeichnet für alle drei Burgen der Falkensteiner wertvolle Schachspiele, etwa aus Elfenbein. Und das hatte seinen Grund: Wie Schweiger erklärt, zählte das Schachspiel damals zum Kanon der ritterlich-höfischen Erziehung. "Auf den Burgen wurde regelmäßig gespielt, auch von adeligen Damen." Insofern waren die wertvollen Bretter und Figuren wichtige Prestigeobjekte. Nur schade, dass es zu den Angaben des Codex' nicht die passenden Funde gab: "Nach dem Niedergang der Falkensteiner im 13. Jahrhundert wurden ihre Burgen zerstört. Die Figuren könnten vernichtet, geraubt oder auch an Klöster vermacht worden sein", sagt Schweiger. Es habe hier nämlich stets viele familiäre Verbindungen gegeben, da viele hochrangige Kleriker des Mittelalters Adelige gewesen seien.

Das sei, erklärt er, auch der Grund, warum Schach und Kirche einst eng verbunden waren. "In Klöstern oder Kirchenschätzen hat man oft Figuren gefunden", auch so manches Schachbuch sei unter dem Kreuz entstanden. Man sah in dem Spiel zudem ein positives Gesellschaftsmodell: "Weit verbreitet waren von Predigern geschriebene Schachallegorien, mit denen Pflichten in der Gesellschaft dargestellt wurden." Und doch war das Verhältnis von Religion und Schach stets ein ambivalentes: "Immer wieder hat es Verbote gegeben, viele Pater wetterten von der Kanzel herab, dass das ein Spiel des Teufels und der Sünde sei." Ein besonders krasser Ankläger sei der Franziskaner Johannes Capistranus gewesen: "Er hat Tausende Spiele verbrennen lassen. Eine irre Szene, die wir anhand eines Holzstichs zeigen", sagt Schweiger. Genützt aber habe - Gott sei Dank - das alles nichts, die Verbote hätten sich nie durchsetzen lassen. "Die Realität war einfach eine andere." Das gelte auch heute noch, in Saudi-Arabien, Iran oder unter den Taliban. "All diese Fundis benehmen sich wie die Hassprediger des Mittelalters", so der 70-Jährige.

Zu den Liebhabern des Schachs gehörte auch Teresa von Ávila, die große spanische Heilige. Ihr hat Schweiger seinen zweiten Aufsatz gewidmet - in dem er mit einer Falschinformation aufräumt: Teresa wurde 1944 zur Patronin der Schachspieler ernannt, aber nicht vom Papst, wie fast alle Quellen behaupten, sondern vom Erzbischof von Madrid. Außerdem zeigt er, warum Teresa von Ávila "die perfekte Patronin ist": "Weil sie im 16. Jahrhundert lebte, selbst spielte, eine faszinierende Person war und weil sie viele originelle Schachmetaphern verwendet hat." Für Schweiger ist das Thema gerade deshalb so spannend, weil die Verbindung beiden Seiten nicht bewusst sei: Weder die Theologen oder Historiker noch die Schachexperten wüssten etwas von der Spielebegeisterung vieler Geistlicher. "Wir sitzen hier wieder voll zwischen den Stühlen", sagt der Baldhamer - "und das gefällt mir".

Mit Blick auf die Figuren steht der Läufer im Mittelpunkt der Ausstellung: Aufgrund der indisch-arabischen Ursprünge des Schachs als Kriegsspiel sei diese Figur einst als abstrahierter Elefant dargestellt worden - eine Gestalt, mit der die Europäer allerdings wenig bis nichts anfangen konnten. Außerdem deuteten sie das Spiel um, sahen in ihm ein Abbild der mittelalterlichen Ständegesellschaft mit Königspaar, reitenden Rittern und Bauern. "Neben den Herrschern stand der Bischof (im Englischen heißt der Läufer bis heute bishop) oder der Hofnarr (im Französischen Le Fou). Die Höcker des Elefanten interpretierte man also zur Mitra beziehungsweise Narrenkappe um. Die Exponate in der Ebersberger Ausstellung stammen hauptsächlich von Thomas Thomsen aus Königstein, der die größte private Figurensammlung besitzt und als Koryphäe gilt.

Für einen Aufsatz respektive Vortrag über den Barockschriftsteller und Jesuiten Jacob Balde (1604 bis 1668), der viele Sommer im Ebersberger Kloster verbracht und ein umfangreiches Schachgedicht geschrieben hat, konnte Schweiger ebenfalls einen absoluten Experten gewinnen, den Philologen Professor Wilfried Stroh. Die Eröffnungsrede der Ausstellung wird Helmut Pfleger halten, Großmeister und Deutschlands bekanntester Schachjournalist.

Der Katalog zur Schau zählt neben Schweiger und Stroh vier weitere Autoren: Eine allgemeine Einführung in das Thema gibt Rainer Buland, Leiter des Instituts für Spieleforschung am Mozarteum, der die Ebersberger Ausstellung 2020 zu sich nach Salzburg holen wird. Herbert Bastian, Ex-Präsident des Deutschen Schachbundes, beleuchtet das historisch ambivalente Verhältnis zwischen Schach und Religion, die Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer aus Zorneding schreibt über ein Gemälde mit Schachmotiv und Konrad Reiß, Gründer des Schachmuseums Löberitz, beschäftigt sich mit einem Kuriosum, nämlich den schachspielenden Affen im Naumburger Dom. "Manche mögen mich für verrückt halten", sagt Schweiger, "aber ich sehe in Schach ein Kulturgut ersten Ranges!"

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SZ vom 20.07.2019
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